grunzende Eichhörnchen
kill-your-darlinge, lautet der Titel des Debütbandes von Julia Grinberg. kill-your-darlinge, diese Formulierung hörte ich erstmals als Handlungsanweisung im Zusammenhang mit dem Schreiben von Theaterstücken. Damals war damit gemeint, gerade die persönlichen Lieblingsstellen hinaus zu streichen, weil Stücke dadurch besser würden (oder auch nicht, das ist Ansichtssache). Legt man das auf Gedichte um, wird es schaurig – was bliebe übrig, würde man seine Lieblingsworte oder Lieblingsverszeilen aus einem Gedicht, oder gar seine Lieblingsgedichte aus einem Gedichtband streichen? Man müsste Julia Grinberg selbst fragen, ob sie so vorgegangen ist, bzw. wie sie den Titel verstanden wissen will. Aber als Leserin kann ich sagen, dass die Gedichte in kill-your-darlinge für mich noch viele „Darlinge“, also Lieblingsstellen und Lieblingsworte enthalten. Denn die Gedichte von Julia Grinberg haben etwas, das sie absolut umwerfend macht: Humor. Auf eine sehr dezente, hintergründige Art und Weise können ihre Gedichte mitunter sehr humorvoll sein, was ungemein erfrischend ist.
Alle guten Dinge sind drei, heißt eine Redewendung und das dachte sich wohl auch Julia Grinberg bei der Zusammenstellung ihres Debütbandes kill-your-darlinge. Schon der Titel verweist mit den drei Worten auf die Zahl drei. Dann ist der Gedichtband als Ganzes in drei Kapitel unterteilt. Und drittens enthält das erste Kapitel ausschließlich Gedichte „in drei absätzen“, wie uns schon die Kapitelüberschrift verrät. Das ist eine sehr freie und dankbare Form. Julia Grinberg spielt mit dieser Form und so enthalten die drei Absätze von Gedicht zu Gedicht jeweils unterschiedlich viele Verszeilen, von einer Zeile bis zu zehn Zeilen.
Alle Gedichte im Band verwenden durchgehende Kleinschreibung, auch am Gedichtanfang und nach Punkten. Interpunktionen werden gesetzt, es gibt nicht nur Punkte, auch Beistriche, Doppelpunkte, Bindestriche, Frage- und Rufzeichen. In den ersten beiden Kapiteln endet jedes Gedicht und selbst jeder Absatz mit einem abschließenden Punkt, oder in seltenen Fällen auch mit einem Fragezeichen. Im dritten und letzten Kapitel findet man dann jedoch ein paar wenige Gedichte, die ohne Satzzeichen enden. Es öffnet sich da also unmerklich etwas mit der Zeit:
kurz rastende pseudopodien
grasen im aufgerissenen nichts
Ein schönes Detail ist, dass bei manchen Gedichten der Titel zugleich der Anfang des Gedichts ist, beispielsweise bei: „mein ginkgo // verlor seine blätter von heute auf morgen, aus heiterem himmel.“, oder bei:
chemie muss stimmen
außerdem sachkunde, mathematik, philosophie, in groben zügen
die geschichte.
Natur und Tiere tauchen häufig in den Gedichten auf, Eichhörnchen „wälzen sich im laub und grunzen“ oder ein Falke „kuschelt sich / in seine flügel“. Bäume spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Ein Gedicht widmet sich den drei Lieblingsbäumen (wieder sind es drei), und zwar: Platane, Magnolie und Linde. Während die überschäumende Magnolie den Frühling versinnbildlicht, steht der Ginkgo mit seinen großen, fächerartigen und im Herbst leuchtend gelben Blättern für den Herbst. Womit wir bei den Jahreszeiten angelangt wären, welche ein wichtiger Katalysator für das Schreiben von Gedichten für Julia Grinberg zu sein scheinen. Besonders interessieren sie dabei Frühling und Herbst, also die Übergangszeiten, wenn sich Wetter und Temperatur umstellen und die Pflanzenwelt darauf reagiert. Sommer taucht nicht auf in den Gedichten und dem Winter werden nur zwei Zeilen gewidmet, dann ist auch schon wieder Frühling:
am morgen war alles weiß. ich schaute aus einem kokon – die
blicktiefe zur straße minus n armlängen. so liebe ich winter.heraus kam frühling. angeschwollene knospen, körniges licht,
glimmerig schimmernde straßen. ich erinnerte mich, dass ich den
frühling liebe. ich sagte laut - ich liebe dich, frühling! […]
Es gibt ein Ich in den Gedichten, das sich uns als dezidiert weiblich zu erkennen gibt und uns als klar umrissene Figur entgegen tritt. Wir haben es hier mit einer sehr selbstbewussten Frau zu tun, die ihre ganz eigenen Stärken, Schwächen, Unsicherheiten und Träume hat.
ich verstehe, warum ich religionen nicht leiden kann. mono-
religionen, pantheismus, heidentum, allerlei sekten, homöopathie,
feng shui, die EINZIG richtige ernährung, nationales bewusstsein,
ideal durchtrainierte gesäße. ich bin mein eigenes idol. jeder ist
sein eigener gott.
Überholte Rollenbilder und Vorurteile werden in den Gedichten nochmals aus der Perspektive einer Frau laut ausgesprochen, was sie bis zu einem gewissen Grad ad absurdum führt, etwa, dass Frauen entweder gerissen oder schön zu sein hätten, oder dass Frauen schlecht autofahren würden:
[…] tauche ab, perplex. den gan-
zen weg zur arbeit denke ich intensiv darüber nach, sodass ich
fast einen radfahrer umfahre. aber er ist klasse: flink und laut.
Das zweite Kapitel „mond in wein tunken“ enthält sieben durchnummerierte Gedichte, die wesentlich kürzer als die vorhergehenden sind und jeweils immer nur aus einem Absatz, bzw. einer Versstrophe bestehen. Inhaltlich geht es darin um eine Nacht, die sich das einsame Ich in einer Bar um die Ohren schlägt, bis es sich auf den Heimweg macht und wir nach grellen U-Bahn-Schächten das Morgengrauen vor uns sehen.
1
so lange mond in wein tunken, bis
eine lieblose welt sich galvanisiert.
Das letzte Kapitel „kill-your-darlinge“ ist eine Ansammlung formal sehr unterschiedlicher Gedichte. Das finde ich immer ein bisschen schade, wenn ein an sich formal und inhaltlich durchdachter Gedichtband dann noch als Draufgabe und Zugabe ein Kapitel mit Verstreutem, mehr oder weniger zufällig Angesammeltem dranhängt. Andererseits ist vielleicht gerade das das Spannende: Ein Auffächern der Möglichkeiten. Denn wer weiß, vielleicht enthält ja das eine oder andere Gedicht daraus bereits etwas in sich verborgen, das bald sprießen und keimen wird, und unter Umständen ist eine Form darunter, die sich als tragfähig für weitere, folgende Gedichte erweisen wird. Gedichte, auf die wir uns jetzt schon freuen können, nach diesem Debüt, das ein Versprechen auf mehr ist.
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