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Essay
Postmoderne in der türkischen Literatur - Kriterien für eine Annäherung an Ahmet Hamdi Tanpınars, Bilge Karasus und Orhan Pamuks Werke
"Wie kommt es, dass eine Nation von so großer historischer Bedeutung, deren hervorragende Leistungen auf dem Gebiete der Architektur, der Teppichweberei, der Töpferei und der Fliesenkeramik bekannt und allgemein gewürdigt sind, auf diesem besonderen Gebiete der Kunst im Westen so wenig beachtet worden ist? Einer der Hauptgründe ist die Tatsache, dass es weder in den europäischen Museen und Bibliotheken noch in denen der Vereinigten Staaten erstklassiges und beglaubigtes Material gab und gibt, da der größte Teil davon in der Türkei geblieben ist, wo er zunächst fast unzugänglich war."
Dies könnte erklären, warum die Quellen des Deckblattes, auf die sich Orhan Pamuk stützt, möglicherweise irreführend sind. Allem Anschein nach hat Pamuk die sehr guten türkischen kunsthistorischen Auswertungen überhaupt nicht herangezogen und nahm sich sehr viel literarische Freiheit ausgerechnet an dem Punkt, den er offenbar kritisieren wollte.
Aber auch was die italienische Seite der Kunst betrifft, scheint es Unstimmigkeiten zu geben und es stellt sich eine sehr wichtige Frage: Warum Orhan Pamuk aus dem berühmten Cinquecento, aus der immensen Auswahl an berühmten Künstlern der Renaissance, so etwa Leonardo da Vinci, Michelangelo, Raffaelo bis hin zu Tiziano, keinen Künstler namentlich erwähnt, sondern sich lediglich in Allgemeinplätzen über Licht, Perspektive und Anordnung ergeht. Insbesondere erwähnt er nicht, dass auch in der Malerei des Cinquecento unter den verschiedenen Malschulen Konkurrenzkampf bestand - mal ganz abgesehen von der Haltung der Kirche und dem Machtkampf der Medicis und der Päpste - und der im Roman hochgehaltene individuelle Stil, vielmehr der Diskurs über denselben, in Europa erst im 18. Jahrhundert rein künstlerisch entfachte, weil die Malerei schon zur Zeit Tintorettos (Ende des 16. Jahrhunderts) in dem so genannten Manierismus zu ersticken drohte. Und gerade in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erlebt die italienische Malerei eine Sinnkrise - zwar auf sehr hohem Niveau -, aber es tritt ein politisch und weltanschaulich verursachter Stillstand ein.
In Venedig, zu dem das Osmanische Reich im 16. Jahrhundert intensive Beziehungen unterhielt, wirkte zu der Zeit der Romanhandlung der geniale Porträtmaler Tintoretto (1518 -1597). Möglicherweise bezieht sich Pamuk auf seine Werke, vor allem auf einige hervorragende Porträts, ohne ihn jedoch zu benennen. Tintoretto galt in der Malerei als eine Ausnahmeerscheinung, als ein Genius, das die Themen, die Farben, die Maltechnik revolutionierte, der bis dahin ungekannte Dynamik in die Bilder brachte. Die orientalische Miniaturmalerei mit Tintorettos Bildern vergleichen zu wollen, ist ein gewagtes und unlauteres Unterfangen. Außerdem drängt sich die Frage auf, was ein derartiger Vergleich beweisen sollte? Welchen Wahrheitsbegriff möchte wohl Orhan Pamuk seinen westlichen Lesern vermitteln?
Originalbeitrag
Dies könnte erklären, warum die Quellen des Deckblattes, auf die sich Orhan Pamuk stützt, möglicherweise irreführend sind. Allem Anschein nach hat Pamuk die sehr guten türkischen kunsthistorischen Auswertungen überhaupt nicht herangezogen und nahm sich sehr viel literarische Freiheit ausgerechnet an dem Punkt, den er offenbar kritisieren wollte.
Aber auch was die italienische Seite der Kunst betrifft, scheint es Unstimmigkeiten zu geben und es stellt sich eine sehr wichtige Frage: Warum Orhan Pamuk aus dem berühmten Cinquecento, aus der immensen Auswahl an berühmten Künstlern der Renaissance, so etwa Leonardo da Vinci, Michelangelo, Raffaelo bis hin zu Tiziano, keinen Künstler namentlich erwähnt, sondern sich lediglich in Allgemeinplätzen über Licht, Perspektive und Anordnung ergeht. Insbesondere erwähnt er nicht, dass auch in der Malerei des Cinquecento unter den verschiedenen Malschulen Konkurrenzkampf bestand - mal ganz abgesehen von der Haltung der Kirche und dem Machtkampf der Medicis und der Päpste - und der im Roman hochgehaltene individuelle Stil, vielmehr der Diskurs über denselben, in Europa erst im 18. Jahrhundert rein künstlerisch entfachte, weil die Malerei schon zur Zeit Tintorettos (Ende des 16. Jahrhunderts) in dem so genannten Manierismus zu ersticken drohte. Und gerade in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erlebt die italienische Malerei eine Sinnkrise - zwar auf sehr hohem Niveau -, aber es tritt ein politisch und weltanschaulich verursachter Stillstand ein.
In Venedig, zu dem das Osmanische Reich im 16. Jahrhundert intensive Beziehungen unterhielt, wirkte zu der Zeit der Romanhandlung der geniale Porträtmaler Tintoretto (1518 -1597). Möglicherweise bezieht sich Pamuk auf seine Werke, vor allem auf einige hervorragende Porträts, ohne ihn jedoch zu benennen. Tintoretto galt in der Malerei als eine Ausnahmeerscheinung, als ein Genius, das die Themen, die Farben, die Maltechnik revolutionierte, der bis dahin ungekannte Dynamik in die Bilder brachte. Die orientalische Miniaturmalerei mit Tintorettos Bildern vergleichen zu wollen, ist ein gewagtes und unlauteres Unterfangen. Außerdem drängt sich die Frage auf, was ein derartiger Vergleich beweisen sollte? Welchen Wahrheitsbegriff möchte wohl Orhan Pamuk seinen westlichen Lesern vermitteln?
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