Zeugnisse einer Avantgarde-Drummerin
Käthe Kruse spricht dem Imperfekt ihr Lob aus. Das Imperfekte, das ist für Kruse das Leben als Hausbesetzerin, die Avantgarde-Musik der 80er Jahre – mehr noch, das Impeferkte ist ihre ästhetische Mission. Und das klingt in einer Zeit, in der Selbstoptimierung zur Alltagsdiskussion gehört, erfrischend.
Der Band “Lob des Imperfekts”, erschienen im Verlag für digitale Kleinstliteratur mikrotext, versammelt eine eklektische Reihe von Perspektiven auf die Berliner Musikszene der 80er Jahre, die Band “Die Tödliche Doris”, deren Drummerin sie war und das Leben als Hausbesetzerin. Zusammengehalten von ihrer Biographie und der Bestimmtheit ihres Erzähltons, tauchen wir mit Kruse in eine Welt ein, die so bereits Geschichte ist. Dennoch ist es der Widerhall dieser Welt, der Berlin bis heute so interessant macht. Wer das heutige Berlin verstehen will, sollte sich also Kruses Perspektive annehmen. Doch nicht nur die Fans der heutigen Hauptstadt, damals noch geteilte, finden Wissen und Weises in Kruses Rundumschlag. Kruses gibt uns einen ungeschönten Einblick in die Produktionsverhätlnisse von neuer Musik in den 80er Jahren. Dass das mal Avantgarde werden würde, wusste damals noch keiner und wäre den Akteuren wahrscheinlich in ihrer 80er-Jahre-Coolness einfach egal gewesen.
Der Titel des Texts zielt auf eine ganz bestimmte Assoziation ab: das Lob des Imperfekts ist verwand mit dem bekannten “Lob des Schattens”, einem der wichtigsten Essays der japanischen Literaturgeschichte aus dem 20. Jahrhundert. Dieser Langessay versucht im Jahr 1933 aus der persönlichen Perspektive von Schriftsteller Tanizaki Junichiro die japanische Ästhetik einzufangen. Die Beschäftigung mit dem Partikularen, wie Tempelarchitektur, Restaurants oder Papierlaternen, ergibt dort eine Perspektive auf das gesamte Geflecht Kultur.
Kruses Essay teilt sich in drei Teile, die den Themenkomplexen Musik, Kunst und Wohnen gewidmet sind. Diese zentralen Themen sind, wie wir erfahren, prägent für Käthe Kruse. Dabei versucht sie aus ihren Erfahrung keine bundesdeutsche Ästhetik abzuleiten – dennoch nimmt sie das Partikulare und ordnet es ein. Kruse erweist sich als durchgehend nüchtern, unsentimentale Erzählerin. Nie verfällt sie in ein Lamentieren über eine vergangene, bessere Zeit: vielmehr macht sie es sich zur Aufgabe, darzustellen, wie die Verhältnisse der Tödlichen Doris waren, wie produziert wurde und welche Einstellungen die Avantgarde prägten. So erzählt sie beispielsweise von der Dokumentation des Festivals der Genialen Dilletanten, die bis heute noch erhalten ist:
“Trotz der für heutige Verhältnisse äußerst miesen Qualität, sind diese Zeitdokumente äußerst sehenswert. Für die Genialen Dilletanten war technische Qualität sowieso nicht wichtig sondern geradezu überbewertet.”
Dieser trockene Pragmatismus prägte auch die Auswahl der Instrumente:
“Die Einstürzenden Neubauten zum Beispiel spielten auf allen möglichen selbstgebauten Schlagwerken meistens Stahlblechen und Stahlrohren, welche ihrer Musik einen harten und blechernen Klang haben.”
In dieser produktiven Atmosphäre, in der das Publikum hungrig auf neue Klänge und zugleich auf der Suche nach Inspiration für die eigene dilettantische Arbeit war, entstanden bis heute wegweisende Ideen der Avantgarde-Musik.
Beeindruckend sind auch die Erfahrung aus dem Leben der Hausbesetzerin Kruse. Als solche war sie Teil einer Bewegung, der wir bis heute zu verdanken haben, das aus dem Berliner Stadtteil Kreuzberg kein Wald aus Neubauten geworden ist. Kruse erzählt, wie die Besetzer durch ihre Präsenz die alte Substanz erhalten konnten. Wäre es nach dem damals von der CDU regierten Senat gegangen, wäre ganz Kreuzberg neugebaut worden. Die selbstorganisierte Hausbesetzerbewegung dagegen war solidarisch und bediente sich an dem, was die leeren Häuser zu bieten hatten:
“Am Freitag war der Bauhof geöffnet. Andere Besetzer holten sich, was sie für ihre Häuser brauchten.”
Die neuen Lebensformen brauchten auch eine neue Art der Organisation, die wie jedes Experiment, einen ungewissen Ausgang hat. Was beeindruckt, ist wie resistent die damals Agierenden mit dem Polizeistaat umgingen. Wenn Kruse beschreibt, dass Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, erkennungsdienstliche Erfassungen, Tränengas und Pflastersteine beinahe zum Alltag gehörten, dann klingt das zwar zum einen nach Veteranengeschichte, aber zeugt zugleich auch vom Schneid der damaligen Aktivisten. Dieses Berlin der 80er wirkt dann nicht nur wild, es macht uns klar, wie zahm die Gegenwart daher kommt.
Seinen Abschluss findet der Band mit einem Interview, das uns aus Kruses Perspektive herausholt und noch einmal von außen auf diese spannende Person der deutschen Zeitgeschichte blicken lässt. Dort erzählt sie, wie sie auf Umwegen in die West-Berliner Hausbesetzer-Szene gelandet ist. Denn der Kurs der 1958 geborenen Künstlerin war eigentlich gar nicht auf Berlin ausgerichtet. In den 70ern tourte sie mit Freunden über Land nach Indien. Afghanistan blieb ihr durch den Einmarsch der Russen leider verwehrt. Dann ging es über Westfalen zurück nach Deutschland, aber schon bald zog es sie nach London. Dort war für die 22jährige Abenteurerin nichts zu holen und so zog es sie nach Berlin. “Ich wusste genau, was ich nicht wollte” – unter diesem Motto gab sich Kruse in den kommenden 33 Jahren einem Leben in der Manteuffelstraße 40/41 hin. Vieles aus dem Leben der Käthe Kruse ist in diesen Tagen zur Legende verkommen. Eine Legende von einem radikaleren, wilderen Berlin, in dem noch ganz anderes möglich war. Kruse erzählt uns in ihrem Band nicht von Legenden, sondern von Erlebtem. In westfälischer Direktheit, nimmt sie kein Blatt vor den Mund, muss aber auch nicht beschönigen. Sie zeigt damit den Mut ihrer Generation, neue Wege zu gehen und macht heutigen Lesern Mut, vielleicht selbst einmal wieder mehr Fragen zu stellen. Wie Kruse vormacht, muss es ja nicht immer Perfekt sein. Ein wunderschönes Lob auf eine Zeit, die zwar vergangen ist, aber noch immer auf den Berliner Straßen und Nächten nachhallt.
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