Olav H. Hauge - Europäischer Dichter aus Norwegen

Essay

Autor:
Klaus Anders
 

Essay

Olav H. Hauge - Europäischer Dichter aus Norwegen

„1. Oktober 1962
In den Jahren, in denen ich wirklich ein Geistesleben führte, nannten sie mich krank und sperrten mich ein. Ganze vier Jahre. Ich erinnere mich, daß ich da manchmal fand, ich sollte die ganze Nacht wachbleiben, um bei dem, was vor sich ging, „dabei zu sein“, wie ich sagte. Und das waren erstaunliche Dinge! Die Nacht war voll von Stimmen und Signalen. Ein großes Gespräch ging im Reich des Geistes vor sich. Nicht bloß Erdenbewohner, sondern auch solche aus anderen Welten. Lebende und  Tote, da schien es keinen Unterschied zu geben. Ich dachte oft daran zurück, wie töricht ich gewesen war, daß ich nicht früher gelernt habe, all diesem Wunderbaren zu lauschen. Ich hatte geschlafen und geglaubt, daß andere dasselbe taten. Nein, jetzt erst verstehe ich, du weißt wenig von den Menschen; manche, und weit mehr als du weißt, hatten dabei sein können von klein auf, sind dann groß geworden in der Geisteswelt, weithin bekannte sogar, und konnten das Wort ergreifen und eine Meinung äußern, die von denen, die wirklich regieren, beachtet wurde. Denn es war klar für mich, daß man sich hochdienen musste. Das geschriebene Wort, verstehe ich nun, war bloß Gewäsch und töricht, ebenfalls solche Siebenschläfer wie ich, solche, die nicht wußten, was wirklich in der Welt vorging, die nicht wußten, was Geistesleben war. Und Dichter, selbst Wergeland und Browning, die ich am besten kannte, waren nur Schatten. Bleiche Schatten. Denn nun hörte und sah ich so vieles, das viel schöner war als alles, wovon sie schwätzten. O, die Dichter, an die ich so oft in diesen Jahren dachte, waren bloß Schatten, armselige Gestalten, die herumhingen und -wurstelten und schrieben, nachts schliefen und blind und taub durch die Welt gingen. Eine armselige Frau, die nicht einmal lesen konnte, konnte soviel weiter kommen und soviel höher stehen bei den Herren des Geistes als irgendein Dichter, nur weil sie sich beigebracht hatte, zu lauschen und die Signale und Stimmen zu deuten, die in den Nächten durch die Räume gingen, ja sogar am Tag noch. Und schauen konnte man, gleich wo und gleich wer man war.

Nun, ich will nicht mehr dazu schreiben. Ich bin in das Laster meiner Jugend zurückgefallen. Ich schlafe nachts und lausche nicht länger den Gesichten, sondern suche in den Büchern nach Weisheit, wie früher.“

Und am
 
„14.9.64
Das höhere Bewusstsein hat seine eigene Erinnerung, und diese Erinnerungen kommen erst hervor und stehen klar und lebendig da, wenn du in einem solchen Zustand bist (cosmic consciousness). Der alltägliche Mensch, meinetwegen nenn ihn einen Rübenhacker, hat keine oder nur eine schwache Erinnerung an die Zustände, die einem höheren Bewusstseinszustand angehören. Deshalb können solche Erinnerungen an ferne oder frühere Bewusstseinszustände auf einem höheren Niveau nur erinnert werden, wenn sie wieder dein inneres Leben überwältigen und dort herrschen. Dann stehen die Erinnerungen an frühere solcher Erlebnisse und Zeiten lebendig und klar vor dir. Ebenso muß die Ekstase über dich kommen, sollen frühere ekstatische Zustände und Erlebnisse wirklich wirken und mit voller Kraft erinnert werden. Hier will ich nicht das Wort Erinnerung gebrauchen, weil es nicht wie Erinnerung wirkt, sondern wie Feuerströme, die durch dich hindurchgehen. Du wirst wie eine Spule in einem Kraftfeld, wenn du liegst, liegst du strack und bebend von gewaltigen Kräften. Stehst oder gehst du, fühlst du dich wie ein Zweig im Sturm, wie ein brennender Baum. Die Ströme kommen manchmal durch bestimmte Leitungen, sie sind stark und scharf. Die Stimmen, die sie oft begleiten, klingen wie von anderen Himmelskörpern; die Ströme, das Feuer kommen ebenso von weit aus dem Raum. Aber – und hier will ich etwas erzählen, was mir oft widerfahren ist, die Kräfte, die Feuerstrahlen können aus verschiedenen Richtungen kommen, von allen Seiten, und so stark sein, daß du herumwirbelst wie ein Ball und nicht weißt, ob du außer dir oder in dir bist, du bist ein Wirrwarr von Feuerstrahlen, Strömen, und bist ganz verwirrt. Das habe ich oft erlebt. Die Böe, das Sausen und die Stürme, die das begleiten, können so stark sein, daß du glaubst, du würdest fortgeblasen wie ein Blatt, es leuchtet blau durch den Raum, unter dem Boden, über der Decke, hinter den Wänden oder über der Mark, der See, den Bergen und dem Himmel, falls du draußen bist. Oft mußt du dich festhalten, um nicht fortzutreiben, die Finger in Grasbüschel krallen, oder die Finger geradewegs in den Sand krallen, daß die Nägel brechen und sich krümmen – so fühlte es sich oft an. Am schlimmsten waren die Böen und der Strom unter offenem Himmel. Drinnen war ich sicherer.

Ich habe es in meinen Gedichten selten anklingen lassen, es gibt ein kleines Bild in „Kornacker“, das die stilleren Stunden zeigt, in „So kann“ findet sich mehr von den sprengenden Erlebnissen. Nur teilweise ist darin etwas von dem, was ich erlebte, zum Vorschein gekommen. Diamantschlaf und andere große leuchtende Erlebnisse (z.B. Reisen zu fernen Sternen) kommen vor in dem Gedicht „Räume aus Glanz“. Ich glaube, es war richtig von mir, an diesen gewaltigen Stoff aus den Jahren, in denen ich entrückt war, nicht zu rühren, es waren wohl alles in allem über 6 Jahre. Einige Male habe ich es geschafft, die Stürme abzureiten ohne im „Irrenhaus“ zu landen, und zwar von Jugend auf. Wenn es schiefging, d.h. wenn ich im Krankenhaus landete,  so glaube ich, lag die Ursache darin, daß ich vergessen hatte zu essen und so in Fieberträume fiel. Oder recht und schlecht – und das ist wohl die Wahrheit, die Erlebnisse und Gesichte und die Intensität waren so stark, daß ich allen Impulsen blind folgte, den Stimmen glaubte, und mich daher so wunderlich aufführte, daß die Leute glauben mussten, ich sei außer mir. Und so ist es recht, wenn einer sich nicht im Griff hat. Ich war ganz mit mir beschäftigt, habe ein Heimorchester in Unterhosen dirigiert z.B. – ja, was sollen gewöhnliche Leute davon halten?

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