Brief aus Chemnitz [31]
Illustration: Felix Pestemer Madame Schoscha lebt jetzt schon eine Weile in Barcelona. Ihr alter Bekannter, Herr Altobelli, weiterhin in Berlin. Beide leben sie in einer ganz eigenen Zeit. Und dennoch in dieser Welt, worüber sie sich gegenseitig berichten. Sie schreiben sich Briefe. Im monatlichen Wechsel flattert ein Brief aus Berlin oder Barcelona herein und vereint die aktuelle, kulturelle Erlebniswelt der beiden. Ganz wie im gleichnamigen Kultursalon Madame Schoscha, der sich mehrfach im Jahr an wechselnden Orten zusammenfindet, geben sich die beiden Auskunft über ihre Entdeckungen aus Kunst und Alltag. Hin und wieder melden sich auch alte Weggefährten der beiden zu Wort. In diesem Monat ist es wieder Thomas Reger aus dem Chemnitzer Umland.
Altobelli,
Sie hatten mich nach Berlin eingeladen, Sie haben einige Zeit nichts von mir gehört. Ich habe allerdings auch einige Zeit nichts von Ihnen gehört, insofern wird sich der Schaden in Grenzen halten. Lassen Sie mich dennoch kurz erklären. Da war zum einen diese Sache mit dem Besuch einer Lesung, in dem sich meine Neugier und Ihre Expertise getroffen hätten. Ich musste nicht lange überlegen, um mir klar zu werden, dass es keine gute Idee ist, mit Ihnen auf eine Lesung zu gehen. Sie hätten mir Ihre Brille aufgesetzt, wie könnten Sie anders, ich hätte die Brille nicht umstandslos ablehnen können, wie könnte ich anders, wir sind eben Menschen. Kurzum, ich war bereits in Berlin, habe bereits eine Lesung besucht, und möchte Ihnen heute davon schreiben. Warum aber hat das so lange gedauert bis ich nach Berlin gekommen bin? Ganz einfach: Jetzt ist endlich diese Arno-Schmidt-Ausstellung in der Akademie der Künste vorbei, die dort vom September letzten Jahres bis zum zehnten Januar diesen Jahres gezeigt worden ist, und die ich auch ganz abgesehen von vielen zwangsläufigen und zwangsläufig unangenehmen Begegnungen gewiss nicht ertragen hätte. Aber wie dem auch sei: Ich sagte bereits, dass es keine gute Idee gewesen wäre, mit Ihnen auf eine Lesung zu gehen. Lassen Sie mich noch den Grund hinzufügen: Es ist überhaupt keine gute Idee, auf eine Lesung zu gehen. Die Gattung dürfte dabei keine Rolle spielen. Wenn es schon so um die Lyrik bestellt ist, die zumindest keine Industrie ist, das muss man ihr lassen (aber auch nur das!), wie übel wird es dann um die heilige Prosa stehen. Es war in irgendeinem kleinen Raum in der Berliner Innenstadt, fragen Sie mich nicht wo, ich werde mich in dieser Stadt, dieser Unstadt, nie zurechtfinden. Es wurde tüchtig Bier getrunken. Wahrscheinlich hätte es niemanden gestört, wenn in der Kneipe niemand etwas vorgelesen hätte. Es wurde auch nicht viel gelesen, aber umso mehr drumherumgeredet, als Diskussion hat man es, glaube ich, bezeichnet, obwohl alle Insassen der Bühne denselben Sermon pflegten und höflich miteinander übereinstimmen. Lauter junge Leute, erstaunlich selbstbewusst. In der genannten Diskussion wurde einige Einwände über die „Generation“ (ein ausgeprägtes Kohortenbewusstsein, mein lieber Mann!) herbeizitiert, die dann aber gleich damit entkräftet wurden, dass das ja Gemeinplätze seien. Ist das nicht erstaunlich: Ein Einwand wird nicht ernst genommen, weil