Anzeige
Komm! Ins Offene haus für poesie
x
Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Mysterylyrik

Hamburg

"Manche Dinge verlangen danach / unaussprechlich zu bleiben / Aufs Papier gebracht / wirken sie sich aus / als hätte man etwas verschüttet", heißt es in einem der neuen Gedichte von Dominik Dombrowski, die soeben bei AZUR in Dresden erschienen sind. Der Autor, der 1964 in Texas geboren wurde, unter anderem in Südfrankreich aufgewachsen ist und nach zahlreichen Ortswechseln heute im vergleichsweise beschaulichen Bonn am Rhein lebt, schafft es jedoch, gerade diese wie verschüttet wirkenden Dinge meisterlich zu literarischer Wirkung zu bringen.

In seinem vierten Gedichtband mit dem beziehungsreichen Titel "Ich sage mir nichts" greift Dombrowski, der neben Komparatistik, Religions- und Literaturwissenschaften vor allem auch Philosophie studiert hat, die Problematik der Selbstbezüglichkeit auf. Doch er jongliert nicht etwa mit hochtrabenden Begrifflichkeiten, sondern seine Fragen stellen sich implizit durch reine Beschreibung der Tätigkeiten und inneren Regungen des lyrischen Ich, und diese Methode hat es in sich: wenn es einen Gattungsbegriff wie "Mysterylyrik" gäbe, Dominik Dombrowski wäre wohl als sein exemplarischer Vertreter zu bezeichnen.

Mit wenigen surrealen Knüpfungen und einem beiläufig erzählenden Grundton gelingt es ihm, der Fassade einer scheinbaren Ordnung der Dinge kleine, subversive Risse zuzufügen und sein Lesepublikum auf Schritt und Tritt zu verunsichern. Er versteht es, kurze atmosphärisch dichte Filme im Kopf zu evozieren, auf deren oft düsterem Setting sich ungewöhnliche, bisweilen bedrohlich wirkende Ereignisse abspielen. Dies kann mit einem Augenzwinkern erfolgen wie in "Diesland", in welchem die Nachbarin des lyrischen Ichs sagt, "[s]ie komme von einer Betriebsfeier / die sich entpuppt habe / als ein Tor zur Hölle / und dass sie dies hätte wissen können / da ihre Waage seit sechs Tagen / exakt immer 66,6 Kilo anzeigen würde" oder mit der beklemmenden Vision eines feiertäglichen Vorstadtlebens, in welcher das Ich "Angst vor der gehobenen Mittelschicht" haben muss, denn "im Frühstückskörbchen lagern lau warme beige Schädel" und die Ingenieure und Chemiker hecken "abseits in den Heimbürokellern [...] Apparaturen zum Schreddern von Lebewesen" aus.

 Es bleibt in der Regel nicht beim folgenlosen Stolpern über eine ungewöhnliche Metapher wie etwa das "Museum für misslungene Unterlassungen", welche bereits im ersten Gedicht vorkommt und im dortigen Kontext vielleicht als eine Rückschau auf Lebensversäumnisse des lyrischen Ich in Bezug auf ein dort ebenso angesprochenes Du gedeutet werden könnte. Die Wiederaufnahme des Bildes in der Mitte des Buches, in einem längeren Text, in welchem es um eine plastisch beschriebene physische Begegnung mit sich selbst geht (eine Verszeile lautet sehr konkret "Als ich nach Hause kam war ich schon da") eröffnet die Möglichkeit, dass es sich auch schon im ersten Gedicht um einen Selbstbezug gehandelt haben könnte, dass das dortige Du nichts als eine Spiegelung oder eine Facette des Ich gewesen sein könnte. Die untergründige Programmatik, die im Titel des Gedichtbandes "Ich sage mir nichts" mitschwingt, scheint ebenfalls dafür zu sprechen.

Solche motivische Wiederaufnahmen durchziehen den ganzen Band nicht nur in Form von metaphorischen Wendungen, auch Personen wie etwa die bereits erwähnte Nachbarin namens Norma (von der das lyrische Ich unter anderem weiß, "dass / sie der Sohn eines Metzgers ist") oder Tätigkeiten wie Zigaretten rauchen kommen mehrmals vor, scheinen zu verknüpfen, überzuleiten zu etwas anderem und letztlich dann doch nur auf sich selbst zu verweisen.

