Anzeige
Komm! Ins Offene haus für poesie
x
Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Eine Patience in Briefen

Hamburg

Der Titel verspricht, was der Roman bietet: „Kafka und Felice“, die Nennung der bekannten Namen, die einen gewissen Marktwert bieten. Auch illustriert er die Distanz zwischen ihnen beiden: Franz Kafka, der Dichter und Felice Bauer, das Mädchen aus Berlin, das nur als unerreichbare Adressatin quälender Liebespost bekannt ist, (warum eigentlich nicht einmal „Franz und Bauer“?) Wie der Titel, so verfehlt auch der Roman eine Intimität, die in der Wieder-, Neu- und Überschreibung dieser Geschichte aus den 1910er Jahren gerade in Romanform möglich wäre. „Franz und Felice, zwei Namen wie erfunden füreinander.“, lautet der erste Satz. Aber nur selten löst der Roman im Weiteren dieses Versprechen ein. Dass der Titel diesem Anfang auf Augenhöhe nicht nachgibt, ist schade.

Unda Hörner dokumentiert in Kleinstarbeit die Lebenssituation der Felice Bauer, vor allem anhand der Briefe. Man könnte sie parallel lesen, aber mehr erfahren würde man dabei vermutlich nicht. Die zahlreichen zitierten Abschnitte sind ohne Datum („aus Gründen der besseren Lesbarkeit“), aber mit eckigen Klammern für die ausgelassenen Passagen versehen. Die Rekonstruktion füllt anhand des historischen Materials die Leerstellen um die junge Felice Bauer, die in Kafkas Briefen nur als Adressatin, niemals aber als Sprechende auftritt; und sie malt jene Szenen der Begegnungen aus, welche ja in Briefwechseln immer eine Lücke bilden.

Kafkas Briefe an Felice Bauer zeichnen ein elendiges Geduldsspiel, das sich in zwei Verlobungen verdichtet und dann immer wieder auseinander geht und an dessen Ende keine Hochzeit steht, sondern Kafkas Blutsturz. Die Geschichte von Kafka und Felice ist die Geschichte einer Beziehung in Briefen, denn persönlich haben sie sich nur einige Male getroffen. Felices Briefe sind nicht erhalten, Kafka hat sie vermutlich vernichtet. Unda Hörner hat jetzt in einem sehr genau recherchierten Roman geschrieben und darin Felices Perspektive auf die Jahre 1912 bis 1917 rekonstruiert.

Felice ist eine junge zähe Frau mit schlechten Zähnen. Sie arbeitet bei der Firma Lindström als Prokuristin und ist das Aushängeschild für den grade erfundenen Parlografen, ein Diktiergerät, das eine enorme Zeitersparnis verspricht. Sie ist lebensfroh, erfrischend und verantwortungsbewusst. Als sie Franz im August 1912 kennenlernt, ist sie 24 Jahre alt.

Die Absurdität in der diese Beziehung funktioniert (oder eben eigentlich nicht), ist die Absurdität der Distanz: Das Schreiben der Briefe schafft eine Nähe, die doch gar keine ist. Und das ist ein Problem, für welches Franz und Felice Musterbeispiele darstellen. Ein erstes Wiedersehen nach einem Dreivierteljahr an Ostern 1913 in Berlin scheitert kläglich (zumindest ist das Felices Interpretation). Die weiteren Begegnungen sind nicht zahlreich und auch nicht glücklicher, und trotzdem gibt es bald diesen ersten Antrag, diese erste Verlobung, Kafkas ständiges Unwohlsein, eigentlich auch Felices, nur dass sie mit all dem entschiedener umzugehen vermag.

Es folgen Wohnungsbesichtigungen, der Besuch einer Möbelausstellung, Felice fantasiert darüber, wie sie mit Franz ein glückliches Eheleben führen könnte, wie er sein Schreiben beschränkt, wieder Fleisch isst, mit ihr wie die anderen Paare im Park Arm in Arm spazieren geht und abends im Lehnstuhl genüsslich seine Pfeife raucht. Felices Wunsch nach Bürgerlichkeit, nach einem geordneten Leben, auch nach körperlicher Nähe zu ihrem Verlobten, all das erhofft sie sich und weiß gleichzeitig, dass Franz ihr dies nie wird geben können.