er eben ein Gemeinplatz ist. Das sagt jeder, da muss man nicht drauf achtgeben: vox populi, vox Rindvieh. Sehr bequem, dieser Gedanke. Wie es aber dazu kommt, dass ein Einwand zum Gemeinplatz anwächst, dazu keine Bedenken. Und dabei sind der Gemeinplatz und Gegenwehr sowieso derart freundlich und vorsichtig formuliert. Dass diese Lyrik ein gesellschaftlich völlig irrelevantes, akademisch überzüchtetes und verteufelt routiniert feilgebotenes Gerede ist, mithin unverständlich, leblos, leer, das wird man da nicht hören – wo sich die happy few zusammensetzen, um Einwände an sich abperlen zu lassen. Aber der Leser ist ihnen wichtig und groß. Implikation, Assoziation, Rätsel, Verdichtung, Leerstelle – all das ist ein Dienst am Leser, um ihn nicht festzulegen, um ihm das freie Spiel zu lassen. Will man dem Leser nun etwas vorsetzen oder nicht? Wenn er sich selbst bespiegeln soll, was soll ihm das neue Gedicht? Man schreibt so dahin – und verkauft es als Lesers Freiheit, dass der Leser die ganze Arbeit machen muss, wenn er nur etwas begreifen will. Das Gedicht sei frei und offen, frei von allen Zwecken, offen für alle Deutungen, aber was soll es dann? Wieso geht das Gedicht dann nicht in die Einsiedelei, wo Freiheit ist, anstatt auf Bühnen und in Bücher? Indessen diese Form des privatistischen Assoziierens, das kein Mensch nachvollziehen kann (ausgenommen, er will sich fein schöngeistig als Lyrikkenner rausputzen, dann muss er natürlich hinterher), das kommt mir schon seit Jahrzehnten bekannt vor. Es tritt auf der Stelle und die Fanfare der Zeitgenossenschaft hört nicht auf. Wie selig sind dagegen die exakten Wissenschaften, in denen das neue Messergebnis das alte Messergebnis ablöst, ohne viel Tamtam. Das hat Funktion für die Gesellschaft. Lyrik wird gepriesen als kurze, konzise, präzise Form des Sprechens. Was? Ich hörte den ganzen Abend sogenannte freie Verse, was ja nichts anderes heißt als schlampige Zeilen. Auch bemerkenswert fand ich, dass so viele Lyriker hintereinander lasen, obwohl sie offenbar nichts miteinander gemein hatten, als die Unfähigkeit, allein eine Ansage zu machen und allein einen Abend zu füllen. Besonders übel im Gedächtnis blieb mir ein Tobias Roth, der aus einem Büchlein mit dem albernen Titel „Aus Waben“ vorlas. Die Moderation kündigte ihn als gelehrten Dichter (ein Widerspruch in sich!) an, faselte irgendetwas von Antike und Renaissance, und es wurde nur allzu schnell klar, dass da niemandem klar war, was das eigentlich sein soll, dem Dichter am allerwenigsten. Weil jemand einen Götternamen aus dem Handlexikon ziehen kann, was soll das denn mit Renaissance zu tun haben? Haben der Paketdienst und der Turnschuh und was weiß ich, denn auch einen Antikenbezug? Sehen Sie, das ist es: Da wird die Staffage zum Kern erklärt, weil es gar keinen Kern gibt. Wiederum: Nichts als Privatvergnügen, das ausgestellt wird, als ob es jemand zu Kenntnis nehmen sollte, als ob es jemand zu Kenntnis nehmen könnte. Und überhaupt, was hat es denn auf sich mit dieser Vergangenheit, die uns in Roths blümerantem Geschwätz als gute alte Zeit untergeschoben wird? Völker ausbeuten und Hexen verbrennen und Sklaven halten und die Nase möglichst hoch tragen