Postmoderne in der türkischen Literatur

Essay

Autor:
Beatrix Caner
 

Essay

Postmoderne in der türkischen Literatur - Kriterien für eine Annäherung an Ahmet Hamdi Tanpınars, Bilge Karasus und Orhan Pamuks Werke

Wer die Sprache beherrscht, beherrscht die Menschen - das ist die postmoderne Formel der Macht. "Es wird der Tag kommen, an dem wir werden begreifen müssen, dass wir uns vom Zauber der Worte trennen sollen." Die Entzauberung heißt, die Wörter und ihre Bedeutung zu prüfen, ihnen neue Bedeutung zu verleihen: "Vielleicht verleiht der Mensch der Sprache, je weniger er spricht - auch wenn es sonderbar klingt - vielfältigere Bedeutung."
Und schließlich gelangen wir zu der Krone der Schöpfung, zum Menschen. Ist die Bedeutung, die ihm beigemessen wird, gerechtfertigt? Angesichts der Bilanz dieses Romans, sicher nicht.
"Eines der Worte, von deren Zauber wir uns entfernen müssen - eines der wichtigsten - ist das Wort "Mensch". Wir benutzen es wie einen Talisman, machen ihn zum Träger der bestmöglichen Bedeutungen. [...] Verzichten wir darauf, den Menschen auf die höchste Stufe zu stellen, ihn für wichtiger zu halten als Tiere, Pflanzen, Wasser, Berge, in der Überzeugung zu leben, dass alles für den Sklavendienst an den Menschen erschaffen worden ist. Vielleicht würden wir dann den Wert der Menschen verstehen und lernen, dass er nur zusammen mit dem Tier, der Pflanze, dem Wasser, dem Berg, dem Stein einen Sinn haben kann, haben könnte, vielleicht können wir dann erst dem Menschen gegenüber Achtung empfinden."
Und die letzte, abschließende oder alles aufhebende Frage ist:
"Kann man, wenn man all das aufgeschrieben hat, dem Wahnsinn entgehen?"

Darauf gibt es wohl keine verbindliche Antwort.

Orhan Pamuk : Mein Name ist Rot

Anders als bei Bilge Karasu sieht das Experimentelle bei dem Bestseller-Autor und seit 2007 Nobelpreisträger Orhan Pamuk aus. Nach einem erfolgreichen Rezept mischt Pamuk literarische Zutaten und Kniffe, die für den anspruchsvollen westlichen, in seinen Vorurteilen bestätigten Leser als exotisch gelten und zudem die “Bildung” und den “Dialog der Kulturen” zu fördern scheinen. Im Gegensatz zu Bilge Karasu hat sich Orhan Pamuk von seiner ersten Publikation an intensiv um die bestmögliche Vermarktung seiner Bücher persönlich gekümmert.

Der Roman Mein Name ist Rot spielt im Winter 1591 in Istanbul, im Milieu der Miniaturmaler des Sultans und ist eine Mischung aus Krimi, historischem Roman, kunsthistorischem Exkurs in die venezianische Malerei des 16. Jahrhunderts und in die türkische  Miniaturmalerei, einer erotisch gewürzte Liebesgeschichte, und um allen diesen Themen herum winden sich Intrigen, die ineinander greifen und die vorwärts treibende Kraft des Romans bilden. Der wichtigste Faden im Roman behandelt die orientalische Miniaturmalerei, nicht nur weil um sie herum der kriminologische Teil des Romans angelegt wurde, sondern auch weil der Autor darüber mit detaillierten Einzelheiten aufwartet. So wird mehr oder weniger subtil die Grundlage für einen wertenden Vergleich zwischen West und Ost auf eine Weise möglich, die nicht nur die Kunst, sondern auch die Gesellschaften zueinander in Bezug setzt und damit die ständige Herabsetzung des “Orients” und die alle Vorurteile beinahe unbemerkt bedienende Aufwertung des Westens zementiert.
In diesem Falle halte ich bereits das Deckblatt des Buches (türkische Originalausgabe) für semiotisch (Zeicheninterpretation) bedeutend. Das Bild ist eine Collage aus einer Gesichtshälfte einer Frau, die aus einer beliebigen Illustrierten stammen könnte. An der Stelle des Auges steht ein Bildausschnitt aus der persischen Miniatur Miraçname, das in Täbris (Persien) ca. 1360 entstanden ist. Weitere Teile stammen aus verschiedenen Schehnamen (Königsbücher), u.a. das von Sultan Ibrahim Mirza 1556, Firdausis (?) aus 1522, aus dem von Schah Tahmasp in Auftrag gegebenen Schehinschahname, und aus dem Selimname 1597. Als erstes fällt ins Auge, dass sich alle angegebenen Quellen in Werken, die ausschließlich in den U.S.A. von amerikanischen Kunsthistorikern erfasst und bewertet wurden, befinden. Es fällt weiter auf, dass die Ausschnitte aus zwei Jahrhunderten, aus der Zeit von ca. 1330 bis 1597, stammen und persischen und türkischen Ursprungs sind. Mir scheint, hieraus ergeben sich einige Fragen, und wir dürfen gespannt sein, wie sie im Roman gehandhabt und beantwortet werden.

Wenn wir uns dem Text zuwenden, müssen wir uns zum Kern der Geschichte durch einige Schichten durcharbeiten, die Collageteile nach postmoderner Manier sind. Betrachten wir gleich den Auftakt des Romans: der Monolog eines Toten. Der sprechende Tote ist ein ermordeter Istanbuler Miniaturmaler, der jedoch seinen Mörder nicht nennt, sehr wohl aber den Grund seiner Ermordung:
"Hinter meinem Tod steckt eine ekelhafte Verschwörung gegen unsere Religion, unsere Traditionen, unsere Weltbetrachtung. Öffnet eure Augen, seht und erkennt, warum die Feinde dessen, was wir leben und glauben, die Feinde des Islam, mich getötet haben, warum sie euch eines Tages auch ermorden könnten. Die Predigten des Erzurumlu Nusret Hoca, denen ich mit tränenden Augen gelauscht hatte, verwirklichen sich nun Schritt für Schritt. Ich sage es euch, auch wenn das von uns erlebte in einem Buch aufgeschrieben würde, könnte es nicht einmal vom besten Miniaturmaler unter uns abgebildet werden. Genauso wie die erschütternde Kraft des heiligen Korans. Daraus folgt, dass es nicht abzubilden ist. Ich zweifle daran, dass ihr das verstanden habt."

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