Kolumne

Zur Arbeit des Vereins offenes feld, nebst gleichnamiger Zeitschrift und edition

 

Der Verein offenes feld und seine Edition, betreut von Jürgen Brôcan, nehmen aus mehreren Gründen einen besonderen Platz in meiner eigenen Biographie ein. Meine allererste Rezension für Fixpoetry bspw. (während ich diese Zeilen schreibe, fällt mir auf, dass sie auf den Tag genau vor vier Jahren erschienen ist) war zu den Gedichten von Ranjit Hoskoté in „Feldnotizen des Magiers“, übersetzt von Brôcan und erschienen in der edition.

 

 

Noch heute sind die Innenseiten der Einbandbanddeckel dieses Buch mit den Beweisen meiner Nervosität (ob dieser ersten bezahlten Rezensionstätigkeit) übersät – Zitate, Einfälle und mögliche Ansätze, durcheinandernotiert. Während ich immer wieder hadere mit jeder einzelnen Rezension und mir oft denke, dass ich viel mehr Erfahrungen mit den Texten gemacht habe, als zu Papier zu bringen mir gelungen ist, gleichsam aber auch oft getrieben bin, über meine Lektüre zu schreiben, um die Intensität und Idee einer bestimmten Poetik oder Geschichte noch etwas länger zu spüren, sie weitergehend aufzunehmen, zu begreifen, gibt mir dieses Exemplar, wann immer es mir in die Hände fällt, eine spontane Zuversicht. Ich weiß dann wieder, warum ich noch immer erpicht darauf bin, über meine Lektüren zu schreiben (sei es für mich oder auch für andere), sehe mein Verlangen versinnbildlicht in diesen ausufernden Notizen.

Schon ein halbes Jahr zuvor hatte ich eine meiner ersten Text-Veröffentlichungen in der vierten Nummer der Zeitschrift offenes feld: vier einzelne Gedichte und die erste Version eines längeren Zyklus. Eines der Gedichte („Nach einem Attentat in Kabul“) ist mir heute fremd geworden, oder, besser gesagt: ich glaube nicht, dass ich es heute noch schreiben würde; gleichzeitig ist es eines der wenigen eindeutig politisch motivierten Gedichte, die ich bisher geschrieben habe. So gesehen ist es schön, dass dieses Gedicht, das vermutlich nie in einen Band aufgenommen wird, dennoch einmal veröffentlicht wurde und hier steht.

Ich weiß noch, wie stolz ich war (und mir einiges drauf einbildete) mit Martin Piekar, dessen Gedichte ich schon damals ob ihrer bahnbrechenden Fülle schätzte, in ein- und derselben Ausgabe zu sein. Dieses offene feld Nr. 4 war vermutlich auch eines der letzten Belegexemplare, in dem ich nicht nur blätterte und ausgesuchte Texte anschaute, sondern das ich sofort nach Erhalt von Anfang bis Ende durchlas: ich wollte wissen, welche Texte da mit meinen zusammen in einem Heft waren. Manche Ehre begreift man aber erst später – so sagten mir die Namen Jan Kuhlbrodt und Marina Büttner damals noch wenig bis gar nichts; im Nachhinein ist es eine erfreuliche Fügung, dass meine Gedichte mit den Texten zweier Menschen in dieser Ausgabe stehen, von denen ich so viele Rezensionen gelesen habe und deren Empfehlungen ich mir regelmäßig zu Herzen nehme.

In meiner Erinnerungen bringe ich die Ausgabe Nr. 4 immer mit Landschaften in Verbindung, die sich immerfort in den Texten auftun. Erst beim Wiederlesen merke ich, dass es durchaus sehr unterschiedliche Texte sind und meine Erinnerung, neben Piekar, wohl geprägt ist von Mathias Jeschkes Zyklus „Vögel & Insekten“, von dem ich jetzt erst begreife, wie eindrücklich er damals für mich war (und wie inspirierend), und einem Gedicht von Håvard Rem (übersetzt von Klaus Anders), dem ich (ohne zu bemerken, dass ich es bereits kannte) zwei Jahre später in einer Anthologie mit skandinavischer Lyrik wiederbegegnete und in dem es heißt:

