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Kritik

Zwischen Traum und Bedrohung

Hamburg

Als ich vor gut einem Jahr „Das Phantom des Alexander Wolf“ besprochen habe, stand am Ende der Wunsch, nach weiteren Übersetzungen. Ein Wunsch, der in Erfüllung gegangen ist. Jetzt liegt „Ein Abend bei Claire“, Gasdanows Debüt auf Deutsch vor. Während im „Phantom des Alexander Wolf“ die Szenen klug und geschickt aufeinander aufbauen, ist dieses Buch assoziativer. Kolja liegt neben Claire, die er nach über zehn Jahren Trennung in Paris wiedergefunden hat, und überlässt sich seinen Erinnerungen. Kindheit und Jugend, Erinnerungen an die Eltern und an die Zeit in der Weißen Armee fließen in einen gleichbleibend magischen Erzählstrom. Das Erzählen folgt der Charakterisierung, die Kolja von sich selbst vornimmt: „was ich aufnahm, gelangte jedoch nie unmittelbar ins Bewusstsein...“

Ein Vorgehen, das möglicherweise keinen ganzen Roman getragen hätte, hätte Gasdanow nicht damals schon unvergleichlich wunderbare Charaktere zeichnen können. „Wie der Vater des kleinen Kolja mit unendlicher Geduld eine Reliefkarte des Kaukasus modelliert, entwirft Gasdanow in seinem Erstlingsroman eine Landkarte literarischer Bezüge, er markiert deutlich, wenn auch manchmal an versteckter Stelle, was er verehrt und was er ablehnt“, schreibt Rosemarie Tietze im Nachwort.

Sowohl Personenbeschreibungen als auch der assoziative Erzählstrom sind bei Gasdanow magisch und das liegt meiner Meinung nach nicht zuletzt daran, dass er immer den richtigen Ton trifft, das treffendste Wort und den gelungensten Vergleich findet. Beispielsweise wenn er von seinem Russischlehrer schreibt:

„Mein Hauptfeind war der Klassenlehrer, der Russisch unterrichtete und mich hasste, wie man nur Gleichgestellte hasst.“

Gasdanow ist einer von den Schriftstellern, die es zulassen, dass das Geschriebene mehr weiß als sie, er überlässt sich seinem Material, oder um es mit Kolja und einem Zitat aus dem Roman zu sagen: „Oft verlor ich mich; ich war nichts für immer fest Umrissenes; ich veränderte mich, wurde bald größer, bald kleiner; und diese Unzuverlässigkeit meines eigenen Phantoms, die mir nicht erlaubte, mich ein für alle Mal zu teilen und zu zwei unterschiedlichen Existenzen zu werden, erlaubte mir vielleicht, in meinem realen Leben vielgestaltiger zu sein, als das möglich schien.“

„Ein Abend bei Claire“, war das einzige Buch, mit dem Gasdanow einen gewissen Ruhm erlangte. Nabokov hielt das Buch für den wichtigsten russischen Exilroman der 30er Jahre, und Maxim Gorki schrieb Gasdanow nicht nur einen herzlichen, sein Talent anerkennenden Brief, sondern versuchte (allerdings erfolglos) eine Veröffentlichung in Moskau zu ermöglichen.

Überhaupt scheint Gasdanow einer von denen gewesen zu sein, die ihr Talent zur falschen Zeit, oder vielleicht in der falschen Sprache (im Gegensatz zu Nabokov hörte Gasdanow nie auf, russisch zu schreiben) ausdrückten. Wie dem auch sei, er hat seine Träume niedergeschrieben und wir dürfen sie heute endlich, gut vierzig Jahre nach seinem Tod, lesen.

Im letzten Satz von „Ein Abend mit Claire“ vereint Gasdanow meisterhaft den Traum von der Liebe und die Bedrohung durch den Tod:

„Doch nun hatte sich der Himmel mit Wolken überzogen, die Sterne waren nicht mehr sichtbar; und wir fuhren durch die Meeresdüsternis zu der unsichtbaren Stadt; hinter uns in der Luft klafften Schlünde; und ab und zu schlug in der feuchten Stille dieser Reise die Glocke – und dieser Ton, der uns ständig begleitete, nur dieser Glockenton verband dank seiner langsamen, gläsernen Durchsichtigkeit die Feuergefilde und das Wasser, die mich von Russland trennten, mit dem stammelnden und sich verhaspelnden, mit dem wunderbaren Traum von Claire.“

Gaito Gasdanow
Ein Abend bei Claire
Übersetzt aus dem Russischen von Rosemarie Tietze
Hanser
2014 · 192 Seiten · 17,90 Euro
ISBN:
978-3-446-24471-9

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