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Statement
NSA, Teil 4
10.09.2013 | Hamburg
Die NSA, so hört man, liest mit; und zwar 1. alles, und zwar 2. ständig. Das ist natürlich Unsinn, des Datenaufkommens wegen, und zwar auch wegen eines Umstandes der Logik – läse sie alles, würde sie auch sich abzubilden haben, die eigene Aktivität in diese Erfassung einbegreifen, ihre Topik würde der Welt und darin deren Kartierung entsprechen müssen, eine Verdoppelung des Seins wäre noch nicht genug.
Also muß man erstens vermerken: Alles liest und speichert sie nicht – aber viel; zweitens ist das, was vonstatten geht, indes kein Lesen – denn Lesen ist das zeitlich an Texte anschließende Unterfangen, diese in ihrer Eigengesetzlichkeit zu entschlüsseln, ihre Regeln aus der Form zu schließen, gleichzeitig aber womöglich auch, den Text lesend weiter zu entfalten, ihn aneignend zu verfremden: scheinbar, denn die intentio auctoris jedenfalls literarischer Texte mag darin liegen, nicht in einem Konstruktion dessen, was sie sei, gebannt archiviert zu werden.
Genau dies kann ein automatisiertes Lesen nicht leisten, es kann bloß bei Relationen aufmerken – genauer: auf sie aufmerksam machen. Aber das, was da in seiner Relation bemerkenswert sei, muß vorgegeben worden sein. Also antizipiert dieses System alles, was hernach gelesen werden kann – und das ist eben nur sehr eingeschränkt ein Lesen. Es erinnert an den metaphysischen Horror bei Dürrenmatt, von den Elektronischen Hirnen heißt es bei ihm, wobei der Vektor in eine Richtung weist, zu der einem der Glaube fehlen mag, nämlich:
„Doch bald
Werden sie weiter rechnen
Ohne uns
Formeln finden,
die nicht mehr zu interpretieren sind
Bis sie endlich Gott erkennen,
ohne ihn zu verstehen”...
Die NSA, was ja vereinfachend Menschen und technische Möglichkeiten bezeichnet, könnte natürlich einzelne Texte philologisch erarbeiten, aber in der Regel bleibt dies vom Lesen: ein Erkennen von Strukturen und semantischen Aufladungen, die vorgegeben wurden. Die Frage, die sich stellt, ist: Wonach wir gesucht?
Tatsächlich spricht vieles dafür, daß grob Netze entworfen werden, genauer: rekonstruiert, nämlich, welche IP-Adressen, Namen und Begriffe sich begründet assoziieren lassen, wer (falls eine Maschine ein Wer versteht) ein Knotenpunkt ist, es geht vielleicht auch um Daten- und Kapitalflüsse, erst danach – siehe „recorded future” – darum, aus derlei ein Profil und eine mögliche Zukunft des Analysierten zu skizzieren, wobei wie schon gesagt nicht gelesen, sondern antizipiert wird. Dieses Antizipieren als eine Perversion der Verantwortung habe ich schon umrissen: Etwas, das wie die precogs in der Science Fiction von Philipp K. Dick aus vergangenem Denken oder Verhalten ableitet, ist als Zukunft schon von jenem, dem es bloß unterstellt wird, zu verantworten.
Hier wird aber, dies ist die Pointe, nicht gelesen; und beim Registrieren von angeblichen Vernetzungen ebensowenig. Vielleicht aber ist es so, daß heute Texte forciert werden, die man auch nicht lesen muß..?
