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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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Kritik

Franz Richard Behrens - Erschossenes Licht

Michael Lentz gibt bei hochroth Gedichte eines vergessenen Expressionisten heraus
Hamburg

Der Gedichtband "Erschossenes Licht" ist ein postum von Michael Lentz herausgegebener Band des expressionistischen Dichters Franz Richard Behrens (1895-1977), der 2015 im hochroth-Verlag erschienen ist. Zu Lebzeiten wurde neben Einzelveröffentlichungen in der Zeitschrift "Der Sturm" nur ein einziger Gedichtband ("Blutblüte") von Behrens 1917 im Verlag Der Sturm in Berlin publiziert.

Der Autor Michael Lentz, der über Lautpoesie promoviert und vor einem Jahr den Essay "Die Rede ist vom Schweigen" über Eugen Gomringers berühmtes Ideogramm verfasst hat, hat eine Auswahl der Gedichte aus dem erwähnten Band "Blutblüte" sowie aus den Feldtagebuchgedichten "Todlob" zusammengestellt, die der Literaturzeitschrift "text+kritik" entnommen wurden, und die ebenfalls von Lentz 2012 herausgegeben worden sind. Dabei handelt es sich um Gedichte, die an der Ostfront 1915/16 entstanden und die bisher unveröffentlicht waren.

Die 26 Gedichte werden ohne Nachwort bzw. ohne Kommentar dem Leser vor Augen geführt, was zur Folge hat, dass dieser mit den Gedichten und nicht auch mit einer Interpretation, Einschätzung, Bewertung oder Erklärung konfrontiert ist. Der Aktualisierungsprozess, der jeder Publikation dieser Art inhärent ist, wird noch durch fehlende Einbettung in einen historischen Kontext verstärkt – trifft er doch so unvermittelt auf die Gegenwart. Schade ist aber, dass man jeweils nicht weiß, welches Gedicht aus welchem Textkorpus stammt.

Wie Franz Marcs "Briefe aus dem Feld", so sind auch Behrens' Gedichte direkt im Kriegsgeschehen an der Front entstanden. Wie viele Künstler der Avantgarde hatte er sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet. Anders als Marc und viele andere expressionistische Künstler überlebte Behrens den Krieg, publizierte jedoch keine Gedichte mehr. Die Gründe für das endgültige Schweigen oder Verstummen des Dichters auszumachen, erscheint an dieser Stelle spekulativ und unangebracht, jedoch kann man beim Lesen der Gedichte das Wissen um dieses Verstummen nicht gänzlich ausblenden. Es sind erste und letzte lyrische Erzeugnisse des Autors.

Der Band lässt uns die Bewegung vom Expressionismus hin zu DADA nicht nur nachvollziehen, sonden beinahe erfahren. Am Wort, an Sprach- und Fassungslosigkeit, an der Suche nach Ausdruck wird spürbar, dass erst aus dem Durchleben des Ersten Weltkriegs am eigenen Leib des Dichters die stilistische Wende verständlich wird.

So erscheinen die Gedichte auch stilistisch als Brückentexte vom Expressionismus hin zu Formen des Lautgedichts, des Suchens nach neuen Ausdrucksweisen durch Neologismen und lautmalerische Elemente, Alliterationen und Assonanzen, Wege, das Trauma des Krieges in Worte zu fassen, ohne in Beschreibungen herkömmlicher Art zu verfallen.

Das erste Gedicht des Bandes ist auch zugleich das bis dato bekannteste des Dichters. "Expressionist Artillerist" erschien am 1. Februar 1916 im "Sturm" und war gleichzeitig sein Debut. Das dem Biologen und Philosophen Jakob von Uexküll gewidmete Gedicht verortet sich in der Widmung schon indirekt in Estland, wo Uexküll aufwuchs und Behrens dort wohl in einer Flak-Einheit stationiert war. Die Widmung legt gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit Uexkülls theoretischen Überlegungen über Organismus und Umwelt nahe, die Korrespondenzen und Wechselwirkung zwischen beiden werden mithilfe von Neologismen und Alliterationen dargestellt.

