Erinnerungen

Eine Träne, silbern und schwarz, hing einige Lidschläge lang an ihrer dunklen Lippe, und glitt, da sie niemand zurück hielt, zähflüssig darüber; wenig später floss sie ihren schlanken Hals hinab, entlang eines braunen Bandes, dunkel und bedrohlich glänzend, wie in vorherbestimmter Bewegung; zuletzt blieb sie in der Waagrechten hängen, als hätte sie, wie geplant, am Ende des Bandes ihren Platz erreicht, um ihre Trocknung zu erwarten.

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8 Kommentare zu »Erinnerungen«:

  1. Pingback: Erinnerungen « Makulatur

  2. Ich stell(t)e mir vor, jemand hätte diesen Text in Klagefurt beim Bachmannpreis gelesen. Inzwischen kennen die Juroren ja die vorgestellten Texte und dennoch ist manchmal ein fast bleiernes Schweigen zu bemerken, wenn ein Vortrag beendet ist. Es geht jetzt darum, wer aus der Jury zuerst etwas sagt. Niemand möchte. Und dann, nach langen Sekunden, räuspert sich einer und beginnt…

    Die Prosaminiatur ist fast eine Woche online und bisher ohne Kommentar. Manchmal kann das auch ein Ausweis von Qualität sein (habe ich mir sagen lassen). Oder von Furcht. Oder von beidem.

    Ich gestehe, diese Prosa läßt mich einsam zurück. Sie ist auf eine seltsame Weise hermetisch (obwohl es diesen Schluß gibt). Das erinnert stark an Robbe-Grillet und den »Nouveau Roman«. Irgendwann bin ich da fast immer ausgestiegen. Natürlich ist diese Erzählung hier nicht diesem Genre zuzuordnen, da ja noch die Empfindungen und Erinnerungen des Protagonisten Franz »thematisiert« werden. Dieser versucht – das ist schon Interpretation – anhand gefundener und auch selbst erschaffener Bilder – Erinnerungen und damit Gefühle zu erzeugen. Daher wird der Leser in die Wahrnehmungswelt des Protagonisten geführt – die Träne einer Frau, ein Becher, aus dem Tee getrunken wird (dessen Geschmack sich schnell verändert – von würzig in fad – ein geschickt eingestreutes Indiz für eine Bewusstseinsveränderung). Man könnte auch annehmen, der Tee enthielte vielleicht eine besondere Droge, die bestimmte Zustände herbeiführt oder unterdrückt. Etwa wenn von einem »freundlichen Dämon« die Rede ist. Oder von einer gewissen Unordnung. Aber ich möchte diese Wahrnehmungen der Figur nicht derart denunzieren; das wäre zu leicht (weil dann wieder alles möglich wäre). Es handelt sich um eine in höchstem Maße konzentrierte Person, die bestimmte Erinnerungen nicht herbeiführen, sondern sozusagen erzwingen möchte und krampfhaft dafür entsprechende Bilder sucht, die den »Einstieg« ermöglichen. Schließlich mißlingt der Versuch – ein anderes Bild bricht sich in der Erinnerung Bahn. Es ist anzunehmen, dass der Junge, der da plötzlich auftaucht, er selber ist. Womöglich handelt es sich um ein einschneidendes Erlebnis in der Kindheit.

    Soweit mag ich nach zwei-, dreimaligem Lesen mitgehen. Ich finde jedoch, dass es problematisch wird, wenn dann Franz auf Seite 7 unten beginnt, seine Bilder und Halluzinationen noch zu interpretieren und dies dem Leser mitgeteilt wird. Dieser Abschnitt, der ja unmittelbar vor dem Schluß gesetzt ist, bekommt dann etwas Apodiktisches. Und irgendwie passt es dann auch nicht zu dem traumartigen und bildhaftem Erzählen vorher.

    Oder gibt es Gegenstimmen?

    #1

  3. Danke für Deinen Kommentar und das mehrmalige Lesen. Du artikulierst zumindest eine Befürchtung, die ich selbst hatte und vielleicht rührt das Hermetische von dort her. Andererseits mag ich keine Hinweise geben, weil ich damit Leseerfahrungen (zer)störe.

    Ich sehe einen Punkt in Deinem Kommentar von dem vielleicht ein Gutteil der Hermetik stammt, ich würde das aber lieber per mail diskutieren, falls von Interesse.

    Deine Anmerkungen bezüglich der Interpretation muss ich mir noch durch den Kopf gehen lassen.

    #2

  4. Wir können die Sache gerne per Mail weiterdiskutieren. Die Resonanz auf dieses Angebot ist ja bedauerlicherweise seit Monaten zurückgehend. (Das wird auch bald die entsprechenden Konsequenzen haben.)

    #3

  5. Phorkyas sagt:

    @mete: Mir fällt’s schwer auf den Text zu reagieren. Bisher habe ich ihn auch nur einmal gelesen und wollte das noch wirken lassen, aber ich komme nicht ganz damit zu rande. Wahrscheinlich verstehe ich es noch zu wenig: Der Kopf eines Mädchen, das möglicherweise Opfer eine Gewalttat? und weint, wird in eins geschnitten mit einer tropfenden Teekanne? Die wiederkehrende Beschreibung dieser Tränen erscheint mir fast überscharf: Müsste der Tropfen für das silbrig-schwarze nicht beinahe in der Luft hängen oder zumindest von der Seite betrachtet, losgelöst von der Oberfläche, weil sonst auch immer deren Farbe hindurchschimmern würde (oder ist das auch die Farbe des Tees – als hättest du fast auch so eine rostige Kanne wie ich – nur wäre das aus Ton ja nicht möglich)?

    Die Erinnerungen bleiben für mich undurchdringlich, schemenhaft. Das ist nicht schlecht, es fordert heraus. Was ich jedoch möglicherweise problematisch finde; sie bleiben statisch oder fix(?) und so sehe ich nicht wie sie mit den Reflexionen am Ende übereinstimmen, die gerade die Offenheit und Wandelbarkeit der Erinnerungen betonen.

    Was hat es mit der Tür-/Tormetapher am Ende auf sich? Deutet das verstaubte Fenster an, dass Franz sich schon länger verschanzt, ist da irgendein symbolischer Aufbruch?

    Insgesamt finde ich es nicht schlimm, dass der Text so viele Fragen aufwirft, das regt zur Beschäftigung an, aber manchmal hätte ich mir in der einen oder anderen Richtung doch mehr Klarheit, Entschlüsselbarkeit gewünscht.

    #4

  6. @Phorky
    Du musst ja keineswegs reagieren und Dich dafür auch nicht entschuldigen! Aber natürlich freue ich mich darüber.

    Bezüglich der Tropfenfarbe nehme ich mir heraus nicht realitätsnah sein zu müssen (außerdem geht es ja um Franz Wahrnehmungswelt).

    Die Reflexionen wurden durch den Erinnerungsstrom unterbrochen und später wieder aufgegriffen, soweit meine Idee.

    #5

  7. Phorkyas sagt:

    @metepsilonema:

    Hmm.. Bezüglich der Erinnerungswelten: Weißt du da mehr als der Leser, also hast du nur Fragmente von einem Ganzen genannt, dassdu schon kennst, oder ist das für dich genauso unbekannt?

    #6

  8. @Phorky

    Etwas mehr, ja (also das was ich brauchte um es für mich stimmig werden zu lassen). Ich wollte dem Leser aber die Möglichkeit lassen, die Erinnerungen zu interpretieren, sie nicht zu weit ausformulieren.

    #7