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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Ich voller Löcher, und Yvonne ruft nicht an

Hamburg

LONGLIST DEUTSCHER BUCHPREIS 2017

Mit einem erfolgreichen Lesen beim Bachmannpreis 2016 (3sat-Preis), jetzt der Longlist-Nominierung zum Deutschen Buchpreis, geht Julia Wolfs zweiter Roman Walter Nowak bleibt liegen, erschienen im Frühjahr diesen Jahres bei der Frankfurter Verlagsanstalt, seinen Weg durch die Jurys. Er wird im Allgemeinen gut aufgenommen, ist er doch vor allem sprachlich eine lohnende Lektüre. In der Tat, das große Plus an jener Deconstructing Walter Erzählung ist seine Geschwindigkeit und die Finesse der Sprache. Wolf lässt Walter Nowak, nach einem Schwimmbadunfall, der slapstickhafter kaum sein könnte (Nowak, 68 Jahre, verpasst beim Bahnenziehen mit Blick auf eine attraktive Schwimmerin, bei aller zur Schau gestellten Athletik, die Wende und knallt gegen den Beckenrand), frei delirierend Bilanz ziehen. Das Leben des Walter Nowak, eines Unsympathen sondergleichen, mit allen hätte-könnte-jawolls-und-geils treibt unkontrolliert und assoziativ vorbei. Reste einer Narration schildern Nowaks Erlebnisse und Begegnungen mit (Ex-) Frauen, Sekretärinnen, seinem Sohn, behandelnden Ärztinnen – die meisten davon latent oder offen schwanzgesteuert. Walter Nowak, Hebebühnenverleiher in Rente ist ein solches Panoptikum chauvinistischer Klischees und seine "Ansichten" ein solcher Haufen schwer erträglicher "sexistischer Kackscheiße", dass man nicht eine Sekunde lang für ihn empfinden will. Julia Wolf legt ihm aber zugleich sehr komische und verblüffende Sprach-/ Assoziationsspiele in den Mund (inklusive der Wahrheit über Alles-von-Walter-Nowak), dass man als LeserIn ständig schwankt zwischen Ungerührtheit und Abgestoßensein, aber man zugleich Lesespaßbejahung und Staunen über Nowaks Personenkonflikt reiches Leben haben kann. Man will weiter lesen. Die Länge/ Kürze des in düsterpoppigen Violett-Seegrün gehaltenen Bandes kommt genau gelegen. Man kann Nowaks Assoziationsstrom am Besten in einem Rutsch durchlesen, verstehen, was ihn bewegt (bewegen soll), den Sohn aus erster Ehe, Felix, dessen Mutter, Gisela, Nowaks erste Frau ("prima Kumpel, die ersten Jahre zumindest"), Yvonne, seine aktuelle Partnerin ("Yvonnenschein"), dazu die Kumpeltypen Bodo, Schorsch, die Sekretärin, die Fritsche, der Bayer und die Leute aus dem Schwimmbad, der Bademeister, der "Hermann und seine Frau, die Einbusige".

Julia Wolf stellt ihren Protagonisten aus. Eine klassische psychologisierende Zurschaustellung eines wegen seiner Klischees jedoch letztlich Durchschnittsmenschentypus, von dem es leider viele, wohl zu viele gibt, der aber als identifikatorisches Fabel-Rollenmodell nicht Hundertprozent tragen will in einem Roman, denn er weckt keine Gefühle um ihn, noch weckt er in den Nebenfiguren solche, denn er lamentiert, kommentiert, demontiert sie alle permanent selbst, aus zweiter Hand sozusagen. Sie haben keine Chance. Als LeserIn gibt es nur eine Sache, an der man sich festhalten kann: Die Sprache. Ähnlich wie bei Theresa Präauers Roman Oh Schimmi aus dem letzten Jahr und dessen Affenmenschentum, ist man gefangen in Walter Nowaks Welt, einem Antikosmos inkl. Fachsprache, und der ist als solcher durchaus anstrengend. Nowak sagt Sachen wie: "Urlaub, Domrep!", "Fräuleinchen", "Menschenrechtskrams", "Sie schien wie eigens für mich geschnitzt", "Ich will ihm auf die Schulter, so wie Männer" oder "Nix Rakete, das ist Zement". Sich selbst redet er des Öfteren an mit "Mann, Walter". In seine Assoziationen mischen sich geballt viel Anakoluthe und manchmal schwer zu vervollständigende Halbsätze, Ausrufe. Zudem ist er, von dem wir später erfahren, dass er ein uneheliches Kind eines GIs der Nachkriegszeit ist, großer, um nicht zu sagen größer Elvis Fan, sodass sich permanent lyrics von Elvis in seinen Wortstrom schieben (You ain't nothin' but a hound dog" etc.).

