Gender Hacking
„Eine Politik für die Entfremdung“ lautet der Untertitel des xenofeministischen Manifests, das gleich verlesen werden soll. Um fluide Identitäten und permanentes Werden soll es gehen. Vielleicht auch deshalb erscheint es so sinnig, dass die Buchvorstellung von „dea ex machina“ nicht, wie angekündigt, im schicken Schinkel Pavillon in Berlin-Mitte stattfindet, sondern die Besucher_innen erst einmal durch die labyrinthischen Gänge der Megabaustelle des Prinzessinnenpalais stolpern müssen, um zum tatsächlichen Veranstaltungsort zu gelangen: Einem kalten, zugigen, bis auf das bröckelige Mauerwerk entkernten Raum mit ein paar Luftschlitzen statt Fenstern. Bierbänke und Matratzen dienen als notdürftige Sitzgelegenheiten; die löchrige Decke sieht aus, als könne sie einem jeden Moment auf den Kopf fallen. Und was sollen eigentlich die zwei Dutzend Röhrenbildschirme im Hintergrund, auf denen rein gar nichts passiert? Nun ja, bestimmt alles Teil der Performance. „Entfremdung ist eine Wirkung und Funktion der Möglichkeit, Freiheit aufzubauen“ heißt es im Manifest. Und das setzt vermutlich voraus, erst einmal die eigenen Komfortzonen zu verlassen. Wortwörtlich.
Die Bildschirme bleiben tot, doch davor nehmen drei Mitglieder des „technomaterialistischen, transfeministischen“ Kollektivs Laboria Cuboniks Platz und beginnen, nach einer kurzen Einführung, in verteilen Rollen ihr Manifest vorzulesen. Namentlich genannt wird einzig Helen Hester, Mitherausgeberin des schmalen Bandes „dea ex machina“, in dem sich neben aktuellen xenofeministischen Texten auch ältere Beiträge „klassischer“ Cyberfeminist_innen wie Shulamit Firestone, Donna Haraway und Rosi Braidotti befinden. Der Rest des Kollektivs bleibt anonym, und unterstreicht damit „das Recht für alle, als niemand Bestimmtes zu sprechen“. Für die Einordnung der Forderung, „den Sprung ins Universelle“ zu wagen, anstatt sich mit vereinzelten Aufständen von begrenzter Wirksamkeit zufrieden zu geben, würde es vermutlich helfen, das akzelerationistische Manifest (Merve 2013) zu kennen, auf das sich Laboria Cuboniks mehrfach beziehen. Das Zuhören ist aufgrund dieses wohl vorausgesetzten Wissens nicht immer einfach, das Nachlesen der Einleitung dagegen schon etwas erhellender: Laboria Cuboniks, so wird nun klar, sind unter anderem angetreten, den Akzelerationismus aus seiner Verdammung als „machistischen Technonihilismus“ zu retten. Mit der Betonung des emanzipatorischen Potentials einer zunächst als androzentrisch erachteten Entwicklung knüpfen sie an cyberfeministische Positionen der 1990er Jahre an, wie zum Beispiel den dichten und absolut lesenswerten Beitrag von Rosi Braidotti. Sie forderte dazu auf, den mit dem Aufkommen des Digitalen einhergehenden Verlust humanistischer Gewissheit bewusst zu betrauern, und zugleich in dieser Leerstelle ein Potential zur Überwindung eindimensionaler Konzepte von Männlichkeit, Weiblichkeit, Rasse, Kernfamilie und Nationalstaat zu sehen. Die Nutzbarmachung des Spielerischen, Verstörenden im Angesicht der Krise, die Freude an Fluidität und permanentem Wandel greifen Laboria Cuboniks auf und möchten diese Konzepte weiterführen.
Wie viele neue Denkimpulse jedoch liefert das Manifest wirklich?
Plädoyers gegen biologistische Konzepte von „Natürlichkeit“ und „Authentizität“ können zwar nicht oft genug wiederholt werden, tragen andererseits aber auch nicht viel Neues zum aktuellen feministischen Diskurs bei. Die Forderung, Geschlecht, Rasse und Klasse abzuschaffen, klingt erstaunlich utopisch angesichts des proklamierten Rationalismus des Kollektivs und dürfte sich schwer vereinbaren lassen mit einem Feminismus, der „gerissen“ genug sein will, alte Machtstrukturen für seine Zwecke zu nutzen. Eine Subversion, die Bestehendes unter Zuhilfenahme unterdrückender Strukturen unterwandern möchte, ist natürlich immer eine Gratwanderung, wie auch am Beispiel von Ironie oder Drag deutlich wird: An welchen Stellen wirkt Ironie subversiv, an welchen affirmativ? Wo hört Drag auf, widerständig zu sein und reinfiziert stattdessen essentialistische Vorstellung von Weiblichkeit? Diese Ambivalenzen der von Laboria Cuboniks vorgebrachten „Gerissenheit“ bleiben leider im Dunkeln.
