weitere Infos zum Beitrag
Essay
Von der Präsenz der Poesie – ein Portrait des Verlags APHAIA
Es ist natürlich entscheidend, was wir denken und tun. Und, ob wir wollen oder nicht, unser Tun und unser Nicht-Tun haben Auswirkungen, wirken in die Augenblicke der Welt, weil sie die Summe sind all des Gedachten und aller Taten und sich immer wieder zusammensetzen, neu und verändert. Jeder Moment enthält Möglichkeiten und es liegt ganz genau bei uns, welche davon wir beim Schopf packen und welche wir auslassen und welche wir erst gar nicht sehen. Die Verwirklichung der Welt ist unser Job. That’s the way the world goes. Stefan George hat dazu Kairos bemüht, den Gott des ewigen Augenblicks und diese Einsicht zu einer großen eigenen Philosophie erhoben: „Der tag war da: so stand der stern./ Weit tat das tor sich dir dem herrn .../ Der heut nicht kam bleib immer fern! / Er war nur herr durch diesen stern.“ (1907 erschien dieses Gedicht im „Siebenten Ring“). Ein bißchen unglücklich, daß er Sterne bemüht, wo es ums Diesseits geht und um das ausgefüllte Da und den Tag der Entscheidung. Wobei es tatsächlich um ein Scheiden geht, Möglichkeiten wahrzunehmen oder auszulassen.
„Kairos ist über keiro (abschneiden) mit krinein verwandt. Das heißt scheiden, trennen, unterscheiden, aber auch entscheiden, ein Urteil fällen. Das Substantiv dazu heißt krisis. Die krisis ist die Trennung, der Einschnitt, bedeutet aber auch Entscheidung eines Wettkampfes, eines Streites, auch eines Rechtsstreites, und dann heißt krisis Gericht. Kairos ist also in seiner temporalen Bedeutung eine Krise der Zeit.“, schreibt Christoph Lange in „Alles hat seine Zeit“. Die Welt strebt von Krisis zu Krisis. Die Gestalt dieser Krisis bestimmen wir selbst, indem wir alle vorgelagerten Entscheidungen, die kaum wahrnehmbaren Krisen, die Momente des Alltags, die Wahrheiten des Moments selbst bestimmen. Kairos geschieht unablässig. Scheinbar unbedeutende, kleine Dinge bauen im Hintergrund eine Achse, auf der wir geschehen bis zur nächsten großen Krisis. Kleine unbedeutende Dinge bewirken das Große.
Der 1934 in Ludwigshafen geborene Lyriker Dieter Straub gründet, durchaus unter dem Einfluß Georgeschen Denkens, 1966 in Berlin die Literaturzeitschrift „Paian“, in deren ersten Ausgabe er umreißt: „das wort nur das prägende in dem unser gesetz wohnt schafft uns die wirklichkeit unseres daseins.“ Straub versucht in der Zeitschrift andere Tendenzen der Lyrik zu bündeln, als die Tagebuchlyrismen und Politformeln der sechziger Jahre-typischen Betroffenheitsdichtung. Und er versucht die bildende Kunst mit einzuspannen, eine Welt des Schönen, eine nachgerade klassische Welt, deren Augenblicke sich zwar in der Erscheinungsweise ändern mögen, aber immer noch dieselben Fragen an uns stellen.
Es bildet sich über die Jahre ein Kreis, „eine Gemeinschaft zum Führen von Gesprächen über Poesie und Kunst“, wie sich Friedrich Nolte 1993 erinnert: Richard Anders, Franz Baake, Christa von Baum, Christian Frieden, Aldona Gustas, Johannes Hübner, Lothar Klünner, Peter Lutz Lehmann, Kostas Papanastassiou, Hildegard Pieritz, Michael Speier, Viktor A. Schmitz u.a.m. gehören dazu.
1971 gibt Straub den Verlag an Friedrich Nolte ab, bleibt aber Herausgeber der Zeitschrift und Mentor des Kreises. „ich habe den Baum hineingelockt / in mein Wort“ bekennt er in einem Gedicht. Er hat die Welt zu sich geholt und in seiner Sprache die Welt zu einer schönen Sprache gemacht. Gedichte von Dieter Straub sind wohlklingende, zeitlose Kunstwerke und seine Sätze haben einen einzigartigen Fluß ohne unklare Wirbel oder überwachsene Uferzonen. Auch wenn ein Band von ihm sich „Asphodelische Mysterien“ nennt und im Titel einem blühenden Schattenreich der Toten Geheimnisse entreißt, so finden wir darin keine unscharfen, mysteriösen Gesänge, sondern klaren, aus der Antike extrahierten Raum, in dem Sprache von heute klingt.