und keine Ahnung haben von den einfachsten Naturgesetzen – aber die Kunst ist doch ganz toll, was? Währenddessen überall diese Bienenmetapher. Wäre der Autor nur halb so belesen, wie er sich gibt, müsste ihm das eigentlich zum Hals heraus hängen. Ein schrecklicher Dünkel. Und dazu die süßlichsten Bilder, immer wieder die Feier der Schönheit, dieses debile Schwärmen für Italien. Man kann offenbar keinen anderen Landstrich wählen, wenn man mit möglichst viel hochkultiviertem Geklingel überhaupt nichts sagen will. Was heißt es da immer Informationsgesellschaft – die Information, was an den italienischen Küsten, in den italienischen Staatskassen los ist, wo sich die italienischen Giftmülldeponien und Wahlergebnisse befinden, scheint nicht durchgedrungen zu sei. Aber warum sich im Speziellen aufregen, wenn es im Allgemeinen Humbug ist, und nicht erst seit gestern. Wenn ich mich recht erinnere, schrieb ich Ihnen bereits in meinem letzten Brief von Schmidts Ansicht über Lyrik. Nun aber habe ich mich durchaus bemüßigt gefühlt, den Zettelkasten und nicht nur das löchrige Gedächtnis aufzusuchen, um Ihnen durch jenen Geist und Mund, die größer sind als meine, die Meinung nahezubringen, die ich mir zu eigen gemacht habe, aus Überlegung und Überzeugung. Denn: „Zum lyrischen Gedicht bedarf es nur eines beneidenswert kurzen Darms; und schon der Ablauf 1 einzigen Tages widerlegt alle Lyrik: dem wechselnden Tempo von auch nur 24 Stunden wird nur gute Prosa gerecht.“ Es ist die Verzerrung, die sich als überhoher Standpunkt ausgibt. „Das nämlich ist die unangenehme, gedankenvergewaltigende Kraft der Lyrik, daß der frei=logische Gedanke sich irgendwie dem einmal verrucht=vorhandenen Reim anbequemen muß!“ und für „Reim“ kann man freilich alle lyrischen Darreichungsformen einsetzen. „Ein junger Mensch, der ja praktisch nichts kennt, als sich selbst und die eigenen Gefühle, muß demzufolge Lyriker sein: Lyrik, das ist die bestrickende Sprache, die bestechendste liebenswürdigste Form des Egoismus. Wenn er aber noch über 30, wenn er Welt und Wissenschaft hat einigermaßen kennen gelernt, habituell Lyrik produziert, also weiterhin nur sein eignes Seelchen belauscht, dann sei vorsichtig im Verkehr mit ihm. Ein greiser Lyriker wäre ein Ungeheuer!“ Diese letzten Bemerkungen sind auf Goethe gemünzt. Bezüglich Goethe ist an einer sehr schönen Stelle vom „Fließband seiner Scheißverse“ die Rede. Das ist freilich schon etwas her, aber erzählen Sie mir, Altobelli, nichts von den Fortschritten der Kultur. Goethe hat mehr Schule gemacht als Schmidt.
Reger
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Kommentare
Generationen
"Ein junger Mensch, der ja praktisch nichts kennt, als sich selbst und die eigenen Gefühle ..." - das scheint mir auf mehr als 90 Prozent des derzeitigen literarisch gemeinten Schreibens zuzutreffen. Aber ich bin ja auch ein alter Mann und könnte Ihr Vater, bei manchen auch Großvater sein. Da liegen Welten dazwischen, beziehungsweise : Generationen, Generationen, Generationen ...
Io faccio in aprile 63 anni.
Io faccio in aprile 63 anni. Also Richtung Ostern 63, up norddütsch.
Haben wie uns als Jungsche nicht auch zuvörderst um uns gekümmtert,
auch in der Poesie?
