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Essay
Postmoderne in der türkischen Literatur - Kriterien für eine Annäherung an Ahmet Hamdi Tanpınars, Bilge Karasus und Orhan Pamuks Werke
Bei der Ermordung dieses Malers geht es also um Bilder, genauer um die Abbildung von Menschen und Ereignissen. Einerseits unterliegt dies im Islam einem Verbot, andererseits wäre das nichts anderes als die "Abbildung der Wirklichkeit", Mimesis also. Zur Mimesis ist die Haltung der Religionen sehr unterschiedlich, ja geradezu entgegengesetzt, was sich in der christlichen Malerei des späten Mittelalters und in der Ornamentik islamischer Gebäude aus der Blütezeit am deutlichsten widerspiegelt, wobei beide Stilrichtungen sehr konkrete Funktionen zu erfüllen haben. Mimesis spielt im Roman Mein Name ist Rot - genau wie die reale Stilistik der christlichen und der islamischen Malerei - eine brisante Doppelrolle: Zum einen erlangt die Inszenierung durch bildhafte, detailreiche Beschreibungen von Istanbuler Stadtteilen und Szenen aus dem Alltagsleben realistisch wirkende Züge. Zum anderen bildet Mimesis selbst, genauer der Diskurs unter den Malern über die Abbildung der Wirklichkeit, aber auch über den individuellen Stil in der Kunst, einen Haupterzählstrang. Sehen wir also, um was für Bilder es sich handelt. Es erzählt der Teamleiter der Hofmaler, Eniste Efendi, der später auch selbst ermordet wird:
"Mein Auftraggeber ist seine Heiligkeit, unser Padischah, das Fundament der Welt, sagte ich. Weil das Bilderbuch geheim zu halten ist, hat unser Padischah über den obersten Schatzmeister für mich Geld zur Verfügung stellen lassen. Ich habe mit den besten Meistern der Hofmaler einzelne Verträge abgeschlossen. Den einen ließ ich einen Hund, den anderen einen Baum, einen anderen die Randornamente und die Wolken am Horizont, einen anderen die Pferde malen. Die Sachen, die ich malen ließ, sollen, genau wie bei den venezianischen Meistern, die ganze Welt unseres Padischahs repräsentieren, das war mein Wunsch. Aber diese sollten, nicht wie bei den Venezianern, Hab und Gut, sondern natürlich sein inneres Reichtum, die Freuden und Ängste der Welt unseres Padischahs abbilden. Wenn ich das Geld abgebildet habe, doch nur um es gering zu schätzen, den Teufel und den Tod, weil wir sie fürchten. Ich weiß nicht, was das Gerede besagt. Die Unsterblichkeit der Bäume, die Müdigkeit der Pferde, die Frechheit der Hunde sollten die Welt unseres Padischahs repräsentieren, das wollte ich abbilden."
Keine Bilder ohne eine Geschichte - das ist die Auffassung der Miniaturmaler, was soviel heißt, dass das Bild nicht die Wirklichkeit abbildet, sondern eine Fiktion ist. Diese Überzeugung wurde aber erschüttert, als Eniste Efendi zwei Jahre zuvor, also 1589, als Gesandter des Sultans nach Venedig reiste:
"Niemand kann sich ein Bild ohne Geschichte vorstellen.
Ich hielt das zumindest für unvorstellbar, fügte ich mit vorgetäuschter Reue hinzu. Vor zwei Jahren reiste ich erneut als Gesandter unseres Padischahs nach Venedig. Ich schaute mir ständig die Porträts der italienischen Malermeister an. Ohne zu wissen, welche Geschichte, welche Szene die Abbildung zeigt, aber bemüht zu verstehen und diese Geschichte herauszubekommen. Eines Tages, als ich einem Bildnis an der Wand eines Palastes begegnete, blieb ich wie verwurzelt stehen.
