Anzeige
Komm! Ins Offene haus für poesie
x
Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

wenn die innenwelt ausschlägt

Zum 85. Geburtstag von Friedrich Achleitner
Hamburg

Pünktlich zum Geburtstag des Autors ist im Zsolnay Verlag der Band Wortgesindel erschienen. Er enthält Kurzprosa. Kein Text, der über eine Seite gehen würde, aber jede dieser Miniaturen ersetzt ein ganzes geschwätziges Buch. Die Sprache selbst mit ihren Widerhaken übernimmt die Handlungsführung.

Achleitner ist, wie man unschwer errechnen kann, 1930 in Oberösterreich geboren. Er zählt zu den Protagonisten der Wiener Gruppe. Darüber hinaus ist er Architekt und Architekturkritiker. Diese Kombination von Künsten scheint nicht nur im Falle Achleitner eine höchst produktive zu sein, leben wir doch in der Architektur und sind von Sprache umgeben. Man könnte sagen von innerer und äußerer Architektur.

Angemerkt sei hier, dass Achleitner seine architektonischen Visionen in den fünfziger Jahren in Innenräumen von Kirchen verwirklichen musste, weil die restaurative Ästhetik der unmittelbaren Nachkriegszeit durch ein eher konservatives Gestalten geprägt war. Die grundkonservative katholische Kirche aber ließ Innovationen zu. Und auch hier in Innenräumen. So gestaltete ein Architektenkollektiv, dem Achleitner angehörte, den Innenraum der Kirche Hetzdorf um, und vielleicht liegt hier schon so etwas wie eine Dialektik, die auch die aktuellen Texte durchzieht.

Diese Texte unterscheiden sich auch von den epochalen Prosaarbeiten der Siebzigerjahre, die eher mit der äußeren Form spielten, wie der quadratroman. Mit dem quadratroman von 1973 systematisierte Achleitner seine bis dahin unternommenen typographischen Studien, indem er den Held seines Romans, das titelgebende Quadrat, insgesamt 174-mal (inklusive Einband und Impressum) mit Über-, Unter-, Ein-, Aus- und Beschreibungen versah. Zum Handlungsträger wurde hier also die äußere Form.

In den späteren Prosatexten geht die Sache nach innen, ohne aber an Spannung zu verlieren. Und im aktuellen Buch nun heißt es im Text krawagner:

der krawagner hat schon recht, ein leben lang die innerlichkeit zu pflegen muss grauenhaft sein. …
welch ein schock, sagt krawagner, der es wissen muss, wenn dann die ersten krampfadern an den beinen entdeckt werden, wenn die innenwelt ausschlägt, ans licht der unbeschreibbaren wirklichkeit drängt.

Die Texte Achleitners spielen mit den verschiedenen Gebrauchsmöglichkeiten des wortgesindels und markieren auf höchst humorvolle Weise die Untiefen der Sprache, deuten grammatikalische Phänomene und hebeln so Bedeutungsebenen aus. Aber auch eine Handvoll Gedichte finden sich zwischen den Prosaminiaturen. Diese wiederum spielen mit ihrer äußeren Form, die sie thematisieren und so genaugenommen verinnerlichen.

In jedem Text allerdings werden die Paradoxien deutlich, die mit dieser Dialektik verbunden sind. Das macht dieses Buch auch zu einem zeitkritischen und damit politischen Buch. Am Ende des Textes mit dem Titel informationsmüll heißt es:

damit stehen einer gedankenlosen entsorgung beachtliche hindernisse entgegen. was, unter uns gesagt, wie schon erwähnt, eine anmaßung ist.

Der neue Achleitner ist also der alte, der ein ganz anderer ist. Lesen und feiern!

Friedrich Achleitner
wortgesindel
Zsolnay
2015 · 112 Seiten · 16,90 Euro
ISBN:
978-3-552-05712-8

Fixpoetry 2015
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge