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Essay
Von der Präsenz der Poesie – ein Portrait des Verlags APHAIA
„Schreiben, vor allem am Gedicht, ist eigentlich meine Art nachzudenken. Je mehr mich etwas angeht, desto stärker drängt es in die Gedichtform. Dabei stellt das Gedicht natürlich mehr Fragen, als daß es Antworten gäbe. Und weil die Fragen im Leben kompliziert sind, können auch die Gedichte nicht einfach, einfältig sein.“ sagte Tina Stroheker 1992 anläßlich der Verleihung des Stuttgarter Literaturpreises. Alles wird mehrmals gefaltet und die Dinge wandern auseinander, ihre Positionen trennen sich und sind dennoch benachbart und beieinander und schließlich pustet ein sicherer Atem über die Angelegenheit, drückt die Faltungen auseinander und stülpt die Dinge um und spannt zu neuen Flächen. Vor uns liegen bleibt als eine Figur das Gedicht.
„Stillsein ist schön“ heißt ein Satz, der lebendig wird, wenn genug gesagt ist und doch noch wortlos gesprochen wird. „ich hab die Wörter und Unterscheidungen satt“ gesteht Tina Stroheker im Porträt. Sie kennt das immerwechselnde Spiel von Bedeutung und Wahrheit zu gut, die Unmöglichkeit dingfest zu machen, was in den Ebenen geschieht, die hinter den Ebenen weit sind. Es gibt das Zitat, das hilft zu spiegeln, aber es ist keine Antwort auf die Berührung. Dort muß der Satz umherschwimmen und das Wort nur eine Idee sein. Tina Strohekers Gedichte sind sehr persönliche Fragestellungen und haben eine ganz eigene Atmosphäre.
Auf einander zu
Auf einander zu. Das meinst du doch? Auf einander
zu, fliegend zum Beispiel. Auf Teppichen, sagst du?
Vielleicht hebt auch das Dach ab, von dem du Ausschau
hältst. Oder schwimmend. Möglichkeiten genug. Aber
du zögerst, findest keinem Blau sei zu trauen. Zu
sehen sind Städte, angeschlossen ans Netz, von Viren-
warnungen überrollt, längst suchen sie eine himm-
lische Fähre. Dabei fröstelt die Himmelskönigin. Die
Fähre soll Häuser bergen, aus Stein oder aus Holz
oder aus vollgeschriebenen Karten. Lies, was darauf
steht: Zeichengewimmel. Ein Summen wird hörbar.
Lies noch einmal, langsam: Schönes Babylon. Auf
einander zu. Müssen wir immer zerrissen sein, fragst
du. An einen Pfeiler gelehnt eine Frau. Sie reibt sich
Oberarm und Hände. So gilt zuerst: Warm muss euch
werden. Gibst du ihr deine Jacke? Dampft das Getränk
in der Kanne? Schon ist es leichter. Schon springt ihr
hoch, haltet euch eine Weile an Regeln und spielt mit
der kosmischen Kugel. Nach dem Schlußpfiff zu
Ruheplätzen. Auf einander zu, mit den Augen, ganz
langsam. Bis ins Weiße erkennt ihr einander. Dir
zittern die Lider? Müdigkeit gilt jetzt noch nicht. Doch
Teppiche liegen bereit, leuchtend, mit Sternen und
Blumen. Oder lieber ein Fell, kratzig und schwarz, du
schlüpfst an das Tier heran, das plötzlich neben dir
hechelt. Du kannst ihm ein Zeichen geben, doch das
geht im Getümmel unter. Du bist nicht auf der Fähre.
Du steckst mitten drin in der Welt, die sich ohne Maß
selber ausstellt; wie eine hineingeworfene Puppe
gehörst du dazu. Du mußt dich nicht schämen. Mit
offenen Augen träumst du, und da steht das Bild still,
wie früh morgens, wenn alles möglich scheint, die
Welt ihre Dinge im Gleichgewicht hat, Stücke aus dem
irdischen Baukasten. Auf einander zu. Ein Angebot.
Etwas ist da, eine unausgesprochene Vermutung. Du
mußt nur sitzen bleiben. Erwartungslos. Vielleicht
seid ihr längst da.