Baden und Dichten
In der interessanten Reihe „Edition ReVers“ des Verlagshauses Berlin, im letzten Jahr zurecht mit dem Preis „Deutschlands Schönste Bücher“ ausgezeichnet, erscheint nach Bänden mit Werken von Autoren vor der und um die klassische Moderne (Kavafis, Owen, Majakowski, Kandinsky) ein über 500 Jahre altes Fundstück: „Baiae“ von dem Renaissance-Schriftsteller Giovanni Pontano. Es erscheint einigermaßen überraschend und steht im ersten Eindruck auch nicht direkt in nachvollziehbarem Anschluss, entpuppt sich aber nach Blicken ins – wie immer bei dieser Edition – anspruchsvoll gestaltete, aber dennoch perfekt lesbare Buch als ausgesprochen kurzweilige Ergänzung zu den eher schweren anderen Bänden der Reihe. Ausgestattet mit dringend benötigten Hintergrundinformationen, die in einem umfangreichen Handapparat (fast ein Viertel des Buches) von Übersetzer Tobias Roth zusammengestellt worden sind, inklusiver antiker Weinkarte, wartet „Baiae“ als ein krönender Abschluss des offensichtlich nimmersatten, umtriebigen Autors Pontano auf, der allem Anschein nach „mehr Bücher gelesen und mehr Bücher geschrieben hat“, als Normalsterblichen möglich ist.
Als besondere Entscheidung der Edition ReVers erweist sich die grafische Anordnung der zweisprachigen Texte, bei der, anders als üblich, nicht das Original (in diesem Fall in Latein abgefasst) die Doppelseite links eröffnet und die Übersetzung die rechte Seite einnimmt, sondern sich der lateinische Text in goldener Type wie eine Fußnote als Fließtext ohne Umbruch zu Füßen der Übersetzung breitet – ein mutiger Eingriff in den visuellen Aspekt des Originals. Die Illustrationen von „Baiae“ stammen, als Hochdruck hergestellt, aus der Hand des Berliners Petrus Akkordeon, dessen grundschräge Figuren seit vielen Jahren in verschiedenen Medien erscheinen, u.a. als aquarellierte Strichzeichnungen in den Sachen mit Wörtern. Hier geht er stärker in die Fläche und verwendet ausschließlich die drei irdenen Farben der Reihe: Gold, Schwarz und Braun auf Weiß. Obwohl sie immer klar als Arbeiten Akkordeons zu erkennen sind, ist den abgebildeten Figuren insgesamt durchaus eine Ähnlichkeit mit frühen Grafiken Picassos, Cocteaus, Matisses etc. eingeschrieben, welche ihrerseits nur allzu gerne antikisierende Szenen rund ums Baden verfertigten. Womit wir beim Thema sind: Baden.
Der Gedichtzyklus „Baiae“ beschäftigt sich ausschließlich damit. Baden in allen Variationen. Baden in „Baiae“, einem heute verschwundenen Ort an der nach wie vor überirdisch schönen Neapolitanischen Küste. Pontano, der sich selbst in den Gedichten als verkümmerten Greis darstellt, beschreibt mit ironischer, federleichter Stimme die Freuden eines sorgenlosen Lebens zwischen Nackten, Wein und warmem Wasser. In Baiae, das zu römischen Zeiten einen legendären Ruf genossen haben soll, scheint alles möglich: ein frivoler, sehnsuchtsvoll erträumter Ballermann der Antike, der von Venus bis Mars und jungem Volk (in mindestens derselben götterkörperlichen Verfassung) zum Zwecke des Sehens und Gesehenwerdens aufgesucht wird, aber auch von alternden Durstigen, die sich nach dem Jungbrunnennass sehnen. Pontano als Vertreter der letzteren, wie auch Vertreter der Kategorie Sehende, wird nicht müde, in sogenannten Elfsilbern, im Hendekasyllabus, den hauptsächlich weiblichen Badenden freche Ratschläge zu erteilen, die, wenn sie nicht halb so selbstironisch ausgeführt wären, dem notgeilen Hoffen eines ewigen Lustmolchs gleichen würden, in der Manier eines billigen Flirts auf dem Papier: He, warum badet ihr denn so allein da drüben? Wäre es nicht viel erbaulicher…? etc. Die durchwegs bestimmten Personen gewidmeten Elfsilber, deren Bezug zu Pontano ein detailliertes Namensregister im Handapparat zu klären versucht, sind aber trotz der Häufung akuten Vokabulars von Brüsten, Schwänzen, Schwitzen, Schlafen und allein zehn Gedichten an eine schlicht atemberaubende Focilla wesentlich vielschichtiger als zunächst vermutet und durchaus dem hehren philosophisch getränkten Willen zu einem friedlichen Utopia verpflichtet. In aller Derbheit und Komik, die an die vulgären Passagen eines Villon, Chaucer oder des 200 Jahre früheren Boccaccio erinnert, will Pontano offensichtlich nichts weniger, als auf die Vorzüge eines Edens der Lüste hinzuweisen. In seiner Zeit, die von Roth im Nachwort akribisch und hervorragend recherchiert, quasi wissenschaftlich abgerufen, rekonstruiert wird, erfindet Pontano zu dem Wirrwarr aus Ränke, Macht, Glauben, Zwergstaatenpolitik, Kunst- und Ingenieursinnovationen seiner Renaissance den semi-fiktiven ruhenden Gegenpol der Baiae. In allgemeiner Verehrung, Wiederentdeckung und Adaption einer inspirierenden Antike, gleich den parallelen Künsten der Bildhauerei, Architektur etc., huldigt Pontano statt im längst durchgesetzten Italienischen seiner Vorgänger Dante, Petrarca etc. in hochgestochenem Kunstlatein dem pseudoantiken dolce far niente der römischen Bäder, voller Mythen, Gottheiten, Dionysien, Bacchanten etc., indem er sämtliches relevante Personal seines aktuellen Bekanntenkreis aus Fürsten, Cousinen, Freunden als utopische Besucher in „Baiae“ baden lässt. Zugetan nur den irdischen Freuden aus Wein, Fleischeslust und Tanz. Warum nicht? Ein süßer Traum in verwirrender Zeit – das Mittel eines weitgereisten, anerkannten, wohlgebildeten Starautors seiner Generation, eben seiner Zeit den erfundenen Spiegel aus Wünschen nach Ruhe, Rückbesinnung und Lustbarkeit vorzuhalten.