„Die Sprache ist ein Sturm
Die Poeten sind Bäume
[…]
Es ist nur der Wind Der Wind

der durch die Baumkronen fährt
Einen Ton für jeden Baum
[…]
Du findest, die Birke singt wahrer
als die Fichte?“

Nein, das finde ich natürlich nicht, ganz im Gegenteil: seit ich über Lyrik schreibe, versuche ich dem individuellen Vorhaben, das jedes Gedicht darstellt, gerecht zu werden und auf die Ideen und Möglichkeiten dieses Gedichtes zugeschnittene Bewertungskriterien zu entwickeln, damit die Wertung auch von Verständnis geprägt ist, nicht nur von Geschmack. Deswegen ist dieses Gedicht von Rem, mit seiner verfänglichen Frage am Ende, bis heute sehr wichtig für mich: es erinnert mich daran, dass es viele sinnvolle Unterscheidungen gibt, aber auch zahlreiche von eher fragwürdiger Natur. Oder, anders gesagt: es gibt nicht ein Qualitätsmaß, es gibt Qualitäten, die in Kunstwerken unterschiedlich stark (oder schwach) ausgeprägt sind und im Zusammenspiel mit den Absichten und Dynamiken zu mannigfaltigen Ergebnissen führen.

Aber genug davon und zurück zur Zeitschrift offenes feld, mit deren bisher acht Ausgaben ich mich in den letzten Tagen beschäftigt habe. Schon in den ersten drei Nummern (Bei den Nummern 1-4 setzte sich das Team wie folgt zusammen: Jürgen Brôcan, Frank Wierke (Redaktion), Klaus Anders, Michael Girke (Beirat) und Kerstin Zimmermann (Mitarbeit)) wird die Affinität zu skandinavischer Literatur deutlich, die sich in Beiträgern wie Bengt Emil Johnson, Rolf Jacobsen, Staffan Söderblom und Kjartan Hatløy zeigt (von dreien dieser Autoren sind später auch Publikationen in der edition offenes feld bzw. der ebenfalls wunderbaren edition rugerup erschienen, über deren tolle Arbeit auch mal ein Text geschrieben werden sollte). Die Nr. 1 wartet zusätzlich mit Highlights wie den Gedichten des (mir bis dahin völlig unbekannten) amerikanischen Lyrikers Dana Gioia auf, sowie spannenden Wahrnehmungsbeschreitungen von Godela Unseld (und auch Hoskoté ist hier vertreten).

Auch die Nummern 2 und 3 können, neben den skandinavischen, mit weiteren Dichter*innenentdeckungen/-übersetzungen aufwarten: Arundhathi Subramaniam (2) bzw. Anne Beresford (3). Die Nr. 2 halte ich für eine besonders lesenswerte Ausgabe, denn neben Klaus Anders heftig-bestechendem Triptychon „Im Gewebe ein Riss“ und einigen sehr einnehmenden Gedichten von Ulrich Koch, enthält das Heft außerdem Gedichte von Jose F. A. Oliver und einen Essay von Susanne Stephan über Gedichte des 1. Weltkriegs (nebst einem Prosatext von Brôcan über den alten Walt Whitman). Aus den Beiträgen der Ausgabe Nr. 3 will ich noch die Gedichte von Lisa Elsässer und Susanne Sinn hervorheben.

Auch die Ausgaben Nr. 5, 6, 7 (bei den Nummern 5 und 6 übernahmen Michael Girke & Klaus Anders bzw. Michael Girke und Ralf Thenior die Redaktion und Brôcan den Beirat, bei den Nummern 7 und 8 dann wieder Brôcan als Redaktion, Michael Girke und Ralf Thenior als Beirat, Mitarbeit immer: Kerstin Zimmermann) können mit einem guten Mix aus erstübersetzten Entdeckungen wie June Robertson Beisch (+ die Skandinavier Erik Beckman & Göran Tunström) (5), Peter Spafford (6) und Tsead Bruinja (7), bekannten deutschsprachigen Größen wie Norbert Lange (5), Walle Sayer (6) und Michael Krüger (7), jungen Stimmen wie Sigune Schnabel  & Denis Vidinski (6) und Arnold Maxwill (7) und einigen Geheimtipps überzeugen.