Symphatische Haltung aber Roth wohl der falsche Gegner
Auf Facebook fühlt sich Sabine Sho an Ann Cotten erinnert. Andere teilen diesen Eindruck nicht. Aber den merkwürdigen Sonderfuror gegen Tobias Roth kennt man auch von ihr.
Ich denke auch, dass der Ausschluss von Deutbarkeit eher eine verbreitete Untugend ist, als eine Chance für die Lyrik. Sie kommt aus den Gewohnheiten des Interpretierens: Für die Kritik scheint oftmals jene Lyrik gute Lyrik, aus der der sensible öffentliche Deuter am bequemsten seinen eigenen Honig saugen :-) kann. Und wenn dieser Stil im Betrieb lange genug verbreitet ist, dann stellt sich die Lyrik irgendwann darauf ein. Man kann es den jungen Lyrikern nur teilweise vorwerfen: Wenn sie hörbar sein wollen, müssen sie dem Betrieb entgegen kommen.
Allerdings am Ende ist es in der Lyrik tatsächlich ja so: „Da wird die Staffage zum Kern erklärt, weil es gar keinen Kern gibt.“ Natürlich kann man sich immer wünschen, von den Worten zur Relevanz durchzudringen, aber ein Antikriegsgedicht ist doch lächerlich angesichts von Krieg. Wenn Lyrik neben dem breiten Raum der Prosa einen Sinn hat, dann tatsächlich den, unsere Arten miteinander zu reden zu bearbeiten, neue Sprachformen zu untersuchen oder zu erfinden.
Für darüber hinausgehende Sachgehalte haben wir gar keine geeigneten Umgangsformen mehr. Man braucht dafür nämlich z.B. dass man sich auf Feiern Gedichte vorläse oder dergleichen. Nur wenn es manchmal darauf ankäme, schnell etwas pointiert öffentlich im Gedicht darzustellen, könnte Lyrik gegen den breiteren Raum der Prosa aufkommen. Der Verlierer des Lyrik_ Prosa Vergleichs steht bei dieser Schmidtschen Ansetzung also von vornherein fest.
Dabei dürfte Tobias Roth ein eher unglückliches Beispiel für die Thesen des Verfassers sein. Roth ist sich nämlich darüber bewusst, dass es sich bei seinem Schreiben um Eskapismus handelt. Er nimmt verwundert zur Kenntnis, dass seine alten Fundstücke seine Mitmenschen notorisch weniger interessieren als ihn selbst und freut sich über andere Gesprächspartner. (Ein Blender müsste sie meiden.) Und er kennt sich bestens aus. Der Autor des Briefes irrt vollkommen, wenn er schreibt: „Wäre der Autor nur halb so belesen, wie er sich gibt, müsste ihm das eigentlich zum Hals heraus hängen.“ Denn auch mir wird die barocke Vergänglichkeitstopik immer spannender, je MEHR ich sie lese. Involviert ist hier der Irrtum, sie für einen notorischen Inhalt zu halten, sie ist aber ein Mittel, durch das hindurch ganz andere spannende Sachverhalte ausgetragen werden. Und so auch bei Bienen. Tobias Roth ist, ich habe es probiert, selbst über die äußersten Ränder seines großen Lesegebietes ein anregender Gesprächspartner. Zum Beispiel über englische Erziehungsliteratur der Frühaufklärung.
Darüber hinaus hat Schmidt öfters einen ähnlichen Eskapismus . Seine Exkurse zu Münzkunde oder Herrschergenialogien oder auch manche akribisch ausgebauten Naturmetaphern sind ja ebensolche poetischen Petitessen, die oft recht unvermittelt zu seinen sonstigen Absichten einfach so im Text stehen.
Ich finde es ebenfalls ärgerlich, wie sehr uns Goethe immer noch im Nacken sitzt. Hier sitzt der Verfasser des Briefes aber selber Goethe auf. (Oder vielleicht seinen Enkeln im Habitus, sagen wir hier mal: Grünbein, Wagner) Nicht alles, was Italien ist, ist Goethe. Und Roths „Klassik“ ist dezidiert vorgoethisch und lässt sich antigoehtisch in Stellung bringen wie der deutsche Barock.
