Venedig sehen und sterben oder Meine Mutter mordet

Kriminal Tango in acht Folgen

Autor:
Mechthild Curtius
 

Kriminal Tango in acht Folgen

4 Perugia

"So bösartig gucke ich?" "Nur finster. Vielleicht haben Sie Sorgen." Katharina schweigt, der Mann führt sie weiter. Sie halten vor einer in Augenhöhe angebrachten meterlangen Truhe aus 'Legno die Noce', Walnussholz, für die Stadtdokumente. Der Mann, denkt sie, kann nicht bös sein. Er skizziert die Zunftzeichen der Truhe blitzschnell auf einen Block, Fische für den Fischer, Stiefel für den Schuster, Amboss und Hammer für Schmied, Lamm, Schere, Zirkel, Meißel. "Was gibt es noch für Berufe", fragt er sie, "Hirte, Fleischhauer, Bäcker, Jäger, Bauer". Die für Nahrung Zuständigen will Herr Färber aus Graz wissen. Denn dass er Fleischhauer" sagt, eher die Vokale langzerrt wie "Fleysch", deutet auf Wien. Sie fragt ihn, er stellt sich vor. Wie schön ist ein normales Gespräch. Ganz selbstverständlich vertraut er auf ihr Urteil. Aber er kann doch nichts von ihrem Kunststudium in Leipzig wissen? Kommt er von denen da? Ein Spion? Bleib auf dem Teppich, du wirst immer misstrauischer. Gehörst schon zu deinen Kriminellen. Er guckt besorgt. Signora Lerssling? Sie hat ihm vorhin doch ihren richtigen Namen gesagt, auch das Vertrauen hat seine altangestammten Minuten; zur Verbrecherin bin ich zu lebenslustig, denkt sie sekundenlang, dann wird sie ruhig und folgt ihm. Doktor Färber zeigt ihr im oberen Stock höfische, süßliche Liebesszenen, rosa Fleisch. Vom obersten Stockwerk spähen sie tief in die Schlucht des unteren Geschosses auf die samtigen Stellwände mit ihren Madonnen. "Kommens mit, seien's mein Gast auf einen Schwarzen!"Sie sitzen dann vor dem Café neben dem Museum beim Espresso, betrachten Palazzo-Fronten und Passanten, vis à vis steht ein Zelt mit einer KunstausteIlung. Er fachsimpelt ein bisschen vor sich hin, so hat sie Zeit, sich ein Bild von ihm zu machen. Noch älter als Norbert wird er sein, vielleicht Ende fünfzig, um die Sechzig, feine Haut wie gefaltetes Pergament spannt sich über Wangenknochen und breite hohe Stirn mit einigen Pigmentflecken, den schmalen Mund verdeckt der Schnauzbart gar nicht. Ob er den gefärbt hat, der müsste doch grau sein? Die Augen bannen, an wen erinnern sie? Solche schweren Lider vorgewölbten geäderten Kugeln, schwarze Ringe umkreisen die bernsteingelbbraune Iris. Sie studiert sein Porträt wie vorhin die Gemälde, mehr als dass sie auf seine Vorlesung hinhört, nur dass sie überlegt, ist er nun Künstler oder Wissenschaftler. Oder "Die modernen Künstler in Italien haben es schwer. Wie heute gegen Pisano anbauen, gegen Piero anmalen? Die Meister damals im Trecento haben das Beste ihrer Zeit idealisiert, Dreck und Sklavenarbeit weggelassen, idealisiert Paesaggio, Landscape, Landschaft, malten Enten ohne Mist, Menschen und Bauten ohne Gestank. Denn der war da in den immer größer werdenden Städten! Das Parfum musste erfunden werden! Aber ich rede und rede. Erzählen Sie von sich. Wo kommen Sie her?" "Aus Frankfurt. Am Main." "Aus Frankfurt, am Main, nicht dem an der Oder, soso. Palazzi bei euch in Frankfurt haben heute Commune oder Banca."

