Es waren einmal die Grünen...
1.
Eigentlich müßten es goldene Zeiten für die Grünen sein. Daß ökologische Nachhaltigkeit nicht nur eine moralische Frage ist, sondern ein Gebot ökonomischer Klugheit sein könnte, angesichts horrender Folgekosten einer Politik, die darauf nicht Rücksicht nimmt, das dämmert vielen: Steigende Meerespegel, Enteausfälle – und überhaupt: Wenn Trump das Pariser Abkommen platzen läßt, muß es gut gewesen sein...
Dazu hakt es im Getriebe der Populisten, übrigens auch seit Trump, als wäre seine Präsidentschaft eine vor allem für die USA teure Nachhilfestunde in Politologie, nach der sich der vielbeschworene kleine Mann zweimal überlegen wird, gegen das Establishement auf einen Milliardär zu setzen.
Und auch dies hat sich herumgesprochen, daß alle rechte Politik zwar jammern und zetern und drohen kann, aber Probleme nicht lösen. Weder die Mauer zu Mexiko, die Trump erdachte, noch die Sperre der Mittelmeerroute, die ein österreichischer Kurzschluß war, sind durchsetzbar – sie sind nur brutale und zugleich ineffiziente Antworten auf komplexe Probleme, die man gerade nationalstaatlich nicht lösen kann: ohne Staaten, die aus und vor ihnen Flüchtende – von denen vielleicht auch nicht alle die Wirtschaftsflüchtlinge sind, bei denen es ja so einfach wäre ... oder nein, auch da ist es schwierig – wieder aufnehmen, blieben nur Auffanglager, für dauerhaft Entrechtete vor der Grenze, ohne Perspektive, sodaß selbst der IS ihnen als eine attraktive Alternative erscheinen könnte.
Daß die Mitte – CDU/CSU, ÖVP & Co. – längst das macht, was unter dem Vorwand des Nationalismus diese Feudalisten fordern, bedeutet, daß die Mitte populistisch werden mußte, also jenen sich angleichen, die Merkel und andere gerne als unmoralisch verurteilen, weil die wahren Argumente eher unattraktiv sind: Wer wollte Verhungernde und Ausgebombte oder auf der Flucht vor alledem Ertrinkende als Preis für den Wohlstand verkaufen, den man ungerne, aber eben doch zahle … während diese Toten ihn bezahlt haben?1 Oder man prophezeit den Systemkollaps, wenn „Sachzwängen” – siehe zu diesen die lange vor Merkel formulierten Ketzereien Günther Anders’ –, nicht entsprochen werde. Die Mühe, das, was Subsidiarität meine, zu erklären oder auf seine Gegenwartstauglichkeit abzuklopfen, sieht man in der angeblichen Mitte aber nicht, weshalb Robert Menasses Prophezeiung zur schwarzen Kanzlerschaft in Österreich, Schüssel sei politisch tot, er wisse es nur noch nicht, sich als richtig erwiesen haben dürfte: Das Politische der ÖVP war damals am Ende, dieser Hirntod wurde freilich von manchen nicht erkannt, die das Amt Schüssels mit der Vitalität eines christlich-sozialen Diskurses gleichsetzten, so etwa Rudolf Bretschneider (Stellungnahmen. In: Die Presse, Di., 3.12.2002, S.8).
Nimmt man dann noch die sinkende Popularität der Sozialdemokraten in der Umarmung der Realpolitik mit ihren „Sachzwängen”, sieht man ihre Probleme, sich gegen rechtspopulistische wie linkspopulistische Anflüge zu wehren, wobei Österreichs Kern einem besser gefallen kann, als etwa Schulz, der im Zweifelsfall eine schweigsame Sphinx ist, sollte einiges möglich sein...
... und während ich das verfasse, lese ich es ähnlich beim Juristen Alfred Noll, „das politische Feld”, so schreibt er von Österreich, so kann man es aber auch von Deutschland sagen, sei „neu abgesteckt” worden: „Erstmals ist Platz.”
2.
