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Kritik

Die Betonung liegt auf dem Konjunktiv!

Wie David Krause in seinem Debüt "Die Umschreibung des Flusses" an der Schmucklosigkeit scheitert
Hamburg

In seinen posthum veröffentlichten Universitätsvorträgen Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend notierte Italo Calvino im Ersten Kapitel über die Leichtigkeit folgendes: „Meine Tätigkeit hat vorwiegend darin bestanden, Gewicht wegzunehmen; ich habe bald den menschlichen Gestalten, bald den Himmelskörpern, bald den Städten Gewicht zu nehmen versucht; vor allem aber habe ich versucht, […] der Sprache Gewicht zu nehmen.“1 Versucht man dieses poetologische Programm über die Gedichte aus David Krauses Debütband Die Umschreibung des Flusses zu stülpen, merkt man alsbald, dass auch die großartigsten Gebilde sich irgendwann vor der Tatsache leerschöpfen, dass manche Leute es einfach zu gut mit ihrer Programmatik meinen.

Leichtigkeit – frei nach Calvino – konterkariert ein von der Schwere durchsetztes Leben. Angewandt auf die Literatur wiegt die Leichtigkeit des Stils die Schwere des Themas auf. Sie ist also Entscheidung, ist Handwerk, ist Programm.

Bei David Krause scheint diese Entscheidung zunächst einmal aufzugehen – bevor sie im leisen Kitsch der evozierten Bilder, Vergangenheiten und Wahrscheinlichkeiten ersauft.

Schon im ersten – und auch stärksten – Zyklus Bilder vom Wind und Fluss wird der Leser mit dem lakonischen Stil vertraut gemacht. Es sind Erinnerungen bzw. Nicht-Erinnerungen an eine nicht allzu entrückte Vergangenheit und eine kaum zu definierende Zukunft, die hier erschrieben werden:

„Das Radio mit der Antenne
trugen wir durch eine Landschaft
als Wünschelrute. Wir fanden
einen Mittelwellsensender.
Der spielte stundenlang John Cage,
eine Urknallspur.
Die Antenne zitterte im Wind.
Beim Tonwechsel setzte
die Dämmerung ein,
schlugen wir die Augen auf
nach einem langen Schlaf im Gras
trafen sich unsere Finger wie Flüsse.“ (Der Himmel, unter dem wir saßen. Mittelwelle)

Die Schmucklosigkeit dieser Sätze mag nicht jedem gefallen, aber gerade an diesem Beispiel verdient sie eindringliches Lob. Die Sorgfalt und Unaufgeregtheit, mit der ein derart riesiger Zeitsprung zwischen dieser und jener Tonart eines John-Cage-Stückes vollzogen wird (ich gehe davon aus, dass hier Cages Organ2/ASLSP gemeint ist, bei dem der nächste Tonwechsel am 5. September 2020 zu erwarten ist), ist stark gedacht und auch ebenso umgesetzt. Die poetische Aufladung in den letzten drei Zeilen funktioniert sowohl innerhalb der Komposition des Gedichts, als auch innerhalb der Programmatik dieses Zyklus. Ähnliche Gedichte wie etwa Schilf erinnern in ihrem Aufbau an die Zweizeiler Tristan Marquardts, wenn sie mit Assoziationen wie folgenden aufwarten: „Und irgendwann ist der Wind / nur noch die Umschreibung / des Flusses. / Und irgendwann ist der Fluss / nur noch die Umschreibung / deiner Sprache, […]“ (Schilf). Was fehlt, ist die stilistische Finesse eines Marquardt, die hier durch Redundanz geschickt kaschiert wird.

Und vieles in diesem Band wird kaschiert. Auch die Sprachbilder sind nicht wirklich greifbar. Vieles ähnelt einem lyrischen Tagebuch, in dem jemand neben persönlichen Tragödien alltägliche Belanglosigkeiten aufschreibt. So entstehen Gedichte wie Yesterdays, die ihre Themenarmut offen zur Schaustellen und mit Aneinanderreihungen alliterierender Termini aus den Setzkästen gutgesitteter Großbürger aufwarten. Und zu allem Überfluss wird dem Gedicht noch ein Proust-Zitat vorangestellt:

„[…] kurz denkt ein Mann an Sterne,
bis sie im Zug verschwindet und mit ihrem Gang
Lonie Tristano zu spielen beginnt,
auf mp3 komprimiert
„Jazz und Schnee: das passt ja“
Tristano spielt die Flocken forte
gegen ein Londoner Schaufenster,
dann ein leuchtendes Legato ins
Moll […] (Yesterdays)

Mag sein, dass sich unter Gedichten wie diesen Krauses gerühmte „intensive Auseinandersetzung mit der literarischen Tradition“ zeigt, doch verpufft diese ziemlich schnell. Schuld daran ist tatsächlich der lakonische Stil. Er wird – je weiter man im Band voranschreitet – zum Hindernis. Diese fast falsche Nüchternheit gipfelt im Gedicht Novemberlied, das den halben Band unter seinen Plattitüden begräbt. Das ist insofern schade, als dass es im folgenden Zyklus Inventur des Sommers durchaus Raum für Stichhaltigeres gäbe. Das Politische wird hier nur angekratzt, jedoch nicht angegriffen geschweige denn durchleuchtet. Wieso wählt beispielsweise der Autor den polnischen Namen von Auschwitz, wenn er den nie gekannten Großvater – der Zeilen zuvor vage als Täter identifiziert wurde – an diesem Unort nach Jahren wieder auftauchen lässt? Wieso muss bei diesen Gedichten alles Verstecken sein? Und so geht es dahin. Alles hier gleicht einem Stochern in seichten Gewässern, bei dem ab und an ein glatter, glänzender Stein oder eine verlassene Schale gefunden werden. Mehr nicht.

Und es könnte auch anders gehen, verkäme nicht alles zu diesem großen Versteckspiel. So könnte man auch den Schrecken erahnen, der sich hinter dieser Wohlstandslitanei verbirgt:

„Sommertag auf der Terrasse:
Vater schnaubte Pfeifenrauch.
Mein Bruder war Künstler. Er schöpfte
in der Apfelbowle aus seiner Spiegelung,
als wäre sie ein Bild Magrittes,
und nannte jenen Juni einen Traum.
Aus dem Plattenspieler schwärmte
die Arabesque von Debussy:
Ein Schimmern, das mich löste
aus der Grundierung des Moments.
Mutter schwieg, stieg in den Pool und
trieb auf ihrer Luftmatratze
durch den eigenen Rahmen,
bis die Besuchszeit am Abend
endete und wir
einander die Hände gaben.“ (Glitzern)

Die Betonung liegt auf dem Konjunktiv!

  • 1. Calvino, Italo: Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch 2012.
David Krause
Die Umschreibung des Flusses
Poetenladen Verlag
2016 · 80 Seiten · 17,80 Euro
ISBN:
978-3-940691-78-1

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