So semantisch klar wie in erzählender Prosa fügt sich die oft sperrige Bildwelt des Dominik Dombrowski zu abstrusen Sequenzen, die die Grenzen zeitgenössischer Lyrikproduktion formal fast schon durchbrechen. Die meisten Texte, insbesondere die über oft drei oder vier Seiten gehenden Langgedichte, würden bei entsprechender Interpunktion und Blocksatz ohne weiteres auch als Prosaminiaturen funktionieren. Der Umgang mit Textanordnung scheint für Dombrowski ohnehin ein eher spielerischer zu sein, es gibt Blocksatztexte ohne Punkt und Komma, dafür mit sparsam eingesetzten Zäsuren in Form von Schrägstrichen, strophisch geordnete Fließzeilen von unterschiedlichster Länge, sogar ein Sonett ohne Reime - diese Parodie auf den Formgebungswillen erfolgt ausgerechnet auf den Schlussvers des vorhergehenden Gedichtes, in dem es heißt: "denn ich / bin ein wirrer Mann".

Das Ich erscheint oft weniger als ein sich selbst suchendes Subjekt, wie es der Buchtitel vielleicht nahelegen würde, sondern eher als eines, das seine innere Inkongruenz konstatiert und als Normalzustand für seine Existenz akzeptiert hat. Hierbei helfen ihm immer wieder "Substanzen", allen voran Zigaretten und Alkohol: "[...] wo mich der Kräutergeist / heimsucht und mir geduldig den Kopf betäubt nahestehende / Dinge werden hier klar nahestehende Dinge bleiben mir fern".

Dieses Ich, welches da spricht, bleibt aber nicht in Eigenbetrachtung versunken, es nimmt Welt wahr als Projektionsfläche für menschliche Schicksale wie in "Erdball", für Gesellschaftskritisches wie in "Venedig hochpumpen", wird Bestandteil eines absurden Gruselfilms, der zwischen Entsetzen und Heiterkeit changiert, wenn es etwa eine Wanderausstellung der "Körperwelten" besucht, die eine sehr persönliche Beziehung zu ihm haben: "Heute werde ich meinen Vater treffen das erste Mal / seitdem er gestorben ist / tingelt er durch das Land / und heute ist er in unserer Stadt / Das kann ich mir nicht entgehen lassen". Als das Ich den in Scheiben geschnittenen plastifizierten Vaterkörper dann findet (zu identifizieren an einer spezifischen Tätowierung, auch dies ein immer wiederkehrendes Motiv, das den ganzen Gedichtband durchzieht) erschrickt es nicht etwa über das Vater-Präparat, sondern darüber, dass es vergessen hat, draußen sein Fahrrad abzuschließen: das liebevoll auf den Namen Hermann getaufte Artefakt ist ihm näher als sein leiblicher Erzeuger.

Dombrowskis Gedichte erzählen geheimnisvolle, nie ganz zu durchschauende Geschichten, die in ihrer anarchischen Rigorosität manchmal an die vergangene Ära der amerikanischen beat poets erinnert. Vor allem aber erscheinen sie mehrheitlich der amerikanischen short story verpflichtet zu sein, was insofern wenig verwundert, als sich der Autor auch intensiv mit Übersetzungen des Werks von Raymond Carver beschäftigt, jenem Erzähler und Lyriker, dessen lakonische Gedichte auch schon als "auf Innerste komprimierte Prosa"* gedeutet wurden. Die faszinierend dunkle Atmosphäre der Texte von Dominik Dombrowski hinterlässt jedenfalls sein Publikum wie den Protagonisten selbst: "Ich friere und ich / zittere & irgendetwas / saß mir die ganze Nacht im Nacken."

Dominik Dombrowski
Ich sage mir nichts. Gedichte
edition AZUR
2019 · 80 Seiten · 17,00 Euro
ISBN:
978-3-942375-41-2

Fixpoetry 2019
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge