weitere Infos zum Beitrag
Essay
Unsere Wüstentöchter - Zur Rezeption von Autobiographien naher und ferner Frauen
III
Angesichts der unüberschaubaren Mengen an Erfahrungs-, Erlebnis-, Leidensberichten, die aus den Bücherregalen der Stadtbibliotheken über die Entleihkassen ins Wohnzimmer geschleppt werden -- von einem Teil der Verwertungskette durfte ich mich überzeugen, als ich selbst jene Druckerzeugnisse, nicht ohne absichernden Blick, über die digitale Ausleihstation in München-Schwabing schleuste: zu den besprochenen Bänden werden Reisebücher und andere eskapistische Titel addiert -- stellt sich die Frage, wer welches Bedürfnis mit der Lektüre dieser Bände stillt. Daß es um die Bestätigung von Wertbeständen geht, leuchtet ein, aber handelt es sich dabei nicht eher um einen Effekt als um die Motivation? Ist es wirklich der 9/11-Schock, der die Glieder in Richtung kommunale Bildungseinrichtungen drängt, um mehr über den bösen Muslim und die barbarisch mißhandelten Frauen zu erfahren? Viel wahrscheinlicher ist es den Lesern -- statistisch exakter: Leserinnen -- doch um den Ausgleich von Fremdheitsdefiziten zu tun, um die befriedigende Gewißheit, es gehe anderen an anderen Orten nicht viel anders als uns. Prinzipiell nimmt das Begehren dabei keine Rücksicht auf die jeweilige Lebensepoche der Rezipienten. Denn zunächst sind emphatische Lektüren Vorrechte von biographischen Übergangsepochen, in denen Identitäten überprüft und gesichert werden, sodann beschleunigt man mit ihnen den Raum, für den die Lebenszeit niemals hinreicht.
Daß die Autobiographien exotischer Frauen ein Sedativum für die 'desperate housewives' -- zumindest für jene auf der westlichen Seite der Elbe -- bereithalten, ist eine Binsenweisheit, die nicht länger wiederholt zu werden braucht. Vielleicht ist ihr Anschwellen ein Indikator für die mit zahlreichen Emanzipationswellen hereingeschwappte Verunsicherung unter denjenigen 40- und 60jährigen, die einstmals, trotz aller guten Vorsätze, nicht von den neuen Freiheiten profitiert haben (oder sich darüber hinweglogen, weil sie auf die Aufgeklärtheit ihrer Männer setzten) und für die sämtliche heutige Angebote zu spät kommen: Das dritte bis sechste Kind auszutragen, die Eva-Methode also, ist eine biologisch verirrte Hoffnung, und gegen Karriereattitüden, Thea Dorns neue F-Klasse, blockt der Altersrassismus. Selbstredend verlockt es deshalb, Gutes zu tun: zu spenden und Ehrenämter zu übernehmen und damit den eigenen Horizont zum Maß der Dinge zu erklären (die wahre Liebe finden zu dürfen, Erfüllung in der Mutterschaft zu erleben, Lesen und Rechnen zu erlernen). Das Wohlgefühl bei diesen Tätigkeiten, das spezifische Selbstbewußtsein, so stelle ich es mir zumindest vor, wird gesteigert durch die Imagination eines Opferstatus (Opfer gewesen zu sein der Eltern, die die sexuelle Befreiung hintertrieben, der Professoren, die nur befriedigende Noten vergaben, der Gatten, die von ihnen häusliche Qualitäten forderten, während sie auf Dienstreisen die Welt, oder wenigstens die Märkte revolutionierten). Die unentrinnbare Überzeugung, nichts dafür zu können -- denn darin besteht, bei Lichte besehen, das Erbe ihrer Mütter -- befähigt zu besonders niederschwelligem Empathieeinstieg. Sie führt allerdings auch zu Sätzen wie: "Hauptsache leben."