Herr Färber verbindet Information mit Witz, und sie lacht gelöst. Wie anders ist das heute als gestern mit Alfredo. Warum nicht einfach Turista sein wie jetzt. Ob sie laut denken, den Mann um Rat fragen soll? Lieber noch nicht. Schon einmal ist sie voreilig gewesen. Der Gauner lässt sich überhaupt Zeit. Das geht doch wohl aus wie das Hornberger Schießen. Noch hat sie keinen Pfennig in barer Münze bezahlt, das mit dem neuen Telefon-Banking per Cash zieht sich hin, "noch nicht ausgereift das System". Aber der harte Vorschuss in Naturalien soll erst recht nicht für die Katz sein, des Klebrigen Gattin spielen und obendrein gute Miene zum miesen Spiel machen zu müssen. Brutal ist er 'dabei' nicht und in seiner Amore ganz einfach, Fantasiemangel kann auch Vorteile haben, freiwillig ist es aber nicht und darum eklig. Vor allem stellt sich dabei der Vergleich mit Pieros findiger Zärtlichkeit und ihrer Zuneigung ein. Wer verdient den Tod mehr? Wer ist Mordopfer, und wer ist Mörder? Sein Geld wird Alfredo ihr abknöpfen. Nicht einmal finden konnte er Piero bisher. Alles ist anders, seit sie Sandro wiedergesehen hat. Sie will nur noch ihn, oder auch nicht, erst mal retten vor solchen wie Alfredo. Ihr dämmert, dass es Schlimmeres gibt für das Kind als die Familie seines Vaters. Ihn zu haben auch ihr Egoismus? Haben, ein Ding ist er nicht. Aber er hat so wie in Todesnot nach Mamma gerufen. Das muss sie erhören. Alptraum von der Treppe die letzte Nacht und bestimmt die nächste und immer und ewig. Rabenmutter-Traum. Herr Färber mit der steirischen Stimme indessen erzählt. Kommen Sie mit? "Komman's mit", sagt er. "Ich fahre weiter auf den Spuren der Renaissanc-Malerei. Zu Unrecht vernachlässigt sind die Meister in den Marken."

"Eh, Pizzabäckerin, da bin ich, haste dich anderweitig umgesehen? Da kann ich dich im Hotellsange anrufen!" Alfredo macht seine alten Rechte geltend. - "Heute Abend im Ristorante Rigo." Dem Anderen, Herrn Färber, gönnt er keinen Blick und kein Wort. Abendessen im Ristorante eines 'Cousins', so sieht der auch aus, gedrungen, Doppelkinn dicht überm Kragen, Schmalztolle. Eine Sterne-Koch und Star-Koch ist Rigo. Monica Witti, Robert Mitchum, Milva, Bette Midler und viele anderen Prominenten haben da gegessen. Deren Fotografien mit Signaturen hängen protzend an den Wänden, das bauscht den Preis auf wie das Selbstgefühl des Kochs. "Wars gutt?" Fragt der Vetter nachher. "Für jedes Korn Salz zuviel eine Lire, das macht es so teuer." Katharina ist alles gleich. "Sale? Troppo? Diese Tedesca ist ja Kennerin! Für die Deutschen haben wir uns doch das Essen verdorben, weil die immer nach dem Salzstreuer schreien. Wo war denn zuviel Salz?" "Doch ja, Rigo, in Francoforto sagen sie, wenn sähr salzig, der Koch ist verliebt. Si,sie, Wirklich troppo - un pocco in den Rognochini, den Kalbsnieren, in den Trippa mit Zitronenraspeln. Die Ravioli di Patate mit Pinoli sind gut. Fiorentina di Manzo mit frittierten gelben Kürbisblüten ausgezeichnet. Squissito."

Ein Kellner rennt herbei und reicht dem Padrone ein Handy. Der reicht es dem Alfredo weiter "Ein freches Maul hat deine deutsche Gattin, Vetter Alfredo, du weißt, wie man ihr das stopft." Auf einmal hat sich die entspannte Atmosphäre aufgeladen. Ganz schnell und halblaut sprechen sie miteinander, gewohnt, von Tedesci nicht verstanden zu werden. Etwas ist während der Gerichtsverhandlung heute schiefgelaufen. Der Padrone geht. Alfredo wendet sich Katharina zu: "Wir müssen weiter. Nach Porto Ascoli, vielleicht auch nach einer kleinen Bucht in der Nähe, dein Sohn soll dort sein. Morgen sehr früh."

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