Zu letzteren gehören auf jeden Fall die Schachgedichte von Jonas Ellerström in Nr. 5 (übersetzt von Lukas Dettwiller, der alle schwedischen Autoren in den Heften übersetzt hat), die Gedichte von Saskia Stehouwer in Nr. 6 (übersetzt von Ralf Thenior), in deren salopp-tragikomische Art ich mich sofort verguckt habe, und die wunderbaren Schwebezustandgedichte von Ralf Thenior in der Nr. 7.

Das neuste Heft, die Nr.8, erschienen im Oktober 2019, weist zum ersten Mal ein Vorwort auf, in dem ein kurzer Überblick über den Inhalt geboten wird. Abgesehen von einem Text von Rainer Komers über die Eindrücke bei einem Filmfestival und zwei kurzen Essays (einer von Brôcan über Johann Peter Hebel, einer von Ralf Thenior über die abgedruckten Gedichte der georgischen Poetin Lia Sturua), sind in diesem Heft nur lyrische Beiträge versammelt.

„zwischen uns
hat sich viel Sprache entwickelt,
die faserig und gewaltig ist“ 

Zwei davon Debüts: Jürgen Jonas Rauscher (Jahrgang 1998) zum einen, in dessen Gedichten es immer wieder wunderbar prägnant zugeht, zum Beispiel in einem mit dem Titel „Zustände“:

„Heute war ich bereits weit weg
bevor ich hier ankam
wo man * schreiben kann.       *wieder
Heute befand sich, gerade,
etwas um mich und
ich mich darin.“

Die andere Debütantin ist Ursula Maria Wartmann, die bereits einiges an Prosa veröffentlicht hat, und deren erstes Gedicht „Vietnam“ mich ein wenig an mein oben genanntes Gedicht über Kabul erinnert, deren Verse aber voller bestechend-sinnlicher Momente sind, wie etwa hier:

„Schweinesonne. So nennen sie
den vollen Mond. Der kalte Schatten
wirft, der Moose bescheint und das
Zittern der Insekten in straff
gespannten Netzen.“

Neben diesen Debüts sind auch Autorinnen wie Bianca Döring und Angelica Seithe (von der es auch eine tolle Gedichtauswahl in der edition offenes feld gibt) vertreten, zwei weitere übersetzte Entdeckungen: Bianca Boer (übersetzt von Ralf Thenior und Katharina Bauer) und Lia Sturua (übersetzt von Stefan Monhardt), sowie der omnipräsente Johannes Wittek. Hinten im Heft findet man außerdem einen Überblick über die Publikationen der edition offenes feld.

Und hier schließt sich der Kreis. Denn eine letzte (und vielleicht die wichtigste) Sache, die mich mit dem offenen feld verbindet: im Februar 2017 erschien in der edition mein Debüt „Enterhilfe fürs Universum“ (aktualisierte Neuauflage 2019). Für die Herausgeberschaft und die Mitarbeit, das aufrichtige Interesse an meinen Texten und an meinem Werdegang, bin ich Jürgen Brôcan, den ich auch als Lyriker und Rezensenten sehr schätze, bis heute dankbar. Er gab mir die Möglichkeit, das, was sich noch nicht wie eine Stimme anfühlte, aber bereits eine Passion war, zu bündeln und so meinen eigenen Texten auf ganz neue Weise zu begegnen: in Form eines Buches, in Form einer Auswahl, in Form einer festgelegten Fassung.

Ich glaube, er hat dies auch vielen anderen Autor*innen und ihren Projekten ermöglicht und es lohnt sich, einen Blick auf das Programm der edition offenen feld zu werfen und, ich hoffe dieser Texte war hier eine Anregung, vielleicht auch eine Nummer der Zeitschriftenreihe zu erwerben.

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