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Essay
Das schwindende Licht der Demokratie
Natürlich stellte sich die frisch gewählte BJP loyal zum Freien Markt auf. Nur wenige Wochen nach der Regierungsübernahme praktizierte sie eine Reihe von Atomtests. Die nationalistische Triumphorgie, mit der diese begrüßt wurden, markiert den Beginn einer neuen, eiskalten Sprache der Aggression und des Hasses im öffentlichen Diskurs. Im Februar 2002, nach dem Brandanschlag auf einen Eisenbahnwaggon, in dem 58 von Ayodhya zurückkehrende hinduistische Pilger starben, setzte sich die BJP-Regierung in Gujarat unter der Führung von Ministerpräsident Narendra Modi an die Spitze eines sorgfältig geplanten Genozids an Muslimen im Bundesstaat. Die weltweit generierte Islamophobie nach dem 11.
September 2001 beflügelte sie nachhaltig. Der Staatsapparat in Gujarat sah untätig zu, als mehr als zweitausend Menschen massakriert und über 150.000 Muslime aus ihren Häusern vertrieben wurden. Dies war ein Massaker - und ein Genozid. Und obwohl die Opferzahl im Vergleich zum Schrecken in Ruanda oder Kongo gering war, stellte das Gemetzel in Gujarat ein bewusstes, öffentliches Spektakel dar – mit unmissverständlicher Intention. Es war eine öffentliche Warnung der Regierung des demokratischen Lieblings der Welt an die muslimischen Landeskinder. Nach wie vor leben die Muslime in Gujarat in Ghettos, leiden unter dem sozialen und ökonomischen Boykott und haben keine Aussicht auf Gerechtigkeit.
Die Mörder laufen weiter frei herum. Es sind angesehene Mitglieder der Gesellschaft.
Nach dem Blutbad drängte Narendra Modi in Gujarat zu Neuwahlen und wurde mit deutlicher Mehrheit im Amt bestätigt. Fünf Jahre später konnte er seinen Erfolg wiederholen: Aktuell ist er in seiner dritten Legislaturperiode.
Im Januar 2009 lobten die Generaldirektoren zwei der größten indischen Unternehmen, Ratan Tata (als Teil der Tata Group) und Mukesh Ambani (Reliance Industries), in einem großen, öffentlichen Akt die Entwicklungspolitik Narendra Modis und empfahlen ihn nachdrücklich als künftigen Premierminister. Damit besiegelten sie das organische Bündnis zwischen ‘Einheit’ und ‚Fortschritt’ bzw. zwischen Faschismus und dem freien Markt.
~
Die jüngsten Parlamentswahlen in Indien kosteten 2009 rund zwei Milliarden Dollar, weit mehr als die jüngste Präsidentschaftskampagne in den USA. Einige Medien berichteten sogar, es wären bis zu zehn Milliarden Dollar ausgegeben worden. Woher kommt dieses Geld,
fragt man sich?
Die Kongresspartei und ihr Bündnis der United Progressive Alliance (UPA) errangen eine komfortable Mehrheit, wogegen über neunzig Prozent der unabhängigen Kandidaten bei dieser Wahl zu den Verlierern gehören. Kein Wunder: Sie können weder subventionierten Reis, noch freies Fernsehen oder Bargeld gegen Wählerstimmen versprechen oder die unwürdigen, vulgär-karitativen Akte vollziehen, zu denen Wahlen in unserer Zeit verkommen sind.
Ein genauerer Blick auf das Wahlergebnis zeigt jedoch, dass Begriffe wie ‚komfortabel’ oder ‚Mehrheit’ täuschen bzw. schlichtweg falsch sind. So wurde die UPA beispielsweise von nur 10,3 Prozent der Bevölkerung des Landes gewählt. Ist es nicht interessant, wie die pfiffig gestaltete Arithmetik der Wahldemokratie eine winzige Minderheit zu einer haushohen Mehrheit machen kann?
