Olav H. Hauge - Europäischer Dichter aus Norwegen

Essay

Autor:
Klaus Anders
 

Essay

Olav H. Hauge - Europäischer Dichter aus Norwegen

Über lange Zeit hatte Hauge nahezu unbekannt und abgeschieden in Ulvik gelebt. Obwohl er auch dort einige Freunde hatte, wußten die meisten Einwohner nicht, was er neben seiner kleinen Obstwirtschaft überhaupt trieb. Sie hielten Distanz zu dem Verrückten, der, wie sie wußten, sogar gewalttätig werden konnte. Er lebte ohne Partnerin, war einige Male unglücklich verliebt, versuchte sich in seiner Einsamkeit einzurichten. Die Einsamkeit und ihre Vorzüge sind ein häufig wiederkehrendes Thema. Oft genug versucht er sie sich schön oder wenigstens erträglich zu reden. Nach Erscheinen seines fünften Gedichtbandes 1966 ändert sich die Situation. Reiste er vorher selten nach Bergen und noch seltener nach Oslo, Städte, in denen er Bücher kaufte, so kommt allmählich ein Verkehr zustande, Kontakte zu Dichtern und Künstlern, Lesungen, Einladungen usw. Den größten Einbruch in seine Abgeschiedenheit erlebt er, als die Bildkünstlerin Bodil Cappelen, seine spätere Frau, ihn anschreibt. Sie hatte einen Band von ihm aus der Ramschkiste einer Buchhandlung erstanden und war so angerührt von den Gedichten, daß sie Hauge schrieb. Aus dem allmählich sich entwickelnden Briefwechsel entstand eine Freundschaft. 1973 bot er ihr an, zu ihm in sein Haus zu ziehen – ganz vorsichtig und unter dem Vorbehalt, daß er nicht wisse, ob er nach so vielen einsamen Jahren mit jemandem zusammen leben könne. Er konnte. 1978 heirateten sie und blieben zusammen bis zu seinem Tod. Bodil Cappelen brachte Wind in die Bude, sie reisten viel, auch ins Ausland, Hauge wurde „sozialisiert“.

1981 erschien Hauges letzter Gedichtband Verstreute Halme (Janglestrå). Seine dichterische Produktion war seit Anfang der siebziger Jahre schwächer geworden. Er starb 1994 in seinem Haus in Ulvik. Sechs Jahre nach seinem Tod besorgte Bodil Cappelen die Herausgabe des Tagebuchs 1924-1994. Es war nicht auf eine Veröffentlichung hin geschrieben worden, wird heute nicht selten als seinen Gedichten gleichrangig angesehen. Die lebhafte, frische Sprache fesselt, und man liest staunend, wie sich dieser Dichter gegen alle Widerstände – äußere und innere – entwickelt, sein Talent entfaltet. Er las, was ihm in die Quere kam, war, was die zeitgenössische Dichtung anging, gut informiert. Wenn auch sein Urteil gegenüber seinen schreibenden Zeitgenossen bisweilen schwankt, so ist doch erkennbar, daß es um gewisse Konstanten mäanderte: „Der Mensch ist nur Mensch, wenn ethische und religiöse Fragen aufgenommen werden.“ Er sei zuallererst ein geistiges Wesen. Diese Überzeugung war sicher Hauges stärkste und durch nichts zu erschütternde. In seiner Jugend von Emersons Transzendentalismus befeuert, tauchen später Namen wie Jakob Böhme, Meister Eckehart, Johannes vom Kreuz, Platon, Sokrates, Vilhelm Ekelund auf. Hauge war ein moderner Dichter, der in einer Hinsicht nicht modern sein wollte: Er sah zu deutlich, daß alles, was die Tradition in einem Akt vermeintlicher Befreiung über Bord wirft, was mit aller Gewalt modern sein will, keine lange Lebensdauer hat und aus Substanzmangel schnell veraltet. Das als neu zunächst Überraschende verblaßt schon bald, und darunter erscheint eine geschichtslose Dürftigkeit, die innerhalb weniger Jahre oder Jahrzehnte zur Lächerlichkeit verkommt.