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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Pathos und Verbrechen

Der Roman eines Terroristen…
Hamburg

Nicht erst seit Madrid beschäftigt die Aufgeklärten, was Terrorismus sei, was zu ihm motiviere. Ohne nun zu behaupten, daß die Strukturen immer die gleichen wären, wie auch die Legitimationen, die die Täter allenfalls zu formulieren versuchen: Man kann einiges hier nachlesen: in Das fahle Pferd, einem teils autobiographischen Text aus dem zaristischen Rußland.

Der Titel versteht sich: „Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der daraufsaß, des Name hieß Tod, und die Hölle folgte ihm nach.” (Apk 6, 8) Marodierend zieht also der Terrorist umher, wobei er sich darin gefällt, schier biblisch zu sein, kein Mörder, sondern ein Fatum. Und dies zeichnet im folgenden Text denn auch alles aus, was der hier sich porträtierende Terrorist tut. Vom beiläufigen und sinnlosen Töten von Tieren, das eine empathiefreie Psyche zeigt, bis zur Stilisierung, er töte als Nachfolger Christi: Der

Weg des Herrn … Denn weißt du, wenn du wirklich liebst, stark liebst, von ganzem Herzen liebst, dann kannst du auch töten.

Nun mag Empörung wider den Zaren oder manche Ordnung gerecht und christlich sein; Widerstand auch; die umstandslose Übersetzung dessen in das Recht, zu töten, wo das Gegenüber nicht gerecht ist, ist von jenem infantilen Fanatismus, der viele auszeichnet, die schon darum allenfalls größeres Unrecht gegen das, was sie stört, auftürmen. Immerhin sind hier Zweifel im Narrativ, Konjunktive:

Wanja […] geht töten, und hat er getötet, wird er selig und heilig sein. Er sagt, es sei im Namen der Liebe. Als gäbe es Liebe in der Welt. Als wäre Christus am dritten Tag auferstanden. Alles eitel Worte … Nein –

Die gesamte Verkündigung sei eine Niederlage, so wird mit allerdings solider Bibelkenntnis behauptet: Petrus greift doch zum Schwert, Judas liebt nicht, sondern verrät, Christus wurde gerichtet, er betete, während seine Jünger schliefen, „nach wie vor wird Christus gekreuzigt.” Immerhin, es gibt ihn…

Dieser Widerstreit, der nicht blutig ausgetragen wird, während rundum alles sich rot zu färben scheint, macht die Grundspannung des Textes aus, der zwei Optionen aufbietet: den Glauben dessen, der im Namen wovon auch immer Bomben wirft, und den Nihilismus dessen, der tötet, weil, gäbe es Sinn, eine andere Form der Austragung noch möglich wäre, ein moralischer Sieg, er so aber die sprachlose Gewalt mit eben dieser beantworten will – und fast muß.

Die Gewalt aber ist bei beiden geradezu avanciert: Man

zerhackte […] ihm Arme und Beine. Dann legte man ihn über Nacht in den Fluss, sodass allein der Kopf herausschaute

– eine Szene wie aus jenen Protokollen der frühen Aufklärung, die Foucault in Überwachen und Strafen zitiert, worin ebenfalls sprachlos ein Sinn exekutiert zu werden scheint, zuletzt qua Vierteilung: wonach sich der physisch zerstört Werdende noch bewegt, sein Unterkiefer auf und nieder geht, jedenfalls „als ob er spräche”, und zwar noch, als man seine Überreste auf den Scheiterhaufen wirft.

Vor dem Tod sehen viele Menschen Gott

..., doch vor wessen Tod? Das Umherirren der Renegaten und Guerillas ist also leitmotivisch, Topgographie wird Psychogramm:

Ich schritt voran und hatte kein Ziel. Ein steuerloses Schiff in den Fluten.

Daß dem so ist, ist dem Autor und seinem so akkuraten wie fast lyrischen Übersetzer Alexander Nitzberg zu verdanken. Er bewahrt das Grausige, aber auch das Menschliche in den Zäsuren des Zweifels;

ich habe auch die Liebe getötet,

wo doch einst – so die erwähnte Selbstsuggestion – aus Liebe getötet wurde…

Dennoch ist der Text gewiß kommentarbedürftig – und wird in der Ausgabe auch profund kommentiert. Die Rechtfertigungen werden analysiert; zuletzt bleibt nur der Aktionismus dessen, der durch das Töten die Aufmerksamkeitsökonomie nutzt. Das ist, so der Kommantar, der abstrakte, verwerfliche Grund, bis heute. Es ist dies der Grund des Terroristen, aber auch dessen, der als Terrorist bloß nicht erkannt die Ordnung advoziert. Sawinkow selbst endete mit zerschmettertem Schädel, nachdem er – sich? – aus einem Fenster stürzte. Die Besessenheit vom Tod überlebte er nicht, doch er hinterließ etwas, das bleiben mag; eine Herausforderung.

Boris Sawinkow
Das fahle Pferd
Roman eines Terroristen
Übersetzung:
Alexander Nitzberg
Nachwort: Prof. Jörg Baberowski
Galiani
2015 · 304 Seiten · 22,99 Euro
ISBN:
978-3-86971-114-0

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