Wie lange beweist dich das Spieglein an der Wand noch?
Aus einem Theatertext einen Roman oder Prosa allgemein zu machen ist eher ein ungewöhnliches Tun, der umgekehrte Weg ist der gängigere. Jürg Halter, der bekannte Schweizer spoken word performer, Musiker (Rap) und Performancekünstler, hat bei Der gesunde Menschenversand, nach Bänden bei u.a. Wallstein und Secession, das Nämliche getan. Mondkreisläufer ist ein eigenartiger Hybrid geworden, dem man ohne Vorwissen nicht so recht traut, vielleicht sogar frühzeitig abbricht, denn, ohne den Originaltheatertext zu kennen, scheinen hier eventuell lediglich die Regieanweisungen ausradiert worden zu sein. Das Sprechen ist nun ein verselbständigter Akt in Absätzen, mit Vorrede und in vier Abschnitten, die so unterschiedlich sind, teilweise übergriffig belehrend (den Leser), dass sich die Sinnfrage früh und unbeantwortet stellt. Es sei denn, man lässt den Bühnen/ Stimmenakt tatsächlich mitlaufen, blättert geduldig, nimmt es hin und wird am Ende mit einer hinterhältigen Auflösung von Raumzeit und Stimmenverortung entlohnt. Der namenlose Protagonist, der alles sein kann, und von sich behauptet, eine Stimme zu vertreten, tritt in einen immerwährenden Dialog, eigentlich Monolog mit der LeserIn, im Laufe dessen verschiedene Wortfelder und Komplexe aufgemacht werden: Mond, Mutter, Freiheit und Tod, die zwar wie beiläufig daher gesagt erscheinen, jedoch alle später wie aus einer verdrehten Perspektive erneut aufgerufen werden. (In der Vorrede, die wie eine transkribierte Slammerperformance wirkt, inklusive billiger comedy, wird angeregt, das Folgende laut in der U-Bahn zu skandieren, sich nackt auszuziehen usw.)
Insgesamt wirkt der Band vor allem mit seiner durchaus esoterischen Gestaltungshaltung (edel gelb blaues Hardcover mit Glas/ Korallenillumination) auf eine überraschende Weise uneinheitlich, jeder Abschnitt hält eine andere Stimmung parat, es geht um das Entdecken jener Stimme, dann das besagte Belehren/ Anfeuern/ Kritisieren – hier ist es fast eine Predigt zum Tode, dessen Überwindung, das gemeinsame Laufen hin oder auf dem Mond – um dann in konkreter Auflösung des ohnehin Uneinheitlichen in einer offensichtlichen Sanatoriumsszene zu landen, bei der die Stimme mit den Worten schließt "Ist die Erde schon aufgegangen?" Fast ein Strindberg-Sprechen eines Zelleninsassen oder so ähnlich. Es ist unklar, was Jürg Halter vorschwebt, das Entziehen einer Stimmung im nächsten Abschnitt ist prinzipiell kritisch sich selbst gegenüber und somit erhaben, und dennoch sind die Passagen zuvor so pathetisch, kitschig und von banaler Lebensphilosophie durchdrungen (bei sparsamer Verwendung jeglicher Spracherregung oder Poetizität), dass man sich fragt, wieso? Ist dieses Ganze nicht doch der Kern? Eine Fantasie über eine Fantasie, eine bessere Mutterwelt auf dem Mond, wo es uns allen gutgeht usw.? Sicherlich wäre es interessant, dem Theaterstück beizuwohnen, die inszenatorische Freiheit angewendet auf das Stück zu erleben, aber der Text als Prosaerfahrung, plain truth: ist eine bisweilen anstrengende, unbefriedigende Erfahrung, die trotz stetig guter Stellen und der wiederkehrenden Überraschungseffekte und dem nicht uncleveren Schluss an ihrer Uneinheitlichkeit und dem Schluckenmüssen seitenweiser feelgood-Lebenshilfe zu schwer zu schleppen hat.
Aus Mondkreisläufer:
"Toll, diese neue Übersicht, oder? Ist es nicht toll, dass man, bevor man seine neuen Nachbarn kennenlernt, bereits mit ihnen den Raum teilt?
Natürlich, du kannst die Augen schließen und von deiner Freiheit träumen. Dagegen lässt sich nichts sagen. Aber nichts ist mehr so, wie es zuvor war. Du denkst vielleicht: Ist doch klar, Leben heißt Veränderung. Ist das nicht verrückt? Vielleicht siehst du jetzt noch hin und wieder zu den Türen und fragst dich, wann das hier ein Ende nehmen wird – keine Angst ein Ende ist nicht abzusehen.
[...]
Wie gefällt dir die Reise bis jetzt? Ist es nicht toll, dass wir eine Schicksalsgemeinschaft bilden? Wir können uns einander mitteilen, uns austauschen. Du, ich und die anderen. Natürlich kannst du dich dieser Gemeinschaft verweigern; du wirst dennoch unwiderruflich ein Teil von ihr werden. Denkst du noch immer, ich vermag nichts über dich?
[...]
"[Wir] werden bald nicht mehr wissen, dass wir gehen. Weil nichts mehr sein wird als unser Gehen, über einen grünen Teppich, im Schein des Mondes – werden das Zeitgefühl verlieren. Ein gebrochener, ein befreiter Wille sein! Endlich frei sein, endlich nicht mehr existieren. Uns endlich überlebt haben. Werden nichts als eine Vorwärtsbewegung sein: Die Verlorengehenden! Müssen hinter die Welt kommen! Mutter empfängt uns! Wir kommen unendlich an.
[...]
Setze dich in Yverdon vor ein Café und trinke und spreche mit den Leuten, genieße den Sonnenuntergang mit ihnen. Wenn es mal nicht nach deinem Kopf geht, verzage nicht, bald wirst du wieder ein Erfolgserlebnis haben und zurückschauen und über dich lachen.
[...]
Oh, da bist du ja wieder, hast du mich erwartet? Ich war mir nicht sicher, ob ich dich wiedersehen würde. Wir haben einen langen Trip hinter uns. Nun sind wir angekommen im Bauch unserer Mutter, in dieser Wiese! Du hast mir so wenig von ihr erzählt. Wer bist du eigentlich? Was machst du hier auf dem Mond? Weshalb sehen wir uns so ähnlich? Sind wir Geschwister? Wo sind die anderen? Auf der Erde zurückgeblieben? Wie heißt du? Ich kann nichts mehr sehen?"
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