Das Bild war die Abbildung eines Menschen, ähnlich wie ich. Ein Ungläubiger natürlich, nicht wie einer von uns. Aber wie ich ihn so betrachtete, spürte ich, dass ich ihm ähnlich war. Obendrein war er mir nicht im geringsten ähnlich. (...) Mir kein wenig ähnlich, aber warum auch immer ... er ließ mein Herz höher schlagen, als wäre es ein Bild von mir.«"
Also nicht nur Abbildung, sondern sogar die Abbildung des Selbst. Erkenntnis des Selbst in der Abbildung, auch wenn diese einen anderen zeigt. Mimesis als Thema, Mimesis als Diskurs-Faden, als theoretische Auseinandersetzung, als Differenz zwischen westlicher und östlicher Kultur, aber mit Wertung - also gedanklich gar nicht postmodern! An diesem Punkt kann man erahnen, dass diese Wertung nicht zum Vorteil der orientalischen Miniaturmalerei ausfallen wird, zumal - wie es später im Text angedeutet wird - der Mord nicht nur geschieht, weil Bilder malen dem islamischen Glauben widerspricht, sondern weil der individuelle Stil unter den Malern Anlass für Eifersucht und Neid (also Todsünden) war. Als Kriterium der Unterscheidung und Wertung europäischer/westlicher sowie orientalischer/östlicher Kunst wird die unterschiedliche Maltechnik, die Komposition des Bildes, der Stil und die Entdeckung der Perspektive verwendet. Der türkische Meister Osman fasst die Ideale der Miniaturmaler zusammen, die sich auf die erwähnten Punkte beziehen:
"»Heute würde ich, um zu verstehen, wie rein er ist, einem jungen Maler drei Fragen stellen.«
»Welche sind das?«
»Ist er versessen darauf, nach neumodisch chinesischer und europäischer Art unbedingt einen eigenen Stil zu haben? Wünscht er, dass er als Miniaturmaler eine persönliche Note hat, eine eigene Atmosphäre, und will er, wie die neuen europäischen Meister, durch eine Handzeichnung in einer Ecke des Bildes, diese bestätigen? Um das zu erfahren, würde ich ihn als erstes nach Stil und Handzeichen fragen.«
»Dann?« fragte ich mit Respekt.
»Dann würde ich erfahren wollen, was dieser Maler empfindet, wenn nach dem Tode der Schahs und Padischahs, die die Bücher bei uns in Auftrag gegeben hatten, die Bilder in anderen Büchern verwendet werden würden. Das ist eine hochsensible Sache, der man weder mit Kummer noch mit Freude zuvorkommen kann. Deshalb würde ich den Maler nach der Zeit des Bildes und nach der Zeit Gottes fragen. Verstehst du mein Sohn?«
Nein. Aber ich habe es nicht gesagt. »Das dritte?« fragte ich.
»Das dritte ist die Blindheit!« sagte der große Meister, der oberste Miniaturmaler Osman, und als würde das Gesagte selbstverständlich keinen Kommentar nötig haben, schwieg er.
»Was an der Blindheit?« fragte ich beschämt.
»Die Blindheit ist still. Wenn du das erste und das zweite, was ich vorhin sagte, zusammenführst, zeichnet sich die Blindheit ab. Die tiefste Dimension der Malerei ist, das zu erblicken, was in Gottes Dunkelheit sichtbar wird.«"
"Mein Auftraggeber ist seine Heiligkeit, unser Padischah, das Fundament der Welt, sagte ich. Weil das Bilderbuch geheim zu halten ist, hat unser Padischah über den obersten Schatzmeister für mich Geld zur Verfügung stellen lassen. Ich habe mit den besten Meistern der Hofmaler einzelne Verträge abgeschlossen. Den einen ließ ich einen Hund, den anderen einen Baum, einen anderen die Randornamente und die Wolken am Horizont, einen anderen die Pferde malen. Die Sachen, die ich malen ließ, sollen, genau wie bei den venezianischen Meistern, die ganze Welt unseres Padischahs repräsentieren, das war mein Wunsch. Aber diese sollten, nicht wie bei den Venezianern, Hab und Gut, sondern natürlich sein inneres Reichtum, die Freuden und Ängste der Welt unseres Padischahs abbilden. Wenn ich das Geld abgebildet habe, doch nur um es gering zu schätzen, den Teufel und den Tod, weil wir sie fürchten. Ich weiß nicht, was das Gerede besagt. Die Unsterblichkeit der Bäume, die Müdigkeit der Pferde, die Frechheit der Hunde sollten die Welt unseres Padischahs repräsentieren, das wollte ich abbilden."
