Jesus als Poser
In seinem neuen Roman Marias Testament, der 2013 für den Booker Prize nominiert war, erzählt der 1955 in Irland geborene Colm Tóibín die Geschichte der Passion Christi neu und zwar aus Sicht seiner Mutter Maria.
Erzählanlass ist der regelmäßige Besuch zweier Jünger und, wie angedeutet wird, wohl auch der ersten Evangelisten, Mitglieder der jüdisch-christlichen Urgemeinde, die bestrebt sind Marias Schilderungen in die Mythenbildung um Tod und die Auferstehung ihres Sohnes mit einzubinden. Diese Besucher, finster und ungeduldig dreinblickende Männer, die der alternden Frau unangenehm und lästig sind, haben aber schon festgefügten Vorstellungen von dem, was die Mutter des Erlösers ihnen erzählen soll. Meine Gäste, die hierherkommen, versuchen Zusammenhänge herzustellen, ein Muster hineinzuweben, und sie bitten mich um Hilfe. Für Maria aber gibt es diese Zusammenhänge nicht. Der Kreuzestod ihres Sohnes, der ihr zuletzt ganz fremd geworden war, ist für sie ein sinnlos grausamer Akt, dessen Notwendigkeit sie nicht sehen kann. Wenn ihr sagt, dass er die Welt erlöst hat, dann sage ich, dass es das nicht wert war.
So nimmt sie diese Besuche stattdessen zum Anlass, wie vom Rand einer Bühne, einem Publikum das hören will, was wirklich geschah, ihre Version der Geschichte zu erzählen. Bevor sie stirbt, die Wahrheit zu sagen, bevor alles zu einer reizenden Geschichte wird, die alles vergiftet.
Es folgt eine Erzählung, die man auch als schwarzes Evangelium bezeichnen könnte. Die Geschichte von Leben, Wirken und Sterben Jesu aus Sicht einer alten, von Bitterkeit durchtränkten, von Gott, ihrem Sohn und der Welt verlassenen Mutter. Die Jünger, die ihr Sohn um sich schart, sind für sie nichts als Taugenichtse, die einer Frau nicht gerade in die Augen blicken können. Eine Ansammlung von Narren, Zitterer, Unzufriedenen, Stotterer, in deren Mitte ihr Sohn mit einer künstlichen Stimme und gestelztem Ton rätselhafte Phrasen von sich gibt.
Hier wird Jesus zum Prahlhans, der mit billigen Taschenspielertricks Wasser zu Wein verwandelt und in einer Zeit von Aufruhr, Umbruch und Unsicherheit verblendete Nachplapperer um sich schart, die in ihm den Messias sehen, den Sohn Gottes, der die Welt errettet. Natürlich sind diese Unruhestifter, die den Sabbat nicht einhalten und Massen um sich scharen auch in dieser Version der Geschichte sowohl den Pharisäern, als auch den römischen Besatzern ein Dorn im Auge und es kommt zur unvermeidlichen Verurteilung und Kreuzigung. Ein trauriges, entsakralisiertes, bestialisches; ein sinnlos grausames und körperlich unvorstellbar schmerzhaftes Schauspiel, dem Maria beiwohnt. Aber nicht bis zum Ende. Sie, die ebenfalls in Lebensgefahr schwebt, muss fliehen und kann ihrem Sohn nicht einmal bis zu seinem Tod beistehen.
Seine Auferstehung wird zu einem bloßen Traum, zur Mundpropaganda degradiert. Maria flieht nach Ephesos und findet zuletzt, abgeschnitten von ihren jüdischen Wurzeln und abgestoßen vom Gott ihres Sohnes im Tempel der Artemis einen neuen Zufluchtsort, in der griechischen Göttin der Jagd, ihre Maria.
Die frohe Botschaft gibt es also nicht mehr. Der von den Toten wieder auferweckte Lazarus ist ein bloßer Zombie, vor dem sich die Nachbarn fürchten.
Er hatte etwas äußerst Einsames, und wenn er tatsächlich vier Tage lang tot gewesen und dann wieder auferstanden war, besaß er ein Wissen, das ihn zermürbt zu haben schien, als habe er etwas gekostet oder etwas gesehen oder etwas gehört, was ihn mit dem reinsten Schmerz erfüllte, ihn auf eine grausige, unaussprechliche Weise unvorstellbar geängstigt hatte.
Auf den Tod folgt nicht die Auferstehung und der Himmel, sondern die Hölle einer nebulösen Geisterwelt.
Colm Tóibíns Version der Passionsgeschichte ist eine postmoderne, nihilistische Entzauberung der Menschwerdung Gottes. Das ungeheuerlich revolutionäre Moment, dass in der Gestalt Christus die Gegenüberstellung und der Abstand zwischen Gott und Mensch überwunden sind. Die Entgrenzung zwischen der himmlischen und irdischen Sphäre. Das Zusammenfallen zwischen Minima und Maxima: die größte Demütigung durch einen schändlichen Tod, mit der Erhöhung durch die Auferstehung, wie Nikolaus Cusanus über den Kreuzestod meditierte, all dies wird negiert.
Dies mag, wenn der metapyhsische Himmel leer gefegt erscheint noch angehen. Aber das das Sprengmaterial, das die Lehren Jesu, sein Auftreten und Predigen in der konkreten historischen Situation bedeuteten nicht gewürdigt wird, sondern als bloßes Spinnereien herumziehenden Verirrter gebrandmarkt wird, ist schade und diffamiert eher das Buch und das dünne Eis, auf dem es sich bewegt als den Zimmermannssohn aus Nazareth, der sich trotz seiner niederen Herkunft und ohne Studium angemaßt hatte ebenfalls Deutungshoheit in sakralen Fragen zu haben und die Geldwechsler aus dem Tempel zu jagen.
Es überrascht daher nicht, dass der dünne Roman Stellenweise hölzern und parabelhaft wirkt. Eher noch wie eine noch nicht zu Ende geführte Skizze, als hätte der Autor selbst gemerkt, dass seine Idee, so reizvoll sie ist, nicht im Ganzen trägt. Es wesentlich mehr Raum und Zeit gebraucht hätte, um dieser Figur auch in einer Umdeutung wirklich gerecht zu werden.
Das Thema dieser Passionsgeschichte ist eine gescheiterte Mutter-Sohn-Beziehung. Der Schmerz über einen entfremdeten und sinnlos verstorbenen Sohn, der eine Mutter auffrisst und verbittert. Diese Schilderung ist durchaus gelungen. Aber dennoch wäre eine weniger imposante und bereits seit Jahrhunderten mit Bedeutungen und Interpretationen beladene Folie vielleicht ertragreicher gewesen.
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