Die Lebensgeschichten aus fernen Ländern werden in den Regalen der Stadtbibliothek ergänzt durch die Erinnerungen hiesiger Frauen. Da meine Aufmerksamkeit nicht der PR-Vorlage arrivierter Heldinnen, sondern den Namenlosen oder zumindest Unberühmten zuteil werden soll, seien an dieser Stelle so disparate Damen wie Naddel, Senta Berger oder Marianne Rosenberg übergangen. Die durchschnittliche 'Frau von heute', die über sich Bericht zu erstatten weiß, entpuppt sich bei näherem Hinsehen in ihrer Lebensbeschreibung als leistungswillige Berufstätige, die der Mief ihrer Kindheit beinahe erstickte. Doch Vorsicht: ihre Perspektive entwickelt sie nicht als Einzelkämpferin, die sich gottverlassen durch desaströse Beziehungen kämpft, sondern als Sprecherin einer 'Generation'. Jana Hensel, deren Erfolgsreminiszenz Zonenkinder 2004 bis in die Bestsellerlisten vordrang, sei hier ignoriert; sie erzählt eine Opfergeschichte nur insofern, als daß der Referenzrahmen DDR zwischendrin wegbrach, aber immerhin im Osten durch Mund-zu-Mund-Beatmung auf Wachkoma-Niveau stabilisiert werden durfte. Diese Geschichte ist streckenweise frivol, zotig oder einfach nur amüsant, jedoch regt die Autorin eher zur letzten Parade neben einem Schwerstkranken an als zum Verfolgen von Individualität. Mit dem Tätergerüst DDR hat man so nur Mitleid. Dagegen reiht sich ein Buch wie Hauptsache Heiraten oder Wie ich die sexuelle Revolution knapp verpasst habe (2002) in den hier interessierenden Kontext. Christine Walch -- der Waschzettel bereitet vor: sie ist beim Schweizer SonntagsBlick fürs bessere Deutsch verantwortlich -- erzählt von einer spießig-materialistischen Jugend vor 1968, von der es heißt: "Das absolut Schlimmste, was einem damals passieren konnte, war ein uneheliches Kind." Aber auch nach der Kulturrevolution wurde es nicht besser:
"Außer daß sie [die jungen Frauen] nach peinlichsten Kohabitationen im Fiat 500 oder auf dem elterlichen, mit dem Handtuch vor verräterischen Spuren geschützten Sofa gräßliche Abtreibungsgeschichten durchstehen mußten, und zwar ziemlich ohne Hilfe ihrer palavernden Liebhaber, beschränkte sich ihr Anteil an der großen Bewegung -- wenn man nicht gerade Uschi Obermaier oder Iris Berben hieß -- meistens auf Bierholen, Kaffeekochen, häufig wechselnde Geschlechtspartner und aufs Vervielfältigen schwachsinniger Aufrufe."
Angesichts der unüberschaubaren Mengen an Erfahrungs-, Erlebnis-, Leidensberichten, die aus den Bücherregalen der Stadtbibliotheken über die Entleihkassen ins Wohnzimmer geschleppt werden -- von einem Teil der Verwertungskette durfte ich mich überzeugen, als ich selbst jene Druckerzeugnisse, nicht ohne absichernden Blick, über die digitale Ausleihstation in München-Schwabing schleuste: zu den besprochenen Bänden werden Reisebücher und andere eskapistische Titel addiert -- stellt sich die Frage, wer welches Bedürfnis mit der Lektüre dieser Bände stillt. Daß es um die Bestätigung von Wertbeständen geht, leuchtet ein, aber handelt es sich dabei nicht eher um einen Effekt als um die Motivation? Ist es wirklich der 9/11-Schock, der die Glieder in Richtung kommunale Bildungseinrichtungen drängt, um mehr über den bösen Muslim und die barbarisch mißhandelten Frauen zu erfahren? Viel wahrscheinlicher ist es den Lesern -- statistisch exakter: Leserinnen -- doch um den Ausgleich von Fremdheitsdefiziten zu tun, um die befriedigende Gewißheit, es gehe anderen an anderen Orten nicht viel anders als uns. Prinzipiell nimmt das Begehren dabei keine Rücksicht auf die jeweilige Lebensepoche der Rezipienten. Denn zunächst sind emphatische Lektüren Vorrechte von biographischen Übergangsepochen, in denen Identitäten überprüft und gesichert werden, sodann beschleunigt man mit ihnen den Raum, für den die Lebenszeit niemals hinreicht.