Pontanos Sprache ist weniger bildreich, stattdessen reich in der detaillierten Beschreibung von konkreten Körpern, Dingen und Bewegungen. Die Gedichte sind sämtlich gut lesbar in der Übersetzung, die sich nicht auf die phonetische Strenge und der ihr innewohnenden Spielerei des Originals einlässt – dies wäre sicherlich nur schwer möglich – dafür aber stets Lösungen in deutschen Elfsilbern anbietet. Ein paar Wortübersetzungen stehen etwas gegen den Strom, wie „Knochenmark, Liebhaber, Scherz“, und tauchen häufig auf. Roths Entscheidung, statt Pontanos latinisierten Namen die historischen italienischen Namen zu verwenden, z.B. “AD MANLIUM RALLUM“, also Manlius Rallus, wird zu „Manilio Rallo“, oder „AD ANTONIUM GALATEUM MEDICUM“ wird zu „An den Arzt Antonio de Ferraris“, verwirrt bzw. steuert in Richtung historischer Korrektheit. Das nimmt Pontano dessen poetische Gaudi eines installierten Antike-Renaissance-Versteckspiels. Aber das Original ist ja schnell zur Hand, und jede Entscheidung, die Roth als Übersetzer getroffen hat, ist konsequent angewendet. Das umfangreiche Nachwort ist nicht nur aufschlussreich und nötig, um die Dimensionen der Erstveröffentlichung eines Schlüsselwerkes Pontanos in deutscher Sprache nachvollziehbar zu machen, es ist bei all seiner wissenschaftlichen Bemühtheit stellenweise allerdings etwas flapsig und bringt sich selbst um die Früchte seiner Arbeit, wenn es zudem seinen Fokus ständig von „Baiae“ weg zu allen möglichen anderen Pontanesken verlegt. Hier hätte die Konsequenz aus dem übersetzerischen Teil sicher entschlacken können. Doch dies seien nur Marginalien zu einem an sich kerngelungenen Buch, das die Originalität des Werkes mit der seiner Aufmachung und dem Können seiner Übersetzung zu vereinen weiß und einlädt, eine frühe, ferne, freche Lyrik neu zu entdecken.
Aus den Gedichten:
„AN HERMIONE,
SIE MÖGE IHRE BRÜSTE BEDECKENDu, bedecke deine strahlenden Brüste,
den Liebhabern nicht Tollwut einzuflößen.
Mich selbst, den das kalte Alter vereist hat,
heizen sie unangenehm auf; und darum,
du, bedecke deine strahlenden Brüste,
wickele dir zumindest ein Tuch herum.
Denn wieso trägst du den milchweißen Busen
und selbst die Brüste splitternackt vor dir her?
[…]AN TOMMASO AQUOSA
Bleib weg, Aquosa, bleib weg aus den Bädern,
verabschiede dich vom weichen Baiae, von
besoffenen Stränden, trunkenen Quellen:
Denn nichts ist kitzliger als diese Tümpel,
nichts unanständiger und anzüglicher
[…]ÜBER DEN NEAPOLITANISCHEN EDELMANN
GIROLAMO CARBONEWarum erhitzt sich Carbone dort in den
Wellen? Warum glüht das fließende Wasser?
Warum erhitzt sich er und das Wasser?
Hat Venus, aus Wellen geboren, eine
Fackel entfacht? Das ist die Kraft der Liebe.
Also brennt mein Carbone in den Bädern
wie in einem ungezügelten Feuer
oder friert wiederum wie in zu viel Eis.
Kaum ist Kälte in ihm, kommt Hitze zurück:
So wird der Adel von der Liebe besiegt.
Du, Theonilla, während du dich badest,
kümmre dich um Carbone, wenn ihm heiß ist,
wenn ihm kalt ist, indes aus deinen Haaren
immer Amomum tropft und aus deinem Mund
die Lüfte ambrosischer Ströme wehen.“
Fixpoetry 2016
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