Ich muss an dieser Stelle nicht die ganze Geschichte noch einmal neu erzählen, sie ist hinlänglich bekannt und in Unda Hörners Buch en détail und chronologisch nachzulesen. Nichts ist ausgelassen, nicht Kafkas Schreibrausch, in dem er „Das Urteil“ hinwirft, das Felice gewidmet ist, nicht die Auflösung der ersten Verlobung im Askanischen Hof in Berlin, all diese Passagen haben für Kafka-Kundige Wiedererkennungswert. Auch über die Hintergründe der Familie Bauer wird natürlich nichts ausgespart, die unglücklichen Verbindungen der Geschwister, eine ungewollte Schwangerschaft der Schwester Erna, und die unglückliche Auflösung der Verlobung des Bruders Ferdi und seine Auswanderung in die USA, der frühe Tod des Vaters, der Einbruch des ersten Weltkrieges. Alles was man schon wissen kann und alles, was man vielleicht wissen möchte steht in diesem Buch – und das ist auch sein Problem. Denn natürlich kann man so eine Geschichte erzählen, es bleibt nur die Frage, welche Notwendigkeit sie besitzt, warum ich sie lesen muss. Denn genau so gut kann ich auch zu den Briefen Kafkas greifen, die schon geschrieben sind, (deren Lektüre jedoch um einiges beschwerlicher ist als dieser Roman um die jugendlich-charmante Felice Bauer).

Vielleicht ist es auch ein Problem, dass ich Michael Kumpfmüllers „Die Herrlichkeit des Lebens“ stetig vergleichend im Kopf habe, diesen Roman, der sich der letzten Beziehung Kafkas zu Dora Diamant widmet und dabei in sehr leisen Tönen eben dieses an Intimität und Nähe schafft, das nur schwerlich in den historischen Dokumenten nachzuempfinden sind. Unda Hörners Romanbiografie ist ohne Zweifel ein anderes Projekt. Ihr dokumentarischer Perspektivwechsel erlaubt eine Neulektüre der bekannten Briefe und erfrischt diesen ewig jammernden Dichter mit einer dynamischen weiblichen Stimme. Hier ist Felice angesichts Kafkas schriftstellerischer Tätigkeit viel eher genervt und verstört, brüstet sich jedoch trotzdem gerne mit ihrem Dichter-Verlobten. Hier erscheint Franz Kafka (trotz der Herrschaftsstellung im Titel) einmal nicht als aktiv Leidender, sondern als derjenige, der erleidet werden muss. „Die Briefe aus Prag lagen vor ihr wie eine Patience.“, heißt es im Roman. Die Nachzeichnung dieser Patience aus weiblicher Sicht gelingt Unda Hörner. Die Stagnation, welche sich beim Lesen trotz allem einstellt, liegt an der braven Art, die sich an alle Regeln der Rekonstruktion hält und diese ohne Zweifel beherrscht.

Wenn die Erzählung dann aber manchmal doch abrutscht in eine Möglichkeitsform, in Szenen, in einen Gedankengang, der mehr wagt als ein Zusammentragen historischer Quellen, erreicht er Höhepunkte, von denen ich mir noch mehr gewünscht hätte:

„Franz raschelte mit dem Manuskript. Der kurze Text endete wie eine Denksportaufgabe, für die Felice eine Lösung parat haben musste. In die Stille hinein sagte sie, weil es ja irgendwie um ein Tor ging, durch das man hindurch gehen sollte: Wie brav wir hier beisammen sind. Direkter konnte sie nicht werden. Weiter durfte sie nicht gehen, das wäre unschicklich gewesen. Sie hätte lieber wie Goyas nackte Maja in diesem schlichten Hotelzimmer gelegen, statt eingesponnen in einen Text, der mit alttestamentarischer Strenge an eine komplizierte Mathematikaufgabe erinnerte.“

 

 

Unda Hörner
Kafka und Felice
ebersbach & simon
2017 · 336 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
978-3-86915-152-6

Fixpoetry 2017
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge