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Kritik

Nachrichten aus der Schublade

Im Verborgenen“ offenbart einen Blick auf das ‚heimliche‘ Werk Kaváfis’
Hamburg

Einen Großen, weithin Gerühmten und zugleich die Entdeckung eines lange unbekannten Dichters gibt es zu melden – mit „Im Verborgenen“ in der Nachdichtung von Jorgos Kartakis und Jan Kuhlbrodt legt das junge und hochambitionierte Berliner Verlagshaus J. Frank eine aufsehenerregende Auswahl aus dem Werk Kontantínos Kaváfis’ vor, die es so in deutscher Sprache noch nicht gegeben haben dürfte.

Kaváfis (1863-1933) wird mittlerweile als der wichtigste neugriechische Dichter des letzten Jahrhunderts, noch vor Seferis und Elytis, angesehen; er hat einen langen Umweg in die Weltliteratur genommen. Nicht in Griechenland, sondern im ägyptischen Alexandria geboren, mehrte sich sein Ruhm eher in Westeuropa denn auf dem Balkan; zudem, und hier tritt die – heute gottlob (sic!) weiter in den Stand der Normalität überführt denn damals – Brisanz des Buchs auf den Plan, konnte der Dichter einen Groß-Teil seines Werks zu Lebzeiten nicht drucken lassen. Als „Diskretesten unter den Riesen“ bezeichnet Ricardo Domeneck in seinem Nachwort den Weitgereisten, der 1933 zum Sterben in seine und zugleich die Geburtsstadt Ungarettis zurückkehrt – alle Texte, die Kaváfis seiner homosexuellen Neigung widmet, sind dazu verdammt, „Im Verborgenen“ zu bleiben.

Illustration: Anja Nolte

„Heute Nacht hatte ich die Idee, über meine Liebe zu schreiben. Allerdings werde ich es nicht tun. Wie viele Vorurteile gibt es gegen sie! Ich habe mich von ihnen befreit, aber ich denke an die, die immer noch von Vorurteilen versklavt sind, in deren Hände diese Seiten eines Tages fallen werden“, so der Dichter in seinem Tagebuch vom 9. November 1902. Und, nachgesetzt: „… ich halte mich zurück.“ In seinen Gedichten leuchten die Worte, die die Sehnsucht und Misere des Umgangs damit beschreiben und, anders als viele andere homosexuelle Künstler der Zeit, ihr Heil nicht in der Verbrämung einer ‚goldenen‘ Zeit in der Vergangenheit suchen, sondern in einer aufgeklärteren künftigen Epoche.

So legt bereits das erste Gedicht der Sammlung, „Unsichtbar“, das gewissermaßen auch das Motto der ‚Hidden Poems‘ gibt, beredtes Zeugnis ab: „Nur in meinen heimlichen Handlungen / und meinen verborgenen Schriften / bin ich erkennbar als der, der ich bin. / Vielleicht aber lohnt es sich nicht / die Sorgfalt und Mühe aufzuwenden / mich zu suchen und zu finden. / Später – in einer besseren Welt – vielleicht / wenn ein anderer sich darin erkennt / wird was ich war natürlich sein und frei.“ Davon ausgehend, entfaltet Kaváfis ein ungeheuerliches Selbstgespräch, das gleichsam das verborgene Ich wie die Welt umspannt, notiert Blicke und Begegnungen, im Theater oder beim Bandagieren einer verletzten Schulter, erfindet eine „Zweite Odyssee“, die eine kühle Ankunft verheißt.

Große, mindestens bedeutende Gedichte sind das, die sich lange dem Blick zu entziehen hatten, was sich da als Nachricht aus den Schubladen der zurückhaltenden Träume entblättert; und absolut ungewöhnlich in Szene gesetzt. Denn als Startband der ‚Edition ReVers‘ führt das Bändchen die Experimente des Verlagshauses fort, das – neben den Hard- und Softcover-Reihen in Sachen Lyrik und kleinere Prosa – mit einer Essayreihe im Pocketformat bereits für Verwunderung und Faszination sorgte. So sind die ReVers-Bände roh, mit offenem Rücken, gebunden, das Cover derbe Pappe, schwarz und golden bedruckt. Innen sind die Textseiten durchbrochen durch mäandernde Grafikteile – bei Kaváfis entwirft Anja Nolte ein grafisches Inferno aus Vignetten und langen Tafelstrecken, die die Verse aufnehmen, teils auch weit und zuweilen gar nicht verborgen über ihren Inhalt hinausgreifen, interpretieren und schmücken, was lange unter der Hand ruhen/kursieren musste. Die Setzung der griechischen Originale als Laufbänder unter den Texten tut ein Übriges.

Illustration: Anja Nolte

Alles in allem merk-würdig und verdienstvoll wie auch ein Beginn dessen, den Dichter in seiner vollständigen Dimension zu begreifen. Ein paar kleine Lässlichkeiten, der schwierig zu lesende Golddruck auf dem Rückencover, das Variieren einiger Zeilen-Fassungen in Textteil und Nachwort, fallen so kaum ins Gewicht – bei den Varianten ist sogar so etwas wie ein stiller Vergleich, Blick in den Arbeitsgang möglich.

Eine aufregende Reise durch den unentdeckten