Nur der Sprache selbst verpflichtet
Gedanken über das Übersetzen habe ich mir zum ersten Mal wirklich intensiv nach der Lektüre von Herta Müllers Essayband „Der König verneigt sich und tötet“ gemacht. Die Art und Weise, wie Müller in diesem Buch von der Dorfsprache erzählt und davon, was die Sprache mit den Menschen macht, ließ mich zum ersten Mal diesen Abgrund zwischen den Sprachen spüren, von dem auch Esther Kinskys Essay vom Übersetzen handelt.
Esther Kinsky zitiert eine Strophe aus Wallace Stevens Gedicht The Man with the Blue Guitar
They said: „You have a blue guitar
You do not play things as they are. “
The man replied: „Things as they are
Are changed upon the blue guitar. “
Diese Verse kann man getrost als Motto ansehen für das, was Kinsky im folgenden schreibt. Es geht um das Fremde, es geht um die Form und es geht darum, wie die Form das vermeintlich Bekannte verwandeln kann. Im besten Fall in Musik, in etwas, das klingt.
Der Vergleich von Übersetzung und Musik liegt nahe. In beiden Fällen sind da Zeichen, die so lange unverständlich bleiben, bis jemand sie zugänglich macht. Während die Noten jedoch für die Übermittlung an den Musiker geschrieben sind, sind die Worte autonom, kein Autor schreibt für einen Übersetzer.
Umso größer ist die Verpflichtung des Übersetzers jedem Wort des Originals gegenüber. Eine Verpflichtung, die ein Gespür dafür erfordert, dass „das Andere immer auch ein Element der Verunsicherung des Eigenen“ enthält. Übersetzen ist somit auch immer das Bewusstsein für die Vorläufigkeit und für die Unmöglichkeit alles zu übersetzen. „Zum Fremdsprechen gehört auch das Fremdschweigen.“
Warum übersetzt man überhaupt?
Wenig Ruhm und fast unerfüllbare Anforderungen, erst in letzter Zeit treten die Übersetzer zuweilen aus dem Schatten der von ihnen übersetzten Autoren und erfahren eine Würdigung ihrer Arbeit. Warum also entschließt sich eine, zu übersetzen? Kinsky antwortet darauf, dass die Übersetzung eines Werkes nicht die zweitbeste Version dieses Werks ist, sondern in erster Linie „Ausdruck der Auseinandersetzung mit Fremde.“ Denn jede Sprache ist „eine Welt für sich [¡K] mit ihrem eigenen Netz der Bezüge, der Bilder, der Wertigkeiten. Die Fremdsprache führt den Übersetzer zum Fremdsprechen der Welt, zum Erfahren der fremden Sprachwelt. Die Sprache will nicht bloß erlernt, sie muss erfahren werden. Um diese spezifischen Erfahrungen mit den Worten der eigenen und der fremden Sprache geht es Kinsky in ihrem Buch immer wieder, sie beharrt darauf, dass Übersetzen nie lediglich eine Übertragung von Inhalt sein kann, sondern immer Formung der Sprache. So wird Übersetzen letztlich zu einer besonderen Sprachwelt, die nur Übersetzern zugänglich ist.
Kann übersetze Sprache objektiv sein?
Die Muttersprache versteht Kinsky als biografisch beeinflusste Ablagerung von Bildern. Die Übersetzung ist ein eigenständiges Werk, denn die Verpflichtung des Übersetzers besteht in erster Linie gegenüber dem Text, nicht gegenüber dem Urheber. Für Kinsky ist die Übersetzung das „Ergebnis eines persönlichen Dialogs mit der Fremde, die der fremdsprachige Text darstellt, als Ausdruck der Wahrnehmung dieses Textes und der Umsetzung dieser Wahrnehmung in die Übersetzungssprache, ohne je Anspruch auf eine Alleingültigkeit erheben zu können.“
Eine andere Sprache bedeutet auch eine andere Ordnung der Welt, ausgedrückt durch das Implizite, das in den grammatischen Unterschieden liegt. Das wiederum führt zur Kernfrage: „Was ist an einem Text übersetzbar, was bleibt in der Übersetzung als Fremde enthalten?“
Was soll mit dem Fremden geschehen?
