Skeptische Tropen
Aaron Kunin war 2013/2014 Stipendiat der Akademie Schloss Solitude und aus diesem Anlass legt der Verlag Solitude nun einen zweisprachigen Band mit Gedichten vor, die zwischen 2005 und 2014 bei Fence Books erschienen sind.
Ich wünschte, ich hätte keinen Körper, schreibt Aaron Kunin. Im ersten Teil des Bandes und speziell in diesem Gedicht kommt allerdings ziemlich viel Körperlichkeit vor und allein vier Gedichte tragen den Titel Die wunde Kehle.
Die Kehle ist von einem Wort ganz wund. Sie ist wund
von Wort- Sehnsucht, Sehnsucht nach dem Wort ‚du‘.
Es folgt die Aufzählung der Körperteile, die alle wund sind und die das Lyrische Ich lieber nicht hätte: Keine Augen, denn ohne Augen würde ich dich nicht sehen; und so geht es weiter, ohne Stimme kein Reden, ohne Kehle keine Stimme, ohne Körper kein Verlangen, kein Hirn, keine Seele und abschließend der Wunsch, Gott würde nichts in mir besitzen. Am Ende des Gedichtes folgt dann die Schlussfolgerung:
Kein Körper, kein Geist
keine Seele keine Kehle, keine Stimme, keine Augen:
Was bleibt?
Was kann ich noch verleugnen? Kein ‚Ich‘. Kein ‚Selbst‘.
Was sich hier auf den ersten Blick recht nihilistisch ausnimmt, hat allerdings eine sehr menschliche Antriebskraft: die Sehnsucht, die nicht nur in dem zitierten Gedicht auftaucht. Es gibt eine Sehnsucht nach dem Wort „sie“ sowie die Sehnsucht nach jemandem, der / meine Stimme hören könnte. Das wichtigste Gedicht in diesem Zusammenhang haben die Herausgeber auf der Vorderseite des Umschlages abgedruckt:
Ich erfinde eine Maschine,
die meine Sehnsucht verbirgt.
Und ich erfinde eine weitere
Maschine, damit sie die Maschine
verbirgt. Es ist ein Zwei-
Maschinen-System, und es klang
wie Gelächter.
Kunin liebt Wiederholungen, stellt Wörter (Maschine, Sehnsucht, Kehle, Klang, Stimme) in immer neue Zusammenhänge. Du bist wie eine Maschine ohne Zweck, heißt es in Kein Wort, kein Zeichen, ein Gedicht, in dem ein Ich und ein Du über Kants „Ding an sich“ kommunizieren und das man wie ein Selbstgespräch lesen kann.
Auch im zweiten Teil des Lyrikbandes, gibt es Gedichte mit dem jeweils demselben Titel. In diesen Gedichten wird, ein wirrer Weg um / die Küche herum beschrieben, es geht (recht abstrakt) um Bestrafen oder um Sicherheitszonen. Einzelne Bilder (eine Maske aus Telefon und / Kaffee) werden in mehrmals angeführt.
Manche der streng gebauten Gedichte setzen sich aus zwei Teilen (mit und ohne Klammer) zusammen. Kunin belässt es nicht bei einer Ebene und kaum hat sich der Leser auf eine eingelassen, wird sein Eindruck durch die zweite unterlaufen. So könnten beispielsweise die Zeilen aus Verborgener Schuleingang auch ohne die in Klammern gesetzten Ergänzungen bestehen: fehlgeleitete moralische / und ästhetische Prinzipien ersetzt / durch fehlgeleitete / ökonomische Prinzipien. Diese Feststellung wird nun im gesamten Gedicht durch Klammerteile ergänzt, die wiederum auch ein eigenständiger Teil sein könnten: Glück ohne Arbeit / Löhne ohne Abzüge / Kauen ohne Schlucken / für / die Lügen in den Büchern / unserer Sammlung / entschuldigen wir uns. Zusammengesetzt lautet das Gedicht dann folgendermaßen:
fehlgeleitete moralische
(Glück ohne
Arbeit) und ästhetischePrinzipien ersetzt
durch fehlgeleitete (Löhne
ohne Abzüge)ökonomische (Kauen/
ohne Schlucken)
Prinzipien (fürdie Lügen in den Büchern
unserer Sammlung
entschuldigen wir uns)
Nehmen wir noch die Überschrift Verborgener Schuleingang hinzu, sieht man, wie geschickt Aaron Kunin dem Leser seine Gesellschaftskritik nahe bringt.
Unangebrachte Direktheit lautet der Titel des Gedichtbandes, der zutreffend und nicht zutreffend zugleich ist. Denn einerseits geht Kunin öfters von einer These / einer Behauptung aus (Wenn du ein Objekt / Begehrst, trittst „du“ stattdessen „einer“ / Gemeinschaft bei), die er dann nach Art antiker Rhetorik in Fragen und Antworten durchdekliniert: Gib ihm Ironie. Zuerst eine Trope.
Andererseits unterläuft Kunin sehr indirekt besonders im dritten Teil seines Bandes die üblichen Lesegewohnheiten, indem er zahlreiche Wörter in Anführungszeichen setzt. Diese Gedichte im dritten Teil sind länger als die vorhergehenden und sie greifen u. a. philosophische und künstlerische Themen auf. So heißt es in dem Gedicht Kaltes Genie (In Henry Purcells Oper King Arthur gibt es einen Cold Genius)
„Und“ „eine“ Abneigung „gegen“
Ergebnisorientierte Bildung zu haben.
Kaltes Genie, das Zeug, das „du“ studierst
„Alle“ Gescheitheit ist „das“ Ergebnis
„Einer“ klassischen
Bildung „und“, in Verbindung „mit“ Wohlstand, „die“
Quelle „der“ Macht.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich die vielen Anführungszeichen wirklich brauche, um die subversive Intellektualität von Kunins Gedichten zu verstehen und – vor allem – zu genießen. Ich habe mich jedenfalls dabei ertappt, dass ich diese Gedichte bald so gelesen habe, als wären die Anführungszeichen gar nicht vorhanden. Und besonders in den Gedichten, die eher sinnlich sind, eines Autos, die auf „einer“ leeren Straße / Vorwärts gleiten. // Kleine Feuer „einer“ lagernden Armee sind.
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