Poesiekick

Kleine Chronologie

Autor:
Anna Breitenbach
 

Kleine Chronologie

Chronologie meiner fußballpoetischen Laufbahn - kleine Werkübersicht

Tatsache, ich bin im Besitz von 8 Fußballgedichten, wobei das Wort Besitz hier wohl eine fragwürdige Wortwahl ist, da es Gedichte betrifft. Aber auch wieder nicht so weit entfernt von Ballbesitz, und was kann sich schneller ändern. Auf jeden Fall richtig ist, daß ich die Herstellerin der 8 Gedichte bin, da kann ich mich gut erinnern, unermüdlicher Einsatz, strapaziöse Arbeitssiege! Und die Abschlüsse doch sichtbar, wenn ich sie hier herstelle, ins Netz bringe, platziere. Reinknallen wäre übertrieben, käme mir etwas aktionistisch vor. (Wenn mir aber jemand gesagt hätte, daß mein Repertoire mal Fußballgedichte umfassen würde, dann hätte ich Trunkenheit oder Verwirrung bei dem Jemand vermutet.)

Herstelldatum von Gedicht Nr.1 war grob gesagt die WM 2010 und zu dem bin ich gekommen, nicht wie die Jungfrau zum Kind, der Pass würde sich anbieten, bin ich durch  eine Stange = Großpackung Hanuta gekommen – wegen WM hatten die einzelnen Hanutas Fußball-Bildchen dabei. Ich hatte Thorsten Frings und unter ihm stand: Mittelfeld. Das mich sofort direkt angespielt hat, das Wort fiel mir auf den Fuß.

ich spiele im Mittelfeld/wenn mich/jemand/fragen würde/wo ich spiele/würde ich sagen/Mittelfeld …

Das Gedicht ging los und weiter – ich musste gar nicht groß ins Spiel finden – wie bestellt und abgeholt. War da und erwies sich als brauchbar. Klein und wirkungsvoll. Rollte es, bis in die Oberstufe Deutsch eines Stuttgarter Gymnasiums, in eine Lehreinheit „Identität“. Und gleich kam noch eins hinterher, aber das nicht in die Oberstufe.

Nr.2 Bankleere.

mir fehlt ein Ersatzmann/mir fehlt unbedingt/ein Ersatzmann, den ich/einspielen kann


Eins von den Problemen, wie sie jede heterosexuelle Frau kennt, in welcher Mannschaft und Liga auch immer sie spielt. Sicher gäbe es auch eine homoerotische Variante,  müsste ich eine zum Einwechseln haben? dachte ich dann, wobei ich mit dem Reim eventuell in Schwierigkeiten solidarischer Art kommen würde. Ach nein, doch nicht – das geht schon. Auch den! Ball konsequent geklärt.

Kaum hatte ich 2 Fußballgedichte – und natürlich könnte ich sie auch nicht so nennen und im Meer meiner ungezählten Gedichte unmarkiert versinken lassen – verbreitete sich das wie mit Hörnerklang und ich wurde zur Zeit der WM zu einem Slam eingeladen, ins alte Französische Kino in Reutlingen, genannt FranzK und Kulturzentrum: Du hast doch Fußballgedichte!? Das konnte ich bestätigen. Man lässt sich ja nicht lumpen, also hab ich noch ein, zwei produziert, dabei ein hässliches, gemeines, männerfeindliches.

Nr.3 91. Minute - Gebaut aus lauter sehr ernsthaft sportlichen, sachlichen Fachbegriffen und Redeweisen, den Ball mal kurz – es gibt auch lange Bälle! – umgedreht und in die gegnerische  Abwehr gedonnert:

und wenn er sich ein Zelt/vor dem Tor aufstellt und versucht/mit dem Schiedsrichter zu verhandeln … Aus. Ende der Spielzeit. Verdiente Niederlage.

Wobei ich mir schon des Handspiels, Übergriffs, der sachfremden, fröhlichen Nutzung bewußt war, aber spielfreudig weitergedribbelt, hochmotiviert. Für meine Zwecke war zu viel Brauchbares in Jargon und fußballerischer, technischer Fachsprache, um an den Vorlagen vorbeizulaufen. Der Ball kommt. Und hatte ich nicht mal in einem Slam-Text, „Hackfleisch oder Der Furz, eine deutsch-türkische Liebesgeschichte“, der das alpine Panorama eines hellen, vollkornfeindlichen Spaghettibergs auf dem Teller malt und die Gipfel-Frage stellt: heute mal mit oder ohne? Hacki ?? „Ich will aber Braun dabei haben. Ich will tierische Fette drin haben. Ich will …“ – oder besser biobewußter: Rot-Weiß-Essen. Da hatte ich schon mal eben blind rübergegriffen. Und aus der sehr selbstverständlichen Verwendung in einem anderen sprachlichen Umfeld, der Verschiebung, entsteht ja die Komik. Die Versetzung, De-platzierung macht die Störung der Erwartung, Verblüffung über den Einwurf, Vorstoß. Es gibt Reibungswärme – der Ball wird heiß – fremde Landschaften touchieren sich, Sprachkanten crashen, die hörbare Zwangskopulation zweier Kontinente.

Der Fußballsprache werden nationalistische, militaristische und sexistische Tendenzen vorgeworfen und nachgewiesen. Aber das lief schon vor dem Spiel. Kriegerische Metaphern waren verbreitet in der Volkssprache im 19. Jahrhundert, geprägt von Nationalismus und imperialistischen Bestrebungen. Längst eingebürgert. Die Anfänge des Fußballs (obwohl er rund ist) lagen ja in einer Zeit, in der das Militärische feldüberlegen war, im täglichen Leben. Populär und also auch sprachlich sich einprägend wurde der Fußball aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg (das Wunder von Bern!). 

„Emotional und martialisch“ wurde die Fußballsprache genannt, genau wie ichs brauchte! Und in allen Härtestufen. Fußball – DramaKing, Gut und Böse auf der Bühne, Helden und komische Figuren, Versager auf ganzer Linie, Künstler und brave Handwerker, Läufer, Lieferanten … alle auf dem Platz. Drama und! Tragödie kriegen wir geboten, Lustspiel und lieblose Ackerei auf dem Feld, müde Krieger, aber auch schweißglänzende Sieger und Siegerinnen! Klar aber auch eine Männersprache, geschichtlich gesehen – Männergebaren, Männergehabe, geht es ums Jagen, um Beute, um Siegen und Kriegen. Kräftevergleichen könnte man pädagogisch sagen, der Wettstreit steht im Vordergrund, aber wird dem Glauben nicht mit jedem gezielten Foul quasi in die weltfremden, sportromantischen Eier getreten? 

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