Poesiekick

Kleine Chronologie

Autor:
Anna Breitenbach
 

Kleine Chronologie

Chronologie meiner fußballpoetischen Laufbahn - kleine Werkübersicht

Nr.5 Spitzenspieler des Jahres – In dem Gedicht konnte ich ein Szenario von tragischem Dauerversagen entfalten, den Schuss in den Ofen im Tor unterbringen. Wie fündig man in der Fußballsprache wird, wie gnadenlos viele Worte es für das Verlieren gibt, wie man breit aufgestellt scheitern kann, den Erwartungen nicht entsprechen, die Leistung nicht bringen,

in der Abwehr schwach/im Sturm vermißt gemeldet/im Strafraum wie zu Hause/fühl ich mich Abseits erst/richtig wohl …
 
Wie man jede Chance gezielt verpassen, verjagen kann, Freistoß, Ecke verschenkt, Elfmeter in die Erde versenkt, in jede Falle gehen, jede gute Angriffs- oder Tormöglichkeit vertrödeln, versemmeln kann. Angreifen ist gut! Gewinner greifen an, warten nicht auf Geschenke vom Weihnachtsmann! Kann man lebenslang Verteidiger sein? Glückfreier Verein. Sturmfreie Bude.
Das Spiel immer wieder mit neuer Kraft verlieren, ja doch fast verlieren wollen, so wies aussieht! hoch verlieren, erniedrigt werden wollen, die Stiefel küssen. Weil man schlecht ist, „so schlecht, ich bin soo schlecht!“ (Anke Engelke) Der Ball im DauerAus. Kein Einwurf mehr. Abpfiff. Werden welche für die Bank geboren? Als Tribünenfutter. Und kommen nie ins Spiel. 

Jetzt hat man ja als Dichter/Dichterin auch einen sozialen Auftrag, also machte ich so weiter, dämpfte meine Spielfreude ein wenig, um nicht triumphierend zu wirken, das Schicksal herauszufordern –  so pumperlgsund und unverletzt – um the next zu produzieren. 


Nr. 6 Ballverlust

das spiel läuft/ohne dich und/jeder schlechtere/Spieler ist auf/dem feld nur/du nicht, du nicht/du bist nicht/aufgestellt! …

Mit der Ansage ließ sich jede Krankheit, anfallsartig oder chronisch, mit oder ohne Todesfolge gut behandeln. Verwarnung, von den Füßen geholt, umgesägt, flachgelegt … Feldverweis, Ausmusterung, lebenslang Sperre … Tribünenehrenplatz! 

Und schon kam Nr. 7 aus der Kabine, was heißt hier „schon“, wir sind in 2012! Hieß zwar meine Mannschaft, aber die bestehend aus weiblichen Körperteilen, die Brust ist rund (wenn sie nicht spitz ist), Mannschaftsmitgliedern, die alle spieleifrig bei allen möglichen  Begegnungen dabeisein wollen …  erwartungsvoll, sich fast vordrängeln, aufgestellt zu werden, von den Vertiefungen ganz zu schweigen. Alles, nur nicht auf der Bank missmutig rumhängen und zusehen müssen, spielsüchtig und entsetzlich spielfern, wie das Flachland von den Bergen.

Worums geht, bei dem Ganzen? Ums Toreschießen, ganz einfach. Torjäger, Scharfschützen, Flintenweiber in Position. Der Tormann bewacht das Tor, man versucht, den Ball reinzubringen, den Reim heim und verwandeln!, verwandeln! Auch mit kleinem Ball kann man groß rauskommen. Der Abräumer sein. Der Spieler wird mit jedem Tor teurer!
Manche Bälle haben einfach zu wenig Luft, zu wenig drive, keine Berechnung, keinen Bogen. Bleiben am Boden, am Fuß kleben. Fliegen nicht! Zauber? Poesie? Fehlanzeige.
Deswegen heißt meine Nr. 8 einfache Spielanleitung, zur EM noch fertig geworden. Man tut, was man kann. Um die Mannschaft  zu unterstützen.


laß es knallen, den Keeper
vor dir auf die Knie fallen, mit
leeren Händen
du stehst voll davor, du hast
den Schuß, den Ball auf dem Fuß
s c h i i i i i e e e ß !!!!!!!!!!
doch! …
mach es, verdammt, das Tor.


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1 Pressestimmen zum ersten Spiel der deutschen Elf in England“. In: „Welt“, 17.7.1966
2 Deutsche Akademie für Fußballkultur. Wie im Krieg? Über das komplizierte Verhältnis von Fußball, Sprache und Pazifismus.
3 Sonntag Aktuell, die Sonntagsausgabe der STZ, 10.6.2012
4 Zitiert nach René Pohl: Fußballsprache. Die historische Entwicklung des Sprechens und Schreibens über Fußball unter besonderer Berücksichtigung der Sprache der Presseberichterstattung. Staatsexamensarbeit. Universität Mannheim, Mannheim.
5 Zitiert nach: Fußballsprache/Alltagsdeutsch/dw.de
6 Sonntag Aktuell, die Sonntagsausgabe der STZ, 10.6.2012
7 ebenda
8 Übertragung des Spiels Deutschland – Portugal, ARD, Reporter Gerd Gottlob
9 Sonntag Aktuell, die Sonntagsausgabe der STZ, 10.6.2012


Nachsatz:
Meine örtliche Zeitung bringt ein Interview mit mir zur EM, breitseitig, samt Foto der bekannten Fußballexpertin – mit Ball und ganz locker dazu einen Stift ins Bild haltend - zum Thema Fußball & Poesie. Und die 8 Fußballgedichte sind über die EM poetische Erscheinungen, Leuchtfeuer im sonst eher lyrikfreien Lokalteil. Zeitungszeichen und Wunder. Wenns um Fußball geht, geht alles.

 

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