Das entspräche dem Kapitalismus, wo er bestimmte Menschen, durchaus die Mehrheit, in Konsumenten transformiert. Ungelesen: Lesen beinhaltet den Schauer vor einer Uneigentlichkeit des Wortes, einer Unlesbarkeit, die aber zum Lesen gehört, die Lektüre an dem, was Schreiben ist, teilhaben läßt, wobei man hier ahnt, wie sich philologische und juristische Lektüre unterscheiden, nämlich in Bezug auf die Verantwortung. Juristen wie Kafka erträumten sich stets ein Recht der Umdeutung, schrieben dort Literatur, wo sie sich als Juristen vollendeten, die den Gesetzestext als etwas verstanden, worin man intervenieren muß, und die Intervention als etwas, das zugleich nicht mehr subjektiv wäre. Ungelesen – maschinelles Lesen konstruiert dagegen eine binäre Situation, einer, den sie liest, also nur maschinell liest, „ist selbst innerhalb der Ordnung, oder aber seine Sprache ist nicht korrekt gebildet.” (Michel Serres)
Man kann in der Folge in einer formal (und folglich inhaltlich?) konservativen Sprache (?) korrekt oder aber nur unverständlich sein, was auf einem niedrigeren Level ein Vergehen ist, wie es auf einem höheren die precogs und ihresgleichen dem Menschen unterstellen. Tertium non datur. Das Vergehen der Unverständlichkeit und seine Ahndung gab es immer, wer unverständlich formuliert, der wird sozial geächtet, was immerhin im Bildungsbürgertum eine Symmetrie insofern ergab, als man umgekehrt auch jene ächtete, die nicht verstanden: Formulieren ist ein Teil der sozialen Distinktion. Heute ist indes eine spezifische Ahndung von Unverständlichkeit systemisch geworden, während Bildung allenthalben demontiert wird, man auch und vielleicht sogar gerade das an ihr, was nicht Dünkel ist, insgesamt zerstört.
Unsere Kultur ist im Begriff, analphabetisch zu werden. Und hier zeigt sich eine Allianz: Das Interesse einer Überwachung an einer reduzierten, darum verlustfrei zu lesenden und dabei mangels Formwille wirklich zu lesenden Kommunikation entspricht jenem, Menschen zu Konsumenten zu machen, zu Versorgenden, die freilich in ihrer virtuellen Abhängigkeit zuletzt den sie parasitierenden Versorger erhalten, weshalb, so sehr bei der Bildung gespart wird, die Ausbildung gerne propagiert wird. Die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft vollendet sich hier: indem, wer Knecht ist, als Herrscher inszeniert wird, bleibt der Konsument das Wenige, was zu sein man ihm zudenkt. Beide, NSA und Kapitalismus, treiben „monströse[n] Virtualitäten”, wie es Alain Badiou nennt – die das Menschliche abschaffen.
Man muß sich nicht fragen, ob Facebook & Co. mit der NSA kooperieren, Verschlüsselungen auflösen, Datensätze zugänglich machen, ganz offen wird eine Entschlüsselung qua Entsprachlichung betrieben – durch sharing angeblich lustiger Bilder, denen dann likes zuteil werden, durch Icons, die Ironie, indem sie sie indizieren, auflösen, oder aber ganze Sätze maschinenfreundlich ersetzen, als wäre ein gelbes Schmunzelgesicht Wiedergabe eines Gefühlzustandes oder gar eines Gedankens. Es ist eine Infantilisierung, wobei infans ja in der Tat sprachlos heißt.
Müssen wir also die NSA fürchten? Zweifelsohne. Aber auch uns, unsere Bereitschaft, es ihr und nicht nur ihr leicht zu machen, uns einer (Un-)Sprache zu bedienen, deren Bedienungsfreundlichkeit Argwohn verdient: lesbar selbst für Illiterate, erfüllend, wogegen wir anzukämpfen vermeinen. Enzensberger bemerkte, daß, wer „nicht besser dichten kann als die Maschine, [...] besser daran (täte), es bleiben zu lassen”, vielleicht aber ginge es vielmehr um das, was man hierbei nie kann – und um einen neuen Kampf für eben dies, wie auch um die eigene Sprache, die, könnte man sie, eben schon keine Sprache mehr wäre.