Bäh
drüben fliegt ein Eisenvogel ab, kerzengrader
als alle Vögel der Erde
Ein-und-zwanzig
die Linie kennt die Natur nicht.

(Expressionist Artillerist, S.5, V I-V)

Das Gedicht beginnt mit der onomatopoetischen Trope Bäh, worauf eine Deskription eines Kriegsflugzeugs als Eisenvogel folgt, der der Natur kontradiktorisch gegenübergestellt wird. Ein typisches Element für expressionistische Lyrik ist der Vergleich von technischem Gerät mit der Natur, so hatte man auch innerhalb der Großstadtlyrik die Tram als Stahlwurm bezeichnet. Immer wieder wird im Gedicht die Unmöglichkeit eines impressionistischen oder naturalistischen Blicks, einer naturalistischen Ästhetik auf das alles angeführt. So vor allem in dem Passus:

Die Blüten weinen Licht unter Donnerschlagendem Krachen
Vier-und-dreissig
Die Zentralisierung des Willens ist die Kraft des Kommandeurs
Fünf-und-dreissig
Im Leichenblut schöne Farbe sehen. Alte Jacke
Knochensplitter sein, Impressionisten und Naturalisten

(s.o., S.6, V XXX-XXXV)

Die auf den ersten Blick willkürlich erscheinende Zählung, bei der nicht klar ersichtlich ist, was gezählt wird, folgt der logischen Einheiten der Verse, sodass immer wieder Zahlen ausgelassen, übersprungen werden, wenn die Verse länger werden als der Gedanke. Trotzdem wird konsequent weitergezählt bis zu folgendem Schluss:

Kanonen macht man
Granaten werden gemacht
Zwei-und-vierzig
Kanonaden entstehen
drei-
Ich glaube aufzugehn
-und
Ich drücke mich hoch heilig
-vierzig
Aus
Fetzen Fratzen Platzen

(s.o., V XLIII-LIII)

Stilistisch kann man neben der Häufung von Verben und Alliterationen, die mit dem Aufbrechen der metrischen Struktur der Verse verbunden ist, auch feststellen, dass sich Behrens an August Stramm orientiert, der Neologismen verwendet.

Verdammt echtes Lebensgefühl bornt verflucht
heissen Ausdruck

(s.o., V XVIII-XIX)

Auch hier wird die Entfernung von natürlichen Vorgängen nicht nur beschrieben, sondern am Wort vollzogen, indem ein Kunstwort eingesetzt wird, das sich vom Substantiv Born ableitet und das im Gegensatz zu gebären eben keinen natürlichen Vorgang bezeichnet. Die Häufung von Neologismen ist insbesondere in dem kurzen Gedicht Raabentraulichkeit zu beobachten:

Kotzhölle
Widerwiderwärtig
Vergewaltigtdorf
Geifersgeiereiferkuß
Wollustkeuchen Feuerstoß
Leichensäulen Lattenstank
Dreckschleifighimmelbett
Dichüberdicherbrechenkrieg
Trotzsieg Trotzsieg Siegtrotz

(Raabentraulichkeit, S. 16)

Die Neologismen, die durch Komposita entstehen, machen einmal mehr deutlich, dass herkömmliche Begriffe nicht ausreichen, dass es Reduplikation mindestens braucht, um den Grad an Perversion und Ekel auszudrücken, den man beim Anblick enthumanisierten menschlichen Verhaltens empfindet. Hier wird völlig auf ein lyrisches Ich bzw. auf Verben verzichtet. Die Komposita werden rausgehauen, hingeworfen.