Im Vorfeld der Wahlen herrschte weit über die Parteigrenzen hinaus Konsens über die Notwendigkeit von Wirtschafts’reformen’. Manch ein Beobachter empfahl gar sarkastisch, Kongress und BJP sollten doch eine Koalition eingehen. Ermutigt durch die ‘konstruktive’Zusammenarbeit und den Parteienkonsens, engagierten sich die großen Konzerne begeistert für die Kampagne. Ihnen ist nicht entgangen, dass ein demokratisches Mandat die beste Chance für die Legitimierung ihrer Ausplünderung des Landes bietet. Zahlreiche Unternehmen sponserten massive Werbekampagnen im Fernsehen - teils unter Mitwirkung von Bollywood Filmstars - um die Inder - Alte wie Junge, Reiche und Arme - an die Wahlurnen zu locken.
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Wie auch immer es weitergehen mag: Die Wahlen in Indien 2009 haben das Projekt ‚Fortschritt’ sicher auf den Weg gebracht, was keineswegs heißt, dass das Projekt ‘Einheit’damit auf der Strecke bliebe.
Zu Beginn des Wahlkampfes forderte der schreckliche neue Mann der BJP, Varun Gandhi (auch er aus dem Nehru-Klan), gegen den selbst Narendra Modi moderat erscheint, dass Muslime zwangssterilisiert werden sollten. „Dies wird eine Bastion der Hindus sein. Kein **** Muslim soll es wagen, sich hier zu erheben”, sagte er, und wählte einen höchst diskriminierenden Begriff für eine beschnittene Person. „Ich will keine einzige muslimische Stimme.“ Varun Gandhi gewann die Wahl mit riesigem Vorsprung, was die Frage aufwirft, ‚ob das Volk immer Recht hat’.
Die ehrwürdigen Institutionen der indischen Demokratie - Justiz, Polizei, ‘freie’ Presse und, natürlich, Wahlen - sind längst kein System der gegenseitigen Kontrolle mehr. Ganz im Gegenteil. Die Gerichte stehen heute nahezu komplett im Dienst der Unternehmensinteressen. Die Medien finanzieren sich zu über neunzig Prozent aus Werbeeinnahmen. Die staatlichen Institutionen geben sich gegenseitig Deckung, um im ‚weiter reichenden’ Interesse von Einheit und Fortschritt zu handeln. Dabei produzieren sie so viel Konfusion und Lärm, dass warnende Stimmen längst nicht mehr zu hören sind. Dies wiederum stärkt das Bild der toleranten, schwerfälligen, bunten und ein wenig chaotischen Demokratie. Das Chaos ist real. Ebenso wie der Konsens.
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September 2001 beflügelte sie nachhaltig. Der Staatsapparat in Gujarat sah untätig zu, als mehr als zweitausend Menschen massakriert und über 150.000 Muslime aus ihren Häusern vertrieben wurden. Dies war ein Massaker - und ein Genozid. Und obwohl die Opferzahl im Vergleich zum Schrecken in Ruanda oder Kongo gering war, stellte das Gemetzel in Gujarat ein bewusstes, öffentliches Spektakel dar – mit unmissverständlicher Intention. Es war eine öffentliche Warnung der Regierung des demokratischen Lieblings der Welt an die muslimischen Landeskinder. Nach wie vor leben die Muslime in Gujarat in Ghettos, leiden unter dem sozialen und ökonomischen Boykott und haben keine Aussicht auf Gerechtigkeit.
Die Mörder laufen weiter frei herum. Es sind angesehene Mitglieder der Gesellschaft.
Nach dem Blutbad drängte Narendra Modi in Gujarat zu Neuwahlen und wurde mit deutlicher Mehrheit im Amt bestätigt. Fünf Jahre später konnte er seinen Erfolg wiederholen: Aktuell ist er in seiner dritten Legislaturperiode.
Im Januar 2009 lobten die Generaldirektoren zwei der größten indischen Unternehmen, Ratan Tata (als Teil der Tata Group) und Mukesh Ambani (Reliance Industries), in einem großen, öffentlichen Akt die Entwicklungspolitik Narendra Modis und empfahlen ihn nachdrücklich als künftigen Premierminister. Damit besiegelten sie das organische Bündnis zwischen ‘Einheit’ und ‚Fortschritt’ bzw. zwischen Faschismus und dem freien Markt.