Und ja: Die fingen gerade erst an, sich für Naturwissenschaft zu interessieren. Aber von Dichtung wussten sie mehr, sie haben sich mehr damit beschäftigt, sie hatten da mehr Expertise. Das ist doch sehr anziehend, nicht immer von vorn beim Grundrechnen anfangen zu müssen. Man kann auch einmal sehen, wie voraussetzungsreich die naturwissenschaftliche Denkweise ist. Wir kriegen das fertig aufbereitet routiniert in der Schule eingetrichtert, die brauchten viel viel Hirnschmalz es zu erfinden und gegen den Anschein alter gut ausgebauter Lehren zu verteidigen. Es ist ja wirklich beeindruckend, das zu lesen. (Auch Ogkham oder Kopernikus - das gilt für Gesellschaftliches entsprechend, wenn auch nicht in gleichem Maße.) Indem man den Leistungen Marsilius von Paduas, Picos und Petrus Ramus Hochachtung zollt, gewinnt man eine um so größere Anerkennung für die Erfindungen der modernen Naturwissenschaft, die man aus deren Alltag vielleicht nicht bekommt.
und: Wie Gemeinplätze entstehen
Diagnosen sind das eine, Nachfragen ist das andere: Gemeinplätze entstehen aus Beobachtungen erst dann, wenn alle an derselben Stelle aufhören zu fragen. Da kann man dann schon auch denken: Ich habe nicht Lust, an derselben Stelle wieder mit Erklärungen anzufangen. Etwa, wenn Peter 'Schafri schon wieder die ganze heutige Jugend in Haftung nimmt. Klar ist die immer schlecht ... Aber auch: Schon immer waren 90% des Schreibens öde. Es wird dann bloß immer das Meiste vergessen ...
Man kann in Berlin, hab ich
Man kann in Berlin, hab ich gehört, auch einfach so ein Bier trinken. Die Stadt sei auch groß genug, dass man ungeliebte Ausstellungen weiträumig umgehen und ignorieren kann. schwierig allerdings ist es, oben stehenden Brief bis ans Ende zu lesen, ohne aufgrund der Antiquiertheit seiner Sprache hundemüde zu werden.
Reger
Ist Reger eine Frau? Das fragen sich einige in den Social Medias. Natürlich, kann ja nur eine Frau sein, die so überheblich und antiquiert spricht. Tatsache ist: Reger ist ein philosophischer, lungenkranker, stark negativer Kunstkritiker, er arbeitet für die Times und setzt sich hierzu jeden zweiten Tag ins Kunsthistorische Museum, auf seine Bordone-Saal-Sitzbank im Bordone-Saal vor den Weißbärtigen Mann von Tintoretto, seit über 30 Jahren, außer montags; an diesem Tag hat das Kunsthistorische Museum geschlossen. Hier, an diesem Ort, kann Reger am besten nachdenken, kritisieren und aufdecken, was es in dieser Welt, aber besonders in Österreich, an Scheußlichkeiten gibt. Roman "Alte Meister" (1985) von Thomas Bernhard (Quelle, Wikipedia)
schelmIn
schelmIn
Das Gebot der One-Man-Show ausm Geist der Darmspiegelung
Ich kann gerade keine Poesie von A. Schmidt namhaft machen ... Aus welcher Warte soll AS irgendwas von Belang zur Textsorte gesagt haben? Der Rekurs auf zeitgenössische Lyrik wird -- neben dem Autoritätsargument = Nichtargument -- ja auch mit so hübschen Verdikten wie "debil", "süßlich", "schlampig", "albern" dekoriert. Wer sich hier äußert, der tut das im Zustand fortgeschrittener Bourgeoisierung: Alles hat übersichtlich, nach Rang und Namen aufgereiht (da Relevantes, hie Elefanten, dort Irrealevantes) zu