Es müßten goldene Zeiten sein. Platz ist. Man müßte ihn sich nur nehmen, frech, demokratisch und gar querulierend, was sich hier schon wie ein „Adelsprädikat”2 ausnimmt, aber den Grünen schon Angst macht, wenn es um Interna geht…
Platz: Da alle Postpolitik machen, in Österreich etwa Schwarz warum auch immer türkis eingefärbt wird und der Messias Kurz ein Programm ersetzt, könnte man es jedenfalls versuchen, dagegen Politik wieder zu machen, diese also wachzuküssen, gleichsam.
Bestünde denn kein Bedarf nach schlüssigen Herleitungen dessen, was man wolle, und sei’s, weil in manchen Themenbereichen selbst jene, die es anders wollen, konzedieren: Merkel und das, was sie vertritt, eine Melange aus Neofeudalismus und Pfarrerstochter-Habitus, ist nicht nur moralisch womöglich fragwürdig – dagegen kann man einwenden, daß Politik und Moral miteinander weniger zu tun haben, als sich manche offenbar wünschen –, sondern vor allem offenbar eine schlicht verquere Antwort auf zudem schon falsch gestellte Fragen..?3
3.
Was aber tun die Grünen? Ökologische Nachhaltigkeit ließen sie sich als Thema schon vor langer Zeit klauen. Vielleicht waren die Diebe dabei unglaubwürdig – doch das zu sagen, verlangte, daß die Grünen selbst glaubwürdiger werden, was das Thema betrifft: Ökolibertär aber war das Erfolgsrezept, also die Wirtschaft wild wuchern zu lassen, nicht die Natur; und als grün wäre dann der durchgegangen, der Kohlekraftwerke exportiert, aber die Bäume vor seiner Villa stehenläßt, eine FDP mit Fahrrad, wie Urban Priol es formuliert.
Populismus? Die Grünen, einst bildungsbürgerlich, einst dem auch verpflichtet, einst die Partei mit dem höchsten Akademikeranteil bei Vertretern wie Wählern, bieten das – anstatt klarer, differenzierter Programme, wo ihre Chance läge. Dabei könnte man hier zeigen, daß zwischen den mitunter unguten Vereinfachungen einer Wagenknecht und der Sachzwang-Behauptung sehr wohl soziale Politik machbar ist. Dazu bedürfte es allerdings des Glaubens in die Intelligenz der Bürger und jener Maßnahmen, die diesen Glauben rechtfertigten: also Ausgaben im Bildungsbereich. Dazu schweigt Grün aber, bzw. erschöpfen sich die Vorschläge in Nivellierungen, also im Fetisch der Gesamtschule, derweil die, die es sich leisten können, ihren Kindern das zugänglich machen, was öffentlich eingespart wird. Die Erblichkeit von Bildung wird so nicht aufzuheben sein, die Nachwuchshoffnung Julian Schmid hat hierzu auch ein offenbar eher legeres Verhältnis.
Rechts sind die Grünen nicht; links aber, das ist schon zu erahnen, ebensowenig. Angeboten wird allenfalls eine Willkommenskultur, die zwar schön ist, aber Antworten schuldig bleibt, wie es auch bei den Zaun- und Mauerbauern der Fall ist. Wie geht man denn liberal mit jenen um, die traumatisiert und oft bildungsfern wie auch vorurteilsbeladen kommen, sowie mit einem nachvollziehbaren Groll auf jene, deren kleine, feine Demokratie ihnen Asyl bietet, aber auch wie angedeutet die Verhältnisse mitverantwortet, die zum Fluchtgrund sich verdichteten? Und natürlich ist in bezug auf diese Mitverantwortung von den Grünen wieder wenig zu hören, etwa zur Frage, wieso die Entwicklungshilfe als Initiative, gegen jene Fluchtgründe anzugehen (ganz altruistisch…), neben den Ausgaben für das Militär noch so kümmerlich ist, wobei die durch die Migration verursachten Kosten inzwischen aus unerfindlichen Gründen in diese Ausgaben hineingerechnet werden.