Daß die Autobiographien exotischer Frauen ein Sedativum für die 'desperate housewives' -- zumindest für jene auf der westlichen Seite der Elbe -- bereithalten, ist eine Binsenweisheit, die nicht länger wiederholt zu werden braucht. Vielleicht ist ihr Anschwellen ein Indikator für die mit zahlreichen Emanzipationswellen hereingeschwappte Verunsicherung unter denjenigen 40- und 60jährigen, die einstmals, trotz aller guten Vorsätze, nicht von den neuen Freiheiten profitiert haben (oder sich darüber hinweglogen, weil sie auf die Aufgeklärtheit ihrer Männer setzten) und für die sämtliche heutige Angebote zu spät kommen: Das dritte bis sechste Kind auszutragen, die Eva-Methode also, ist eine biologisch verirrte Hoffnung, und gegen Karriereattitüden, Thea Dorns neue F-Klasse, blockt der Altersrassismus. Selbstredend verlockt es deshalb, Gutes zu tun: zu spenden und Ehrenämter zu übernehmen und damit den eigenen Horizont zum Maß der Dinge zu erklären (die wahre Liebe finden zu dürfen, Erfüllung in der Mutterschaft zu erleben, Lesen und Rechnen zu erlernen). Das Wohlgefühl bei diesen Tätigkeiten, das spezifische Selbstbewußtsein, so stelle ich es mir zumindest vor, wird gesteigert durch die Imagination eines Opferstatus (Opfer gewesen zu sein der Eltern, die die sexuelle Befreiung hintertrieben, der Professoren, die nur befriedigende Noten vergaben, der Gatten, die von ihnen häusliche Qualitäten forderten, während sie auf Dienstreisen die Welt, oder wenigstens die Märkte revolutionierten). Die unentrinnbare Überzeugung, nichts dafür zu können -- denn darin besteht, bei Lichte besehen, das Erbe ihrer Mütter -- befähigt zu besonders niederschwelligem Empathieeinstieg. Sie führt allerdings auch zu Sätzen wie: "Hauptsache leben."
Die Lebensgeschichten aus fernen Ländern werden in den Regalen der Stadtbibliothek ergänzt durch die Erinnerungen hiesiger Frauen. Da meine Aufmerksamkeit nicht der PR-Vorlage arrivierter Heldinnen, sondern den Namenlosen oder zumindest Unberühmten zuteil werden soll, seien an dieser Stelle so disparate Damen wie Naddel, Senta Berger oder Marianne Rosenberg übergangen. Die durchschnittliche 'Frau von heute', die über sich Bericht zu erstatten weiß, entpuppt sich bei näherem Hinsehen in ihrer Lebensbeschreibung als leistungswillige Berufstätige, die der Mief ihrer Kindheit beinahe erstickte. Doch Vorsicht: ihre Perspektive entwickelt sie nicht als Einzelkämpferin, die sich gottverlassen durch desaströse Beziehungen kämpft, sondern als Sprecherin einer 'Generation'. Jana Hensel, deren Erfolgsreminiszenz Zonenkinder 2004 bis in die Bestsellerlisten vordrang, sei hier ignoriert; sie erzählt eine Opfergeschichte nur insofern, als daß der Referenzrahmen DDR zwischendrin wegbrach, aber immerhin im Osten durch Mund-zu-Mund-Beatmung auf Wachkoma-Niveau stabilisiert werden durfte. Diese Geschichte ist streckenweise frivol, zotig oder einfach nur amüsant, jedoch regt die Autorin eher zur letzten Parade neben einem Schwerstkranken an als zum Verfolgen von Individualität. Mit dem Tätergerüst DDR hat man so nur Mitleid. Dagegen reiht sich ein Buch wie Hauptsache Heiraten oder Wie ich die sexuelle Revolution knapp verpasst habe (2002) in den hier interessierenden Kontext. Christine Walch -- der Waschzettel bereitet vor: sie ist beim Schweizer SonntagsBlick fürs bessere Deutsch verantwortlich -- erzählt von einer spießig-materialistischen Jugend vor 1968, von der es heißt: "Das absolut Schlimmste, was einem damals passieren konnte, war ein uneheliches Kind." Aber auch nach der Kulturrevolution wurde es nicht besser:
"Außer daß sie [die jungen Frauen] nach peinlichsten Kohabitationen im Fiat 500 oder auf dem elterlichen, mit dem Handtuch vor verräterischen Spuren geschützten Sofa gräßliche Abtreibungsgeschichten durchstehen mußten, und zwar ziemlich ohne Hilfe ihrer palavernden Liebhaber, beschränkte sich ihr Anteil an der großen Bewegung -- wenn man nicht gerade Uschi Obermaier oder Iris Berben hieß -- meistens auf Bierholen, Kaffeekochen, häufig wechselnde Geschlechtspartner und aufs Vervielfältigen schwachsinniger Aufrufe."