sein; es gibt dann keine Alternative zur eigenen Sichtweise (die man trefflich verkörpert) und Rolle (die doch so hart einstudiert ist). Alternativen zur vergnatzten Tirade Regers, die es zur Epistel nicht geschafft hat, könnten sein: "Lyrische Visite" (http://www.deutschlandfunk.de/lyrische-visite-oder-das-naechste-gedicht-...), Michael Lentz´ "10 Thesen zur Poesie" (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/thesen-zur-poesie-windstil...), die poetologischen Emailkontroversen in der Ausgabe 20 der BELLA triste (http://www.bellatriste.de/?p=142; vor allem zwischen Florian Voss und Ann Cotten, auch mit Bezugnahme auf M. Lentz, aber auch ein auf metrische Fragestellungen konzentrierter Mailwechsel zwischen Bertram Reinecke und Sandra Trojan) oder die Statements und Essais von Lyriker_innen, die Norbert Lange im Band "Metonymie" versammelt hat, ... viele weitere positive Beispiele ließen sich nennen. Mit Schulterklopfen der "happy few" (Tilman Krause nahm 2011 in seinem Kommentar zum Literaturnobelpreis an Tranströmer gar das Wort "Lyrik-Fexe" in den Mund; http://www.welt.de/debatte/kommentare/article13645328/Mutlos-und-kraftlo...) hat das nix zu tun, aber auch nicht (oder zumindest in erträglicherem Maß als bei Reger) mit Ressentiments. Ein Reenactment des Literarischen Quartetts und ähnlicher Darmspiegelungen ist das als One-Man-Show, deren Gebot lautet: "Immer feste druff, wer sich wehrt ist der Schuft!"
tintaretta: merkwürdige Vorurteile
@Tintaretta: Es scheinen ja merkwürdige Vorurteile in den Social Media zu kursieren: "Natürlich, kann ja nur eine Frau sein, die so überheblich und antiquiert spricht." Überall wo ich mitlas, sprach gerade die antiquierte Schreibweise eher gegen Anns Verfasserschaft. Und auch hier wieder: Wollte ich Vorurteile über Frauen schieben (aber warum sollte ich), fiele mir Ann nun gewiss wieder nicht als erste ein. Ein sehr unsachlicher Post. (Und nur darüber äußer ich mich.)
@Konstantin: Es gibt in "Kaff auch Mare Crisium ein nächtliches Gespräch, das quasi nur aus (in ihrer Entlegenheit oft sehr schönen) Mondmetaphern besteht. Neben Proust gehörte solche Sachen zu den Dingen, warum BESTIMMTE Ansetzungen in der Lyrik für mich tatsächlich uninteressant wurden. Du weißt ja, dass ich ein Zitatebastler bin. Naturgedichte aus Arno Schmidts Mittelwerk z.B. war immer eine Aufgabe, die mir zu mühelos war. Wenn mir Schmidts Haltung problematischer wird: Es fehlten ihm etwas die Ideen, was man als Dichter alles tun kann. Er hat immer sozusagen an Deutschbuchdichter gedacht. Für diese Art Dichtung spricht Schmidt heute noch gültig, die sind aber in der jungen Szene wahrscheinlich nicht in der Mehrzahl. (Und andererseits scheint sich Renker, je länger ich drüber nachdenke, ja stattdessen diese ja insgeheim ja doch auch irgendwie zu wünschen, diese Leute, die wichtige Inhalte in schöne Gefäße gießen, da gebe ich Dir Recht.)
Aufreger Reger
komm aus deinem Versteck raus! Oder sag mal was zu all dem! Der Montag ist lange vorbei.
reger lüftet pseudonym
http://www.fixpoetry.com/fix-zone/2016-02-05/wer-ist-thomas-reger
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