Olav H. Hauge - Europäischer Dichter aus Norwegen

Essay

Autor:
Klaus Anders
 

Essay

Olav H. Hauge - Europäischer Dichter aus Norwegen

Eine der Konstanten in Hauges Denken ist seine Auffassung von Geist als dem eigentlichen Beweger der Welt. Wenn der norwegische Literaturforscher und homme de lettres Asbjørn Aarnes feststellt: „Geist ist eine vom westlichen Denken im 20. Jahrhundert verlassene Kategorie,“ so gilt das nicht für Hauge – sah man auch von den späten 50er Jahren an Hauges Gedichte nicht selten unter einem rein materialistischen Aspekt, so widersprach er öffentlich nicht, mitunter spielte er selbst in diese Richtung. Was es für ihn gab, war die Scheidung zwischen einer rein geistigen und einer materiellen, von Geist durchdrungenen Welt. Beide Welten stehen nicht abgegrenzt gegeneinander, sie berühren und durchdringen sich, keine ist im Verhältnis zur anderen durchgängig positiv oder negativ bewertet, in beiden offenbart sich Geist.
Die Welt des Traums, die Geistwelt betritt man durch eine Pforte, die für manche Menschen weit offen, für andere angelehnt, für kaum jemanden ganz geschlossen ist. Man muß sich auf sie einlassen, es ist nicht ohne Gefahr. Für die Dichtung sieht er genau: „Daß gerade der Mystiker Realist sein muss, sehen wir an Aurelia, es ist der Realist in Nerval, der dieses Meisterwerk hervorgebracht hat.“

Gegen solche Gewichtung der Biografie des Dichters bei der Betrachtung seines Werkes mag sich Widerspruch erheben. Im 20. Jahrhundert, das mit etlichen Traditionen radikal brach (keineswegs jedoch mit der, alles neu zu machen und besser zu wissen – die hatte nun Raum genug, konnte hypertrophieren), gab es einen Streit um die Deutung des Kunstwerks. Dabei stand, wenn ich mich recht erinnere, die ältere Richtung, die das Kunstwerk stärker von der Biografie des Künstlers aus beleuchtete und die Ansicht vertrat, was der Künstler gemeint habe, sei nicht zu vernachlässigen, mit dem Rücken an der Wand im Streit mit der neuen Sichtweise, die hervorhob, die Absicht des Künstlers und was er etwa im Kunstwerk auszudrücken gemeint habe, sei für das Kunstwerk unerheblich. Grundlage für die Deutung des Werks sei das Werk und nur das Werk.

Beide Seiten haben recht, aber die gedeihliche Klimazone liegt nicht in der Nähe der Pole. Hält man beide Betrachtungsweisen nebeneinander wie zwei Rasterbilder, wird sich das eine, auf die Biografie des Künstlers abstellende, mit fortlaufender Zeit immer weiter vergröbern, bis am Ende nur noch verschieden große schwarze Kreisflächen auf weißem Untergrund zu sehen sind. Die Zeit, in der der Künstler lebte, rückt in immer weitere Ferne, der sinnliche Bezug zu ihr (als eines Lebens-Raums mit all seinem Geräusch, Geschmack, Geruch, seinem Licht und seinen Farben) geht verloren.
Das andere Bild, das des Werkes, entwickelt sich in die entgegengesetzte Richtung, das Raster wird immer feiner, die Grautöne nuancenreicher, bis es am Ende nicht mehr auszumachen ist. Alle Leerstellen, Risse und Fugen im Kunstwerk sind ausgefüllt. Diese Vervollkommnung ist das Werk der aufeinanderfolgenden Betrachter. So kann sich eine mehr oder weniger feste Auffassung von einem Kunstwerk bilden, die weitab von dem liegt, was möglicherweise der Künstler ausdrücken wollte, die aber auch in einer Verzerrung des Kunstwerks durch fortgesetzte Auslegung und Deutung bestehen kann. (Hier sei an den Spott Voltaires erinnert, Dantes Divina commedia werde durch seine Kommentatoren noch unverständlicher.) Dieses Bild kann sich eine Zeitlang halten, ist aber dennoch nicht stabil. Irgendwann bekommt es wieder Risse, bricht es unter dem veränderten Blickwinkel einer späteren Zeit auseinander – sofern es nicht ganz in Vergessenheit gerät. „Die echten Kunstwerke explodieren abseits ihrer Zeit wie auf dem Schlachtfeld liegengebliebene Geschosse,“ so ein Wort von Nicolas Gomez Davila. Ihr bisheriges Bild ist zerfallen, sie treten wieder ins Leben mit der erschütternden Wirkung einer Explosion. Zu einer solchen Explosion können auch neu gewonnene Kenntnisse der Biografie (im weitesten Sinn) des Künstlers führen.

Hauge, der hinsichtlich der geistigen Bewegungen in Europa keineswegs in ahnungsloser Abgeschiedenheit lebte, war vertraut mit den Veränderungen der Ausdrucksweisen, der Formen in der Poesie: die sich ausbreitende Abkehr von Metrum und Reim hin zu einer fast ausschließlichen Vorherrschaft des freien Verses, das Verlassen idealistischen Denkens, metaphysisch gründender Anschauung hin zu einer, wie man glaubte, realistischen Sicht des Konkreten. Er befand sich dazu in einer teils ablehnenden, teils freudig begrüßenden Haltung, die sich nicht als eine mehr oder weniger gleichmäßige Entwicklung von … zu darstellt, sondern in Sprüngen, sich je und je widersprechend. Er lobte die Nüchternheit der neuen Verse, das Kaltschmieden:

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