Inmitten des Mitansehens und Spürens seines eigenen körperlichen Zerfalls wird Nowak, mit dem es im Prinzip immer weiter bergab geht, ja dessen sämtliche lebensenergetische Stränge in Aporien enden wollen, mit zentralen Diagnosen konfrontiert: "Natürlich, Herr Nowak, werden wir versuchen, potenzerhaltend, Herr Nowak, zu operieren." Die behandelnde Ärztin ist, wie Frauen mit Pferdeschwänzen, ein Reizthema für ihn. Er kann sich über all den Text ihren Namen nicht merken und erfindet stattdessen Dutzende Anagramme und immer neue Peinlichkeiten, um sich seiner selbst zu vergewissern. Wir erfahren von einer USA-Tour, unternommen mit Yvonne seiner zweiten Frau und dem Sohn Felix, auf dessen Wunsch, das Grab seines Großvaters, des GIs, in Nebraska aufzusuchen. Für Nowak eine quälende Aneinanderreihung von Einschätzungen und Erwartungen, das Highlight, der Besuch von Graceland. All jene Episoden im Strom lesen sich, wie angedeutet, schnell und sogartig, die späte Konfrontation des erwachsenen Schulverwiesenen Felix mit dem völlig derangierten Nowak ist ein letztes Ballonplatzen eines Unverbesserlichen, der vielleicht zu recht "liegenbleibt".

Beispiele für den Nowaksprech:

"Ich liege auf einer Brücke über dem Bach, bäuchlings, ich starre hinab in den Fluss. Die Algen leuchten grün in der Strömung. VaterVaterVaterVaterVaterVater, dicker als Wasser, irgendwann verliert jedes Wort seinen Sinn. Wenn man nur lang genug. Ein Tropfen Spucke seilt sich von meinen Lippen ab. Großvater auch so ein dünnes Gefühl, oder Heimkehr.  Ich stehe auf dem Bahnsteig zwischen Mänteln."

"Aber Yvonne, sage ich, werde ich sagen. Jetzt vergiss mal die Badehose. Vergiss mal das Chlor. Weißt du nicht mehr? It's impossible. Wenn sie in der Tür steht. Ich werde singen für sie. Just impossible. Sie steht in meinem Büro, aus dem Nichts vor meinem Schreibtisch. Blonde Person. Im Petticoat, die Haare zum Pferdeschwanz, wie aus einer anderen Zeit vor mich getreten. Der wogende Rock, eine Schwäche von mir. Sind Sie Herr Nowak? Trommelwirbel, impossible, das ist schon ein Auftakt, Streicher, goldene Schwingungen, da weiß man, es wird alles gut. Tell the sun to leave the sky. Ich lasse mir nichts anmerken, räuspere mich."

Julia Wolf gelingt mit Walter Nowak bleibt liegen ein gut konstruiertes, prima ausformuliertes und leicht zu lesendes Buch. Die Frage ist, ob es nicht etwas zu konstruiert ist. Ob eben ein Typ wie Walter Nowak tragbar ist. Ob es ein bekömmliches Leseerlebnis ist, einen "unangenehmen Typen" unangenehm reden zu lassen, 150 Seiten lang, um letztlich zu konstatieren, "unangenehme Typen gibt es". Das sei aber ausdrücklich kein einschränkendes Urteil, sondern ist vielleicht längst einer Sphäre verortet, die eine eigene Leserschaft hat, die genau das schätzt. Für sie und vor allem wegen der treffsicheren, Satz für Satz clever auskomponierten, Sprache, die keine Schwächen kennt, ist das Buch empfohlen.

Julia Wolf
Walter Nowak bleibt liegen
Frankfurter Verlagsanstalt
2017 · 200 Seiten · 21,00 Euro
ISBN:
978-3-627-00233-6

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