Anzeige
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
x
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Skalpell und Holzhammer

Dana Rangas "Hauthaus"
Hamburg

Im Klappentext zu Dana Rangas "Hauthaus" heißt es:

Stationen einer Reise in die Tiefe der Ozeane sind die Gedichte in Dana Rangas Debüt Wasserbuch. Auch in ihrem zweiten Band, Hauthaus, geht es um verborgene Landschaften - doch sind es dieses Mal nicht subaquatische, sondern subkutane: Das Herz, die Schilddrüse, die Leber oder der Magen sind die Protagonisten dieses Buches, sie werden befragt und untersucht, (...)

Eine Reise durch den Körper also; gut, können wir uns drauf einlassen; das kann, soweit wir bis jetzt wissen, vieles Verschiedenes heissen. Kursorisches Durchblättern verrät dann folgende Struktur: Abwechselnd, wie Sys- und Diastole, Gedichte in schlanken Versen und in Blocksatz gefügte Prosagedichte, beides immer überschrieben mit den Namen von Organen. Wir überfliegen weiter: "Welthaltige" Substantive aus allerhand Lebensbereichen, es werden also wohl ein paar Stories angrissen werden, manche nur assoziativ, manche symbolisch, manche sachlich mit den je titelgebenden Organen verknüpft ("Tod durch Herzstillstand" neben "Forscherbiographie Heinrich Hertz"); dazwischen reflexive und/oder "rein" textlichsinnliche Passagen; dem Überfliegerblick fallen auch häufige griechische und lateinische Fachbegriffe auf, wir vemuten mal (immer noch: ohne wirklich zu lesen): poetologische und anatomische.

Der allererste Text fällt aus der Anordnung, weil er der einzige ist, der nicht den Namen eines Organs trägt. Er heißt "Anatomie" und stellt so etwas wie die Einleitung dar. Es ist hier gerade, da ich es wirklich zu lesen beginne dass "Hauthaus" mich auf dem falschen Fuß erwischt. Es fängt noch, sagen wir, plausibel an:

Körper
Volk aus Organen
lauter Lebenswerkzeug
die Zerschneider sind die Philosophen des Lebens
sie verehren nur die Eine
Anadyomene
auftauchende Aphrodite
unerhörte Liebe, sie schauen ihr in den Mund

... "Zerschneider" also blicken der "Ensteigenden" in den Mund; Aphrodite in ihrer Eigenschaft als Geschöpf des Zusammenwirkens unverstehbarer Urkräfte, das sich soeben daran macht, dieselben zu verlassen, sich das Haar zu trocknen und sich mal umzusehen in der Welt der Menschen (wer googeln kann, ist klar im Vorteil); wir stellen uns leicht geöffnete Kusslippen vor und denken an diesen oder jenen eigenen Abend am Strand ... "Zerschneider" geht sich auch noch aus, vor dem dargebotenen Horizont stellen wir uns das Wort als den Beinamen der Angehörigen so eines altgriechischen Heldenrudels vor; die passenden Kraftprotze zur Göttin des geheimnisvollen Lebens...

mein Leid ist mein Schmuck
mein Versprechen
die Anatomen streichen ihr
über Arme und Hände
über Schenkel und Fuß
sie tasten und klopfen
schauen ihr zwischen die Finger
und Zehen und zählen Anomalien
missgebildete Laute
man überprüft die Abstammung
und Akzent, die Symmetrie
einer Anaphase
wenn die Zelle sich teilt
und der Kern strahlt: ein Doppelstern.

Hopplahopp what now? - Erst wird gestreichelt und getastet (eine Aphrodite, viele Zerschneider, erotischerotisch), und plötzlich sind wir auf Zellkernebene (Anaphase, Moment im Zellzyklus)? Wurden da nicht ein paar Schritte übersprungen? Der schöne Tagtraum ist zerschnitten wie offenkundig auch die Entsteigende duch die Skalpellbewehrten, aber was solls, der Text geht weiter ... und bleibt "on message", namentlich, dass die Wissenschaft (der Anatomen)

über Schönheit und Liebe

nichts wüssten. Der Schluss geht dann so:

auch Christus ging auf Höllenfahrt
Anakatharsis
man reinigt den Saal mit ultraviolettem Licht
der Student schämt sich
Erhabenes und Erbrochenes zu nah beieinander
doch der Professor sagt
du hättest bestanden.

