Barackenleben

Prosa

Autor:
Angelika Janz
 

Prosa

Barackenleben

nur einmal gab es da einen etwas abgedrehten Unternehmensberater, von einem dieser Ostzulagenmissionare aus dem Westen geschickt, der unsere Jugendclubs versehentlich mit moderner Kommunikationstechnik ausstatten wollte -  er ließ sich von seinem Fahrer anmelden und von mir abholen über den Hof zwischen den Riesenpfützen und Schlammlöchern jonglierend, betrat mit gerümpfter Nase unser bullig-warmes Büro, in dem der Ofen sang und das Radio von Antenne MV unsichtbar in einer Ecke quäkte, polierte sich mit einer Ausgabe der "Freien Erde" von 1988 (Arbeitsmaterial der Dorfchronisten) 10 Minuten lang die dünnledrigen Stiefelchen, gab seinem braven Fahrer, hilflos in der offenen Tür stehend, offensichtlich einer jener ABM-Kräfte, die bei ihrer Einstellung von diesem Job nichts wußten, Order, auf der anderen, weniger verschlammten Seite der Baracke auf ihn zu warten, verweigerte den Kaffee aus einer unserer liebgewordenen, grüngeränderten Mitropatassen und verspeiste stattdessen ein ganzes Paket Waffelröllchen, das ich vor seinen Augen geöffnet und auf seinen Wunsch hin nicht "auf einen dieser Miefteller" ausgeschüttet hatte. Aus Protest hatte mein Kinomann den Raum verlassen und ereiferte sich mit der Schreibkraft von der Demontage nebenan. Ich erfuhr, daß ich die Sprache des Westens immer noch sehr gut verstand und darauf zu antworten wußte, doch erfuhr ich auch, und seitdem noch viele Male, daß der Westen die Sprache des Ostens nicht zu lernen bereit war, zumindest nicht jene, die, mit finanziellen und lobbymäßigen Potenzen ausgestattet, uns hätten helfen können. Als der ebenso knallharte Macher wie dünnhäutige Gecko auf Frankfurt/Main unverrichteter Dinge, um eine Tüte Kekse im Verdauungskreislauf und um eine Osterfahrung reicher, das Büro auf Zehenspitzen ohne meine Begleitung verlassen hatte, bestürmten mich die Kollegen mit Fragen, denen sie, ohne eine Antwort abzuwarten, sofort entsprechende Kommentare folgen ließen, die ich zum Schutz beider beteiligten Klientel hier nicht wiedergeben werde.

"Baracken sind nicht mehr zeitgemäß", sagte entschuldigend vor einiger Zeit der stellvertretende Chef der Firma zu mir, als wir über die Geschichte und Lebensdauer von Baracken sprachen. Dabei konnte ich ihn mir kaum vorstellen, wie er eines Tages in einem modernen Bürohaus mit seiner Brigade die Mittagspause verbringen würde, die jetzt noch durch heiße Bockwürste, Eintopfgerichte für alle, türkisch gebrühten Kaffee und stets gefüllte Obstschalen auf Wachstuchdecken mit kleinen Blumengestecken verteilt die zeitliche Oase eines Arbeitstages darstellte.

Das Barackenleben endete abrupt und grausam durch meinen Unfall, und erst ein Jahr später fand ich mich wieder dort ein, um mein Büro auszuräumen. Ich hatte meine Stelle verloren, weil ich in das Projekt, das ich aufgebaut hatte, "nicht wieder eingegliedert werden konnte", und daran trug niemand so recht die Schuld außer das unschuldige Schicksal. Der Schreibtisch in dem jetzt ungeheizten Raum, meine Schränke und Tische, so wie ich sie verlassen hatte, mit letzten Notizen und meinem Plan für den nächsten Arbeitstag, waren mit verstaubter Folie abgedeckt, auf dem die von den Wänden gerissenen Plakate und Schriften verstaubten. Das Telefon war tot, das Radio hatte jemand, von dem niemand wußte, wer, "in Verwahrung genommen", in der Kaffeemaschine stand der Schimmel, meine Pflanzen waren tot. Nur eine von ihnen, die auf wunderbare Weise ein kräftiges Wurzelwerk voll gespeicherten Wassers entwickelt hatte, steht heute wieder kräftig austreibend in meiner Veranda.