Postmoderne in der türkischen Literatur

Essay

Autor:
Beatrix Caner
 

Essay

Postmoderne in der türkischen Literatur - Kriterien für eine Annäherung an Ahmet Hamdi Tanpınars, Bilge Karasus und Orhan Pamuks Werke

In Frankreich, aber in kürzester Zeit auch in anderen Ländern, gewinnen die Gedanken Sartres, des existentialistischen Philosophen, so stark am Einfluss, dass sich eine ganze Generation von Schriftstellern an ihnen orientiert. Auch der deutsche Existentialist Heidegger hat – natürlich mit wichtigen Einschränkungen –, seine Wirkung auf viele Intellektuelle, und das Empfinden "in die Welt geworfen zu sein" wird zu einem der wichtigsten Lebensgefühle der Intellektuellen der Zeit. Auch in Deutschland gibt es einige Literaten, die gebündelte literarische Aktionen ins Leben rufen möchten, die aber oft wegen persönlichen Krisen nicht zum erwünschten Erfolg führen können. Als Vordenker kommen in den sechziger Jahren dann auch die zum Teil wieder in Deutschland wirksamen Mitglieder der Frankfurter Schule, am deutlichsten Adorno, zur Geltung und die Theorien über Kunst, Kultur und politisches Umfeld greifen auch auf Nichtkünstler über, sie gipfeln in der 68-er Studentenbewegung.

Die nach 1945 verstärkt einsetzende experimentelle Literatur bringt einschneidende Veränderungen für die traditionellen Erzählformen, gleichzeitig – und das ist das eigentlich Wichtige – beginnt ein gezieltes Nachdenken über Werte, die nicht nur innerliterarisch ist, sondern die menschliche Existenz per se in vielen ihrer Dimensionen hinterfragt, ja, sie sogar in Frage stellt.  

Diese Umbruchstimmung wird nicht nur in den westlichen Literaturen wirksam, er wird z.B. auch in der türkischen Literatur – zumindest für eine kleine Gruppe türkischer Literaten -, eine existentielle Frage und berührt sowohl den Alltag als auch die literarische Produktion, vor allem von Autoren, die sich von den Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges unmittelbar betroffen fühlen.

Bevor ich auf die postmodernen Phänomene in der türkischen Literatur eingehe, möchte ich noch die Eckpunkte der postmodernen, bzw. der experimentellen Literatur erläutern.

Woran kann man experimentelle/postmoderne Literatur erkennen? Ihre Merkmale sind nicht bestimmte Formen, vielmehr weist die Abwesenheit traditionell klarer Formen auf die Ausrichtung der Werke hin. In erster Linie sind es mehr oder weniger eindeutige Phänomene, an denen man postmoderne/experimentelle Werke identifizieren kann. Wie der Literaturwissenschaftler Ulrich Ernst es formuliert: "besonders markant im (...) experimentellen Roman, in dem der "allwissende Erzähler" sowie herkömmliche Strukturen der Gesellschaftsspiegelung, Figurenpsychologie und Handlungskausalität aufgegeben werden, dies mit der Konsequenz, dass im Rahmen eines Systemausgleichs neue, die Stabilität und Kontinuität der Gattung sichernde Kompositionsmuster hervortreten. Letztere erschöpfen sich nicht in erzähltechnischen Innovationen wie innerem Monolog, erlebte Rede und Bewusstseinstrom oder neuen Verfahren der Deskription anstelle von Diegese [Ausführung, weitläufige Erzählung] und der Simultaneität anstelle von Linearität, sondern umfassen auch eine Reihe neuer Formgesetzlichkeiten, die jenseits dessen angesiedelt sind, was man konventionellerweise unter Erzählen versteht." ( Ernst, Ulrich: Typen des experimentellen Romans in der europäischen und amerikanischen Gegenwartsliteratur. 1992).


Wie diese Beschreibung schon andeutet, wird durch diese stilistischen Griffe das Verständnis der Werke erschwert, insbesondere dann, wenn die Autoren Anspielungen an andere Werke der Weltliteratur direkt oder verfremdet verwenden, und ganz besonders dann, wenn ein Werk aus einer ganzen Kette von solchen Anspielungen besteht und sich eigentlich nur denen erschließt, die zumindest die meisten dieser angesprochenen bzw. zitierten Werke kennen. Typisch für dieses neue Erzählen ist die Aushöhlung der narrativen Strukturen bis zur "Schwundstufe". An ihre Stelle treten typische Techniken wie das "Montageverfahren, die Emanzipation der Dissonanz, das Verfremdungsprinzip, die Abstraktion von Gegenständlichkeit, die Sprengung des Dogmas realistischer Mimesis [Abbildung der Wirklichkeit], die Aufhebung überlieferter formaler und harmonikaler Zwangsregeln, die neuen Technomorphyen, die ästhetische Ausnutzung von Kalkül und Zufall - das alles, um die Aufzählung abzubrechen, ist unlösbar verwoben mit einer ästhetischen Strategie des Schockierens, Befremdens, Wachrüttelns, Verweigerns und Verstummens." schreibt der Philosoph Peter Sloterdijk (in „Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung“ 1987).