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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

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Hamburg

In einem schmalen Band versucht Donald Richie, „our man in Yokohama“, USA, das, was er unter dem westlichen Begriff Ästhetik versteht der japanischen Phänomenologie derselben, oder das, was er meint dort vorgefunden zu haben, überzustülpen. Richtigerweise ist der Essay hier mit „Versuch“ über die japanische Ästhetik übersetzt und überschrieben. In Matthes und Seitz Berlins Reihe der Literaturen, Philosophien, Klassiker Asiens nimmt dieser Versuch keine wesentliche Position ein. Was Richie auf seltsam verspannte Weise präsentiert, ist persönliche Nostalgie, Halbwissen, Überblicklosigkeit.

Unbedingt bevor man zum Bändchen greift, muss einem klar sein, wer Donald Richie war. Ein in der Nachkriegszeit in Japan gestrandeter G.I., der sich bis zu seinem Tod 2013 dem Leben in Japan verschrieben hat. Als Journalist, als Beobachter, als Interviewer, als Socialite, als irgendwie Partygast, als „Mann im Off“, wie von ihm selbst und mittels des Nachworts von Übersetzer Kevin Vennemann apostrophiert. Tatsächlich hatte Richie live-Zugang zu 50 Jahren japanischer Kulturgeschichte, verkehrte mit Kurosawa, war mit Mishima befreundet. Gerade in letzterer Geisteshaltung steckt auch Richies eigener Zugang zu dieser Welt, die er im Niedergang sieht (nicht als einziger allerdings, aufgeführt sind eine Masse westlicher Architekten und Designer mit ähnlichen Äußerungen).

Richie trauert einem Shogunat o.ä. nach, das eine komplette Systematik ästhetischen Geschmacks (eben von oben diktiert) aufwies und solcherart „schön“ und erstarrt für „immer hätte zu bewahren haben sein sollen“, anders kann man seine Aussagen und das Nachwort nicht verstehen. Das Krude an der Sache ist allerdings, dass Richie dieser sogenannten inhärenten „Ästhetik“ nicht auf die Spur kommt. Es scheitert allein daran, dass es das Wort nicht gibt im Japanischen. Was eine Menge zur Sinnfälligkeit dieses westlichen Unterfangens beiträgt, eine Kultur in westlichen Begriffen zu vermessen, um sodann ihre Handlungssouveränität seufzend in Frage zu stellen, hoffend Mishimas Coup wäre gelungen und ein museales Leben in „Schönheit“ für alle restlich-westlichen „Bewunderer“ für immer gegeben.

Gewiss ist Richies Versuch klug genug, diese Motivationen zu verschweigen und sich an den gegebenen japanischen, allseits bekannten Begrifflichkeiten: shibui, jimi, wabi, sabi usf. entlangzuhangeln, solcherart mitsamt Glossar auch erkennnisreich zu sein, doch schafft es das Nachwort, das hauptsächlich die Person Richie beleuchtet, den „Kenner“, exakt jenes Unbehagen aus Blicken zu erzeugen. Natürlich hat es eine Tragik, dass der „gestrandete“ Westler, mit der Flucht vor „seiner Herkunft“ die Insel seiner Errettung, das Paradies der diametralen Opponenz, zunehmend zersetzt sieht durch die Adaption der vermeintlich westlichen Werte. Wie zum Beispiel Kobe von einer Bucht mit Pfad zu einer rastermodulierten Geldmaschine wird. Ja. Das ist ein Thema. Aber nicht hier im vorliegenden Buch. Hier ist es die vorgeschobene Suche nach einem Meme namens Ästhetik, dieses System Japan für westliche Augen „begreiflich“ zu machen, und zumindest im Buch für immer zu bewahren. Etwas verplattet könnte man sagen: Ein hilflos hungriger Stammgast aus Hybris in seinem Stammlokal, dem der ersehnte Eintritt in die Küche konstant verwehrt wird. Dabei ist das Buch in erster Linie vor allem eines: unsinnlich. Es hat mit Wahrnehmung nichts zu tun. Es sagt nicht, was die Japaner tun (oder taten), es zeigt nicht, was japanische Kulturtechniken können (oder konnten), Richie schreibt in aller „betonten Formlosigkeit des Versuchs“, den er für adäquat, „weil analog japanisch absichtlich traditionell“ hält dieses, schon fast ulkige Spiegeln:

Das Washington Monument ist shin. Es ist symmetrisch, formell, korrekt, offiziell, repräsentativ und zugleich auf beinahe kunstvolle Weise schön. So ist das Gegenteil dessen, und obwohl wir keine so öffentlichen Denkmäler besitzen (per definitionem sind nämlich alle unsere Denkmäler shin, und zwar ganz einfach deshalb, weil sie Denkmäler sind), könnte beispielsweise ein Haus von Frank Lloyd Wright eine Annäherung an so darstellen. Es ist asymmetrisch, informell, zwanglos, und zugleich ist es einfach als auch schön.

Darüber hinaus erklärt dieses dreiteilige Kategorisierungssystem auch die Intensität und Wärme der Stimmung. Dementsprechend sind Katzen shin, Hunde jedoch sind so. Ebenso ist Sean Penn sehr shin, wohingegen Brad Pitt ziemlich so ist. Oder: Mozart ist ein sehr einnehmender Ausdruck von so, dem etwas shin beigemengt ist, während wir bei Beethoven shin vermengt mit so haben, und Brahms ist voll und ganz gyo. Es gibt noch zahlreiche weitere Anwendungsmöglichkeiten.

Recht hat Richie vermutlich, wenn er sagt: „Tatsächlich waren einzelne Elemente von ästhetischer Tragweite sowie bestimmte Fragen des Geschmacks einst so weit verbreitet im traditionellen japanischen Leben, dass eine zentrale Grundannahme zu treffen vollkommen unnötig erscheinen musste.“ Das dürfte allerdings für sämtliche pristinen Gesellschaften, unberührt oder selbstgewählt isoliert, gelten.

Warum also dieses Buch? Die Diskussion der Begriffe, die Lektürelisten, Anhang etc., auch die eingeworfenen Zitate sind durchaus kurzweilig, auch nützlich, doch insgesamt bleibt der Band weit hinter den bisherigen Publikationen der Reihe zurück. Donald Richie hätte mit seiner speziellen Rolle ein anderes Buch schreiben können, dies hier ist eine unnötige Abschlussvorstellung. Das Imitat von Nebel.

Donald Richie
Versuch über die japanische Ästhetik
Übersetzung:
Kevin Vennemann
Matthes und Seitz Berlin
2020 · 147 Seiten · 18,00 Euro
ISBN:
978-3-95757-560-9

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