Auch das Lautgedicht findet möglicherweise vor Hugo Balls Karawane (1917) und eventuell nur kurze Zeit nach der Eröffnung des ersten DADA-Abends im Cabaret Voltaire (1916) schon bei Behrens einen Ausdruck. In seinem in drei Abschnitte geteiltem Gedicht Russische Granate tötet harmonisch, das durch die partielle Selbstzitation an das Gedicht Expressionist Artillerist anschließt, heißt es doch dort in Vers XXV: "die Granattrichter tüpfeln garnicht harmonisch:

I

Börre Börre Bumsala
Fried Ist Im Ist Ist Ha Ha
Schwerte Schwarm Korintisch Schwur
Fiedelgelbe Richtskala Hur

(Russische Granate tötet harmonisch, S. 19 V I-IV)

So stilistisch vielseitig die Gedichte sind, so ist auch jedes einzelne ein erneutes Ansetzen an die Herausforderungen des Ausdrucks, ein erneutes Ringen um Fassung angesichts der eigenen Ohnmacht und der Willkür des Krieges, der Behrens ausgesetzt war. Die Behauptung einer eigenen Integrität in einer Umgebung, die an Inhumanität und Todesgefahr nicht zu übertreffen ist, und der man einzig die Überbleibsel einer eigenen Stimme entgegensetzen kann, scheint ganz logisch von herkömmlichen Beschreibungen wegzuführen. Nicht nur die Entfremdung wird beschrieben, sondern die Sprache wird sich selbst entfremdet, um etwas Unfassbares einigermaßen ausdrücken zu können. Nach der Erfahrung des ersten Weltkriegs war es in erster Linie die DADA-Bewegung, die diesen Weg weiter verfolgte. Dennoch ist auch ein elegischer Ton innerhalb des Bandes zu spüren, wie es vor allem das titelgebende Gedicht Erschossenes Licht treffend beschreibt:

Gestern erschoss meine Mutter das Licht
Wissen nichten
Priester nacken
Nacken stieren
Frieren wissen
Wissen nicht
Wissen nichts
Wissen bluten
Adern wissen
Meine Mutter erschoss gestern das Licht

(Erschossenes Licht, S.28)

Ohne den Titel wäre unklar, ob das Licht oder meine Mutter im ersten und letzten Vers Subjekt und somit Agens des Satzes ist. Auch das Vertauschen der Satzglieder scheint diese doppelte Lesart hervorzuheben. Die erste Frage, wer wird erschossen, das Licht oder die Mutter, wird durch den Titel beantwortet. Der gesamte Verlauf des Gedichts spielt mit Umdeutungen von Singular zu Plural (Wissen, Priester, Nacken) und auch mit der transitiven bzw. intranisitven Bedeutung des Verbs. Auch Substantivierungen tragen zu einer Oszillation bei. Dieser Prozess wird durch den ersten und letzten Vers verklammert. Die Bewegung bewirkt ein Vertauschen der temporalen Angabe mit dem Subjekt bzw. Akkusativobjekt.

Hier wird nichts erklärt, auch werden keine Bilder oder Szenen in Worte gefasst. Durch das Umstellen und Vertauschen wird am Ende das Organische, das blutende Ich und dessen Herkunft herausgestellt, das den Anfangssatz umstellt.

Mit heutigem Blick auf diese Gedichte erscheinen die rhetorischen Figuren und Tropen längst bekannt und nicht neu. Zu dieser Zeit waren sie jedoch bahnbrechend, und es erscheint nicht nur literaturhistorisch interessant, sich einem Vertreter dieser Zeit abseits der Schulbuchlektüre zu widmen. Dies ermöglicht auch, sich nochmals und immer wieder mit den Umständen auseinanderzusetzen, die solch eine Reaktion in der Sprache provozierten. Die Not und das Ringen um Ausdruck sind zeitgeistbedingt und sollten nicht isoliert von diesem Kontext betrachtet werden.

Aus den Archiven der Geschichte tritt uns Behrens gegenüber als ein wiederentdeckter Dichter, der sich zu Lebzeiten keinen großen Namen gemacht hat, der aber auf radikale und authentische Weise versucht hat, Erfahrungen Ausdruck zu verleihen, die heute immer noch so schwer vorstellbar sind; von denen man nichts weiß, nichts wissen kann...

Franz Richard Behrens · Michael Lentz (Hg.)
Erschossenes Licht
hochroth berlin
2015 · 36 Seiten · 8,00 Euro
ISBN:
978-3-902871-63-3

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