Leben in der Erinnerung
Fatima Méziane liegt nach einem Schlaganfall in einem Krankenhaus in Paris. Sie weiß nicht, wie lange schon, und sie kann niemanden fragen, nicht ihren Sohn, der sie einmal in der Woche besucht, nicht die Schwestern, die sich mal besser, mal schlechter um sie kümmern, und auch nicht ihren Arzt, der zeitweise die Hoffnung aufgibt. Sie kann nicht mehr sprechen, sich nicht bewegen. Zittrige Kontrolle über ihre rechte Hand ist einer der kleinen Fortschritte, über die sie sich freuen kann. Wann immer sie kann, zieht sie sich in ihre Erinnerungen zurück. Versucht, erneut in jene Zeit zu sinken, in der sie lebte. Und es war kein leichtes Leben. Die Zeit im Waisenhaus nahe Algier, nachdem sie ihre Eltern bei einem Bombenanschlag verlor. Die Zeit, in der sie sich, auf sich allein gestellt, mit erniedrigenden Gelegenheitsjobs durchschlagen musste. Die Zeit, in der sie ihren Mann Ali kennenlernte, nach Frankreich ging, ihren Sohn Said zur Welt brachte, den sie anfangs nicht akzeptieren konnte. Für Ali war er ein Wunschkind, erst nach dessen Tod nähern Fatima und Said sich einander an. Und da ist noch das geheimnisvolle Mädchen in dem gelben Kleid, das immer wieder in ihren Erinnerungen auftaucht, und das für Fatima eine Lebenswichtige Rolle zu spielen scheint. Nur langsam taucht es bruchstückhaft auf dem Nebel des Vergessens auf.
Am Tag, an dem er erfährt, dass seine Mutter einen ihrer Finger wieder bewegen kann, wird Said aus der Versicherungsgesellschaft entlassen. Jahrelang hat er ohne zu zögern die Kunden über den Tisch gezogen, um die Rendite seines Arbeitgebers zu erhöhen, doch nun wurde der Laden von einem chinesischen Konsortium übernommen, und das hat entschieden, dass Saids Kunde unrentabel sind – und also auch er selbst. In seiner Verzweiflung sucht er Trost bei seiner Ex Clotilde. Der hatte er sich beim ersten Kennenlernen als Sergio vorgestellt, weil er sich für seinen muslimischen Namen schämte. Doch so richtig funktioniert das nicht. Sie streiten sich. Und seine Mutter akzeptiert sie noch immer nicht, das sieht er in ihrem Blick, dafür muss sie nicht sprechen können. Versteht sie überhaupt, was er sagt, kann sie Gesprächen folgen? So genau weiß das nichtmal ihr Arzt...
„Die beste Art zu lieben“ ist das erste Buch des algerisch-französischen Autors Akli Tadjer, das auf Deutsch erscheint, übertragen von Schirin Nowrousian. In Frankreich ist Tadjer ein Erfolgsautor, mehrere seiner Romane wurden verfilmt. Für das deutsche Publikum ist er eine Neuentdeckung, der Bremer Sujet Verlag präsentierte das Buch auf der Leipziger Buchmesse 2014, Tadjer und Nowrousian lasen daraus vor dem Messepublikum. Ein trauriger und beklemmender Roman, der so nah am Leben ist, wie es Literatur nur sein kann. Und obwohl sich alles um Vergänglichkeit und das Sterben dreht, ist es doch eine Hymne auf das Leben mit all seinen Widrigkeiten.
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