Stattdessen verliert sich das Kollektiv an vielen Stellen in elaboriert-verschwurbelten Formulierungen: „Der bewegliche Boden von XF bedingt eine pragmatische, semi-poröse Ontologie, in der die intellektuelle Sklerose der Akademie, und der Stillstand von Kritik ersetzt werden durch Mutation, Navigation und das Erproben von Horizonten.“ Oder: „XF fordert eine konstruktive Schwingung zwischen Beschreibung und Vorschreibung, um das rekursive Potenzial zeitgenössischer Technologien auf Geschlechter, Sexualitäten und Machtungleichheiten zu mobilisieren.“
Die Ablehnung fester Identitätskategorien, so entsteht der Eindruck, mündet hier in der wenig dienlichen Weigerung, wohlklingende Worthülsen mit Bedeutung zu füllen.
Die konkreten Anliegen des Kollektivs, wie zum Beispiel den gleichen und unbeschränkten Zugang zu reproduktiven und pharmakologischen Werkzeugen, die emanzipatorische Nutzung nachhaltiger Technologien zur Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts oder die Abschaffung des Arbeitszwang durch technologische Verbesserungen, finden sich bereits in Shulamit Firestones Grundlagentext „Feminismus und Ökologie“ aus dem Jahr 1970. Wie die biotechnischen und hormonellen Interventionen im Stil eines „gender hacking“ aussehen könnten, verdeutlicht Paul B. Preciado, der das von Félix Guattari entwickelte Konzept der „molekularen Revolution“ weitergedacht und in den eigenen Körper eingeschrieben hat. „Ich will mich mit Testosteron nicht in einen Mann verwandeln, und auch nicht meinen Körper transsexualisieren; ich nehme Testosteron, weil ich Verrat an dem üben will, was die Gesellschaft aus mir zu machen versucht“, heißt es in „Testo Junkie“, das Ende des Jahres auf Deutsch erscheinen soll und, wie der Vorabdruck in „dea ex machina“ bereits erahnen lässt, unbedingt zu empfehlen ist. Inwieweit „Testo Junkie“ die Möglichkeit mitdenkt, dass sich die Freiheiten des technologischen und/oder hormonellen „Hacking“ in einen (impliziten) Zwang verwandeln könnten, wird in dem kurzen Ausschnitt leider nicht ersichtlich. Laboria Cuboniks erwähnen lediglich das Wunschdenken vieler Cyberfeminist_innen, körperliche Differenzen mögen sich im Netz auflösen. Hierbei würde jedoch übersehen, wie sehr scheinbar neutrale Algorithmen von diskriminierenden Strukturen durchdrungen seien. Auch dies keine neue Erkenntnis: Dass die Idee eines formbaren und damit „verbesserten“ Menschen immer auch an die Interessen des Kapitals und die jeweilig vorherrschenden Schönheitsideale gekoppelt sind, brachte Braidotti schon 1996 polemisch auf den Punkt: „Interaktivität ist ein anderes Wort für Shopping.“ Mit ihren Verweisen auf die hyperrealen Körper von Dolly Parton oder Michael Jackson benennt sie Klassismen und Rassismen und zeigt genau die Gefahren hinter einen an neoliberale Logiken geknüpften Posthumanismus auf, die bei Laboria Cuboniks weitgehend außen vor bleiben.
Als einzige konkrete Ansatzpunkte, die sich auf den Ist-Zustand des Internets beziehen, nennen Laboria Cuboniks die aktuelle Dominanz der Bildtechnologien und die Tendenz der sozialen Medien, starre Identitätskategorien eher zu verstärken, anstatt einen diskriminierungsfreien Raum zu schaffen. Somit wirft das Manifest letztendlich doch noch ein paar interessante Fragen auf, die jedoch, anstatt vertieft zu werden, unter schwammigen Formulierungen verschwinden.
Was denn nun „Xenofeminismus“ eigentlich Neues biete, ist dann auch eine der ersten Fragen im Q & A. Warum überhaupt ein neues Wort erfunden musste. Und dann: Ob alle Mitglieder von Laboria Cuboniks weiß und cis-gender seien? Die defensiven Antworten der drei Autorinnen geben zu denken. So berechtigt der Wunsch nach der Abschaffung von Geschlecht, Rasse und Klasse auch ist – verleugnet nicht im aktuellen soziohistorischen Kontext der Anspruch auf „Universalität“ die Positionen der Sprechenden?
Viel Neues jedenfalls kommt auch bei der Fragerunde nicht rum. Was unter anderem daran liegen mag, dass den Anwesenden die Kälte in die Glieder kriecht und langsam aber sicher deren Hirne lahmlegt. Es bleibt der Eindruck: Text als Baustelle. Meine Empfehlung: Lest Firestone, lest Braidotti, lest Preciado. Und für die volle Dröhnung Technofeminismus lohnt sich ganz sicher auch ein Blick auf Gretchen Benders Videoarbeit „Total Recall“. Zu deren Installation nämlich, lasse ich mir am Ende der Veranstaltung sagen, gehören die toten Bildschirme im Hintergrund.
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Kommentare
Schöner Denkanstoß
Die Natur darf nicht natürlich sein, sie will vergewaltigt sein.
Die xenoidentitäre Agenda ist reaktionär. Das ist ihre Leistung.
Die Abschaffung oder Überwindung der sozialen und biologischen Kategorien ist eine gute Idee. So richtig konsequent hat dies bislang noch keiner betrieben, und stolpert mal und mal über sich selbst. Darum ist es gut, dass diese Forderung einmal schön auf die Spitze getrieben ist.
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