Kinsky plädiert dafür national spezifische Sprachbilder zu erhalten, sie bezeichnet das als „Gewinn der Gastsprache“, als „Gastgeschenk“.
Insofern ist dieses Buch, wie vermutlich jedes Buch über Sprache, auch eine Abhandlung darüber, wie wir mit der Fremde und den Fremden umgehen. Was zwischen den Polen der Angleichung um jeden Preis oder dem Laissaz faire bis zur Verleugnung des eigenen, möglich ist. Wie neue Perspektiven gewonnen werden können durch die Verunsicherung des Feststehenden, durch die Einsicht: es geht auch anders.
Die spezielle Textur der Übersetzung
Zwangsläufig webt die Übersetzung eine neue, andere Textur, während der immer wieder Entscheidungen getroffen werden müssen, für den Rhythmus, für oder gegen die Worttreue. Um diese Entscheidungen treffen zu können, muss der Übersetzer weitaus mehr leisten, als lediglich den Inhalt des Textes zu verstehen, er muss den Text vielmehr begreifen.
Im Klang wurde das Gewebe hörbar, schreibt Kinsky von ihrer Ausbildung zur Übersetzerin. Nur aus dem Dialog mit der Fremde erwächst schließlich eine eigene Struktur, die wiederum berücksichtigt, dass es unmöglich ist, deckungsgleiche Bilder zu erzeugen.
Die eigene Stimme und das Fremde
Übersetzen ist die vielleicht beste Übung, die eigene Stimme zu finden, weil: „Man misst ihre Möglichkeiten an anderen.“
Übersetzung ist ein „Beitrag zur Sprache schlechthin“. Eine gelungene Übersetzung macht die Sprache reicher.
Auf keinen Fall ist die Übersetzung etwas dem Original nachgeordnetes. Und zwar weil es sich um „unterschiedliche Kategorien der Sprachgestaltung“ handelt.
Während der Autor, Urheber des Buches, Sprache mit Hinblick auf ein Ziel gestaltet, die Vermittlung eines Inhalts, einer Idee, hat der Übersetzer das Privileg, sich ausschließlich mit der Sprache befassen zu dürfen, so dass er „nur an seiner Sprache gemessen“ wird, während „der Autor selbstverständlich auch an dem gemessen wird, was die Sprache vermittelt.“
Für Esther Kinsky ist die Übersetzung „der originäre Ausdruck einer unwiederholbaren als Schaffensprozess analytisch nicht nachvollziehbaren Auseinandersetzung mit Fremde, wie sie sich in Sprache manifestiert.“
„Übersetzung ist die Kunst, die mit dem Menschsein unlösbar verbundene Erfahrung von Fremde auf der Ebene von Sprache zu gestalten.“
Die Augen der Sprache
Ich möchte mit einem Zitat aus dem eingangs erwähnten Buch von Herta Müller enden: „Sprache war und ist nirgends und zu keiner Zeit ein unpolitisches Gehege, denn sie läßt sich von dem was einer dem anderen tut, nicht trennen. Sie lebt immer im Einzelfall, man muß ihr jedes Mal aufs Neue ablauschen, was sie im Sinn hat. In dieser Unzertrennlichkeit vom Tun wird sie legitim oder inakzeptabel, schön oder häßlich, man kann auch sagen gut oder böse. In jeder Sprache, das heißt in jeder Art des Sprechens sitzen andere Augen.“
Diese Augen zu erkennen, lernt man beim Übersetzen, oder wenn man Bücher, wie das von Esther Kinsky über das Übersetzen liest.
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