Stattdessen Romantik in bezug auf die Ankömmlinge. Als Peter Pilz von den österreichischen Grünen – inzwischen: noch von ihnen – auch nur laut dachte, daß man vielleicht wissen sollte, wer da von woher und wohin gehe, galt das darum als Ausflug in den Rechtspopulismus, aber die Wahrheit ist: Sozialstaaten können dies nur sein, wenn sie eben wissen, wer welche Ansprüche hat, wenn sie Ansprüche definieren, also nicht der im Grunde kapitalistischen (Schein-)Freiheit nachhängen, die unkontrollierte Migration ausdrückt: „the right to »free movement« should be limited, if for no other reason than the fact that it doesn’t exist among the refugees, whose freedom of movement is already dependent on their class”4
Auch ansonsten reicht ein Blick ins Reich Winfried Kretschmanns, um zu wissen, daß, wo ein Grüner herrscht, grüne oder gar irgendwie linke Politik dennoch nicht gemacht werden muß. Da sind es dann die die Sozialdemokraten korrumpierenden „Sachzwänge” – und irgendwann werden sie auch dem letzten Wähler an den Grünen so auffallen, wie an den Sozialdemokraten, von den österreichischen Grünen schreibt Noll in diesem Zusammenhang:
„Dass sie sich selbst nun als »einzige linke Kraft« apostrophieren, während sie sich in den Ländern der ÖVP an den Hals werfen, zeigt, wie sehr sie [...] in den Chor arrivierter Politik und der damit einhergehenden Publikumsverhöhnung eingestimmt haben.”
Analog paßt sich Grün in Deutschland schon Merkel an, Kretschmann betet bekanntlich für die Monarchin aus der Uckermark, weil er sie selbst als das sieht oder zu sehen vorgibt, was eine ihrer bekanntesten Vokabeln ist: alternativlos.
Die Störung derer, deren Sachzwänge à la Merkel genau einem nicht standhalten, nämlich solidem Argumentieren, unterbindet man, indem die österreichischen Grünen mit Pilz einen bekannten Aufdecker und mit Bruno Rossmann jenen, vor dem der Finanzminister sich fürchten mußte, verabschieden. Statt diese Widerständigen zu unterstützen, fetischisierte man populistisch die Jugend, zum feschen Herrn Kurz von den Christlich-Sozialen, denen man beides nicht ansieht, servierte man den feschen Herrn Schmid, mit der Begründung, das sei Basisdemokratie (gleichwohl mit Absprachen), drücke aber vor allem Offenheit und Wandel und insgesamt, daß man keine Altpartei sei, aus. Doch „Neuerung heißt nicht einfach Wechsel”, so Isolde Charim zum Manöver:
„Junge Leute, die an die Stelle von Älteren treten, garantieren noch keinen Aufbruch. Wir können nun bei den Grünen beobachten, wie ein Generationenwechsel keineswegs als Aufbruch gesehen wird. Da können sich die Grünen noch so sehr bemühen: Das Zulassen der Jungen kommt nicht als Erneuerung an.
Pilz’ Eigendefinition als »engagiertes grünes Nachwuchstalent« überzeugt da viel mehr. Eben weil Pilz etwas will. Weil es ihn drängt. Weil er für etwas kämpft. Das macht das politische Alter aus. Nicht die Biologie.”2
4.
Grün war eine Chance. Grün hatte eine Chance. In Zeiten der Postpolitik hatte man Raum, hätte diesen in die Möglichkeit übersetzen können, wieder Politik zu machen, einen regen, verbindlichen und vielleicht revolutionären Diskurs zu haben, statt Abhängigkeiten – und statt Feudalherren Parlamentarismus, der sich nicht fragen lassen muß: „Braucht niemand mehr gute Reden im Parlament zu halten?”
Das ist im Moment im Präteritum zu schreiben. Grün ist, statt Postpolitik, gegenwärtig Kompostpolitik.
- 1. „Refugees are the price humanity is paying for the global economy” – Slavoj Žižek, https://qz.com/767751/marxist-philosopher-slavoj-zizek-on-europes-refuge...
- 2. a. b. http://www.wienerzeitung.at/meinungen/gastkommentare/901753_Der-wahre-Qu...
- 3. https://www.fixpoetry.com/feuilleton/kritiken/ulrich-beck/die-metamorpho...
- 4. http://inthesetimes.com/article/18605
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