Essay

Offen für Bewegung. Bettina Hartz über jüngere deutschsprachige Gegenwartslyrik.

Blumentapeten, Metamorphosen und die Imago des Gedichts (Winkler, Popp)

Ron Winkler, der mit den Lebensformpoeten auf den ersten Blick manches gemeinsam hat – auch er huldigt dem lyrischen Wir, liebt die parataktische Syntax, ist geradezu neologismentrunken und hat eine Schwäche für Unbestimmtheiten –, hält seine Synapsenenden dagegen neugierig ins Offene. An bloßer mimetischer Verdopplung abgepackter Wirklichkeitsfasern ist er nicht interessiert. Und unterliegt nicht dem Irrtum, Dichtung erschöpfe sich in der Verlabelung medial gefilterter Wirklichkeit, er erfindet sich seine eigene, faltet die Sprache auf, hinein in einen Möglichkeitsraum, der nur noch seinem eigenen Referenzsystem gehorcht, das ihn mit seiner unerschöpflichen Potentialität ebenso zu überraschen vermag wie den Leser. Im zuletzt erschienenen Band, „Frenetische Stille“ (Berlin Verlag 2010), hat Winkler den früheren Hang zu photoshopbunterTapetenpoesie zwar nicht gänzlich abgestreift, die lyrische Immanenz in Richtung überschießender poetischer Welterfindung aber glücklich verlassen. Die Texte durchscheint eine Imago des Gedichts, ein Ideal der Gattung, erschaffen aus einem Eigensinn, der sich die Mittel zubereitet, nicht importiert. Den Leser ergreift da eine ästhetische Lust, die ihn nicht mehr vorwärtstreibt, einer Pointe zu, sondern verweilen lässt im Genuss des poetischen Überschusses.

 

Fächer: Von den Jahren der Reise an einem einzigen Tag

(. . .)

wir saßen da, in dieser massiv ätherischen Landschaft

aus Augenaufschlägen, saßen da und saßen zugleich: in unseren Träumen.

als noch nicht

begonnene Bräutigame. und fühlten uns

angesprochen bei den Durchsagen auf ihrer Suche nach empfänglichen Ichs.

es war

unsere Suche. und Suche war unser Empfang.

ich konnte das Klima mittlerweise aus deinen Gesten

lesen. und dass sich neben uns nicht nur Punkpraktikanten befanden

mit beruhigend hündischen Tieren,

sondern auch Lichtschaffende und Lichtdistributoren, versunken

in die Pfauenflora,

die als kinetischer Horizont an uns vorüberzog,

während die Stadt im Norden zu einer Stadt im Süden wurde,

geworden war.

(. . .)

 

Ähnlich lebendig wie Winkler, wenn auch von anderem Temperament, ist Steffen Popp. Ein schwermütiger Metaphysiker, ohne Scheu, seine Sensibilität zu zeigen, hier und da ein wenig pathosverliebt. Schon im ersten Band („Wie Alpen“, Kookbooks 2004) hatte er seinen ganz eigenen Ton, der, ohne Vorabgewissheit und doch auf die eigenen sanften Kräfte vertrauend, sich einer vorwärt tastenden, mäandernder Bewegung überlässt, gleichsam über ihnen schwebend die Entstehung der Verse begleitet: „am Talgrund zog unter dem Eis / das Wasser meerwärts, in seiner Eigenzeit / nahm Steine mit, das Licht, ich / blieb, für mich / ein verwickeltes Umspannwerk –“, heißt es in „Winter, Kunst der Entfernung“. Diese Bereitwilligkeit, das Gedicht seine eigene organische Form finden zu lassen, ist im fertigen Text immer noch spürbar, verleiht ihm seine Transparenz und die Fähigkeit, den Leser in einen leichten klaren Schwindel zu versetzen, eine behutsame Levitation, die es erlaubt, die Ordnung gerade so weit zu verlassen, dass sie sich als formende und formbare zu erkennen gibt – und damit den „Geist der ewig lebenden ungeschriebenen Wildniß“ (Hölderlin). Popp ist ein Metamorphotiker, ein naturforschender Verwandlungskünstler, Kosmossehnsüchtiger (der zweite Band, „Kolonie Zur Sonne“, Kookbooks 2008, zeigt es klar) – nur in den abschließenden anderthalb Versen erdet er sich zu oft, als hätte er Angst, zu entschweben. Man möchte sie ihm gern wegstreichen, diese Enden, die den Gedichten den Atem abschneiden und sie der schönen Freiheit berauben, zu sich selbst zurückzukehren.

 

O elefantischer Pan im Porzellantrakt der Musen

hinter den Schleiern suchst du Gesang, übst dich

in Gedanken: „Wir sind

                   ein Gespräch“ sagst du, „Wir sind

                                                                  Elefanten“

und bist ganz allein mit diesen Sätzen

einsamer als Dialoge, Dickhäuter

einsamer als die Elektrogeräte des Weltalls

stromsparende Lampen, Wärmepumpen

verwahrlost und hungrig nach Liebe kommen sie

langsam heran aus dem unendlichen Dunkel

an deiner Raumkapsel, ihren geheimen Sprossen

an deinen klugen Händen und Knien

deinen schlafenden Füßen, geträumten Flügeln

reiben sie ihe Felle aus Chrom und Kunststoff.

Die angelernte Hilflosigkeit der Gegenstände

Unmöglichkeit einer Berührung

das Lied, unter seiner Nachtmütze aus Sternen

bewegt es den einsamen Boiler, den irrenden Ventilator

den irrendes Auge

auch

in eine Nestgemeinschaft ohne Strom

ohne Gedanken

nur gravitierende Körper, ihre beinahe

       staatenbildende Panik vor dem Winter