Gabe gegen Gabe. Felix Philipp Ingolds Lyrik der Moderne

Essay

Autor:
Wolfram Malte Fues
 

Essay

Gabe gegen Gabe. Felix Philipp Ingolds Lyrik der Moderne

Aber wie fangen wir das an, dem Gelesenen eine Sinn zu geben, der über jede feststellbare Bedeutung hinausreicht? Wo im Gedicht gibt es Anlass zu so einem Sinn?  In der Engführung, dem Ineinanderklingen seiner Laute und Wörter, dessen Akkord mehr verspricht als die Summe seiner Töne? In der Gleichzeitigkeit der Wortbedeutungen, die in ihm zum Tragen kommen und deren Zugleich sie über ihre Addition hinausträgt? „Aber der Unsinn, Text auf Musik zu reduzieren.“ So also nicht. Dann eben anders. „Aber der Unsinn“, heißt es leider schon im übernächsten Satz, „Text auf ein Sinnkonstrukt zu reduzieren.“(15) Was nun? Nun: Minus mal Minus gibt Plus. Sinn, wie ihn Ingolds Gedichte nahe legen, kommt zustande, wenn man lesend den musikalischen wie den Bedeutungs-Zusammenhang ihrer Texte aneinander führt und ineinander auffaltet, sie also verstehend zu einem privaten Resonanz-Raum komponiert, der den öffentlichen an Buntheit und Gestaltung, an Differenz und Intensität und damit an Selbst-Entwurfs-Kraft weit übertrifft. „Komposition natürlich!“ ist zwischen die beiden Unsinns-Thesen gesetzt. Bei Oskar Pastior steht sie im  Ausrufezeichen. Bei Felix Philipp Ingold geht sie kursiv. 

 

Fußnoten:

 

1) Felix Philipp Ingold, Gegengabe aus kritischen, poetischen und privaten Feldern; Basel/Weil am Rhein 2009, S.  175

 

2) Jean Baudrillard, Die fatalen Strategien; München 1985, S. 102.

 

3) Friedrich Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne; Kritische Studienausgabe, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Bd. 1, 2., durchgesehene Aufl. Berlin/New York 1988, S. 877.  

 

4) Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik; Werke in 20 Bdn, hg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Bd. 13, Frankfurt/M. 1973, S. 311.

 

5) Gegengabe, ebd. S. 202.

 

6) Georg Christoph Lichtenberg, Bemerkungen zur Sprache; Gesammelte Werke, hg. und eingel. von Wilhelm Grenzmann, Bd. I, Frankfurt/M. 1949, S. 392.

 

7) Gegengabe, ebd. S. 158.

 

8) Gert Ueding, Hg., Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 4,  Tübingen 1998, Sp. 185.

 

9) Gegengabe, ebd. S. 643 (kursiv im Orig.).

 

10) Arthur Rimbaud, Briefe und Dokumente; hg., übersetzt und erläutert von Curd Ochwad, Heidelberg  1961, S. 240.

 

11) „Rimbaud hat die Macht der ‚harmonischen Zusammenhanglosigkeit’ erfunden oder entdeckt.“ (Paul Valéry am 23. Februar 1943 an Jean-Marie Carré; Briefe, übertragen von Wolfgang A. Peters, Frankfurt/M. 1954, S. 216)

 

12) Gegengabe, ebd. S. 315.

 

13) Ebd. S. 202 (kursiv im Orig.).

 

14) Ebd. S. 197 (kursiv im Orig.).

 

15) Oskar Pastior, Das Unding an sich. Frankfurter Vorlesungen; Frankfurt/M. 1994, S. 76.

 

als Originalbeitrag erschienen in „Schweizer Monatshefte“ 973, November 2009

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