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Die jüngsten Parlamentswahlen in Indien kosteten 2009 rund zwei Milliarden Dollar, weit mehr als die jüngste Präsidentschaftskampagne in den USA. Einige Medien berichteten sogar, es wären bis zu zehn Milliarden Dollar ausgegeben worden. Woher kommt dieses Geld,
fragt man sich?
Die Kongresspartei und ihr Bündnis der United Progressive Alliance (UPA) errangen eine komfortable Mehrheit, wogegen über neunzig Prozent der unabhängigen Kandidaten bei dieser Wahl zu den Verlierern gehören. Kein Wunder: Sie können weder subventionierten Reis, noch freies Fernsehen oder Bargeld gegen Wählerstimmen versprechen oder die unwürdigen, vulgär-karitativen Akte vollziehen, zu denen Wahlen in unserer Zeit verkommen sind.
Ein genauerer Blick auf das Wahlergebnis zeigt jedoch, dass Begriffe wie ‚komfortabel’ oder ‚Mehrheit’ täuschen bzw. schlichtweg falsch sind. So wurde die UPA beispielsweise von nur 10,3 Prozent der Bevölkerung des Landes gewählt. Ist es nicht interessant, wie die pfiffig gestaltete Arithmetik der Wahldemokratie eine winzige Minderheit zu einer haushohen Mehrheit machen kann?
Im Vorfeld der Wahlen herrschte weit über die Parteigrenzen hinaus Konsens über die Notwendigkeit von Wirtschafts’reformen’. Manch ein Beobachter empfahl gar sarkastisch, Kongress und BJP sollten doch eine Koalition eingehen. Ermutigt durch die ‘konstruktive’Zusammenarbeit und den Parteienkonsens, engagierten sich die großen Konzerne begeistert für die Kampagne. Ihnen ist nicht entgangen, dass ein demokratisches Mandat die beste Chance für die Legitimierung ihrer Ausplünderung des Landes bietet. Zahlreiche Unternehmen sponserten massive Werbekampagnen im Fernsehen - teils unter Mitwirkung von Bollywood Filmstars - um die Inder - Alte wie Junge, Reiche und Arme - an die Wahlurnen zu locken.
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Wie auch immer es weitergehen mag: Die Wahlen in Indien 2009 haben das Projekt ‚Fortschritt’ sicher auf den Weg gebracht, was keineswegs heißt, dass das Projekt ‘Einheit’damit auf der Strecke bliebe.
Zu Beginn des Wahlkampfes forderte der schreckliche neue Mann der BJP, Varun Gandhi (auch er aus dem Nehru-Klan), gegen den selbst Narendra Modi moderat erscheint, dass Muslime zwangssterilisiert werden sollten. „Dies wird eine Bastion der Hindus sein. Kein **** Muslim soll es wagen, sich hier zu erheben”, sagte er, und wählte einen höchst diskriminierenden Begriff für eine beschnittene Person. „Ich will keine einzige muslimische Stimme.“ Varun Gandhi gewann die Wahl mit riesigem Vorsprung, was die Frage aufwirft, ‚ob das Volk immer Recht hat’.
Die ehrwürdigen Institutionen der indischen Demokratie - Justiz, Polizei, ‘freie’ Presse und, natürlich, Wahlen - sind längst kein System der gegenseitigen Kontrolle mehr. Ganz im Gegenteil. Die Gerichte stehen heute nahezu komplett im Dienst der Unternehmensinteressen. Die Medien finanzieren sich zu über neunzig Prozent aus Werbeeinnahmen. Die staatlichen Institutionen geben sich gegenseitig Deckung, um im ‚weiter reichenden’ Interesse von Einheit und Fortschritt zu handeln. Dabei produzieren sie so viel Konfusion und Lärm, dass warnende Stimmen längst nicht mehr zu hören sind. Dies wiederum stärkt das Bild der toleranten, schwerfälligen, bunten und ein wenig chaotischen Demokratie. Das Chaos ist real. Ebenso wie der Konsens.
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