Keine Bilder ohne eine Geschichte - das ist die Auffassung der Miniaturmaler, was soviel heißt, dass das Bild nicht die Wirklichkeit abbildet, sondern eine Fiktion ist. Diese Überzeugung wurde aber erschüttert, als Eniste Efendi zwei Jahre zuvor, also 1589, als Gesandter des Sultans nach Venedig reiste:
"Niemand kann sich ein Bild ohne Geschichte vorstellen.
Ich hielt das zumindest für unvorstellbar, fügte ich mit vorgetäuschter Reue hinzu. Vor zwei Jahren reiste ich erneut als Gesandter unseres Padischahs nach Venedig. Ich schaute mir ständig die Porträts der italienischen Malermeister an. Ohne zu wissen, welche Geschichte, welche Szene die Abbildung zeigt, aber bemüht zu verstehen und diese Geschichte herauszubekommen. Eines Tages, als ich einem Bildnis an der Wand eines Palastes begegnete, blieb ich wie verwurzelt stehen.
Das Bild war die Abbildung eines Menschen, ähnlich wie ich. Ein Ungläubiger natürlich, nicht wie einer von uns. Aber wie ich ihn so betrachtete, spürte ich, dass ich ihm ähnlich war. Obendrein war er mir nicht im geringsten ähnlich. (...) Mir kein wenig ähnlich, aber warum auch immer ... er ließ mein Herz höher schlagen, als wäre es ein Bild von mir.«"
Also nicht nur Abbildung, sondern sogar die Abbildung des Selbst. Erkenntnis des Selbst in der Abbildung, auch wenn diese einen anderen zeigt. Mimesis als Thema, Mimesis als Diskurs-Faden, als theoretische Auseinandersetzung, als Differenz zwischen westlicher und östlicher Kultur, aber mit Wertung - also gedanklich gar nicht postmodern! An diesem Punkt kann man erahnen, dass diese Wertung nicht zum Vorteil der orientalischen Miniaturmalerei ausfallen wird, zumal - wie es später im Text angedeutet wird - der Mord nicht nur geschieht, weil Bilder malen dem islamischen Glauben widerspricht, sondern weil der individuelle Stil unter den Malern Anlass für Eifersucht und Neid (also Todsünden) war. Als Kriterium der Unterscheidung und Wertung europäischer/westlicher sowie orientalischer/östlicher Kunst wird die unterschiedliche Maltechnik, die Komposition des Bildes, der Stil und die Entdeckung der Perspektive verwendet. Der türkische Meister Osman fasst die Ideale der Miniaturmaler zusammen, die sich auf die erwähnten Punkte beziehen:
"»Heute würde ich, um zu verstehen, wie rein er ist, einem jungen Maler drei Fragen stellen.«
»Welche sind das?«
»Ist er versessen darauf, nach neumodisch chinesischer und europäischer Art unbedingt einen eigenen Stil zu haben? Wünscht er, dass er als Miniaturmaler eine persönliche Note hat, eine eigene Atmosphäre, und will er, wie die neuen europäischen Meister, durch eine Handzeichnung in einer Ecke des Bildes, diese bestätigen? Um das zu erfahren, würde ich ihn als erstes nach Stil und Handzeichen fragen.«
»Dann?« fragte ich mit Respekt.
»Dann würde ich erfahren wollen, was dieser Maler empfindet, wenn nach dem Tode der Schahs und Padischahs, die die Bücher bei uns in Auftrag gegeben hatten, die Bilder in anderen Büchern verwendet werden würden. Das ist eine hochsensible Sache, der man weder mit Kummer noch mit Freude zuvorkommen kann. Deshalb würde ich den Maler nach der Zeit des Bildes und nach der Zeit Gottes fragen. Verstehst du mein Sohn?«
Nein. Aber ich habe es nicht gesagt. »Das dritte?« fragte ich.
»Das dritte ist die Blindheit!« sagte der große Meister, der oberste Miniaturmaler Osman, und als würde das Gesagte selbstverständlich keinen Kommentar nötig haben, schwieg er.
»Was an der Blindheit?« fragte ich beschämt.
»Die Blindheit ist still. Wenn du das erste und das zweite, was ich vorhin sagte, zusammenführst, zeichnet sich die Blindheit ab. Die tiefste Dimension der Malerei ist, das zu erblicken, was in Gottes Dunkelheit sichtbar wird.«"