Alles dieses, Spöttelei beiseite, ärgert einen dann doch, und zwar doppelt; erstens wegen der völlig unverbunden vor uns hingestellten Motive (die doch im Dienste just des Hohelieds geheimnisvoller Verbundenheit hätten stehen sollen); zweitens inhaltlich, da wir nichts vorgesetzt bekommen als die selbe alte Abneigung gegen naturwissenschaftliche "Schärfe"/"Geschäftsmässigkeit", die auch allerhand religiöse Revivals befeuert. Dieses Skalpell ist ein Holzhammer. Aber gut, denkt wir uns versöhnlich: Kunstsprachliches, das sich an Bildern aus der Anatomie orientiert da muss an irgendeiner Stelle das Gegenüber von "Auseinanderschneiden" und "pulsierendem Leben" kommen; gut, dass die Autoin das gleich zu Beginn beiseite räumt.

So vorbelastet geht man in den "eigentlichen Text" - und ist erst einmal versöhnt:

Herz

Ein Zitteraal erfindet ein Alphabet, PQRST und in jeder Kammer ein andere Bild, in jedem Vorhof ein anderer Blickwinkel, wo fängt die Eigenständigkeit an, meine Handschrift im Vergleich zum Kardiogramm, mein Herz, von wem lernt es sprechen

(...)

...lauter Salzsäulen in den Höfen, Frauen und Töchter und ein Mann, der überlebte, weil er niemals zurückschaute, die Toten nicht zählte, keinen Seufzer hörte, dabei ist er nur der Gerichtshelfer, er wartet auf das tägliche Urteil, das wie einreifer Apfel aus dem Baum fällt ...

(...)

... und so weiter. Hier, nicht mehr draussen in der Sezierhalle, sondern sozusagen im Körper "schwimmend", geht Ranga ungleich souveräner mit ihrem Material um, kann es sich erlauben, sich treiben zu lassen; wir vertrauen zurecht darauf, dass die Motive, die sie an einer Stelle fallen lässt, an einer anderen Stelle wiederkehren werden; der Text muss nicht mehr argumentieren, sondern nur noch behaupten, und dieser Unterschied macht "Hauthaus" uns sofort um vieles glaubwürdiger.

Die Stoffe und Themen, die auf dieser Reise durch den Körper, auf die uns Ranga führt, immer wieder in Eins fallen, sind: Altgriechische Ideen vom Menschen-in-der-Welt; christliche Heilsgeschichte, insbesondere Ausbreitung des Christentums in Europa; alltägliche Biographien, die wir uns, ohne besonderen Anlass, als verknüpft denken; schließlich fügt sich Stück für Stück die Welt des naturwissenschaftlichen Wissens von der Welt in diese Horizonte, diese Körper ein, es geht in diesen Zusammenhängen dann versöhnlicher und differenzierter zu als in der Einleitung. Der Gedanke an Organe im Körper impliziert den Begriff eines Zwecks oder Ziels; dies ist der Grund, warum sich gerade an einem solchen unvermuteten Hauptgegenstand solche, tja, eben teleologisch aufgeladenen Kontexte entwickeln lassen.

Als Thesen-Lyrik vor diesem Horizont können wir Dana Rangas "Hauthaus" (minus "Anatomie") stehen lassen und wiederlesen. Die Texte erscheinen unabhängig von uns ins Gespräch vertieft mit Sammlungen wie Mayröckers "Magischen Blättern" mit ihren Heiligenvitae oder "Laederachs 69 Arten den Blues zu spielen" mit seinen just anti-teleologischen Fragmenten. An der entsprechenden Stelle kommt "Hauthaus" ins Regal.

Dana Ranga
Hauthaus
Suhrkamp
2016 · 63 Seiten · 19,95 Euro
ISBN:
978-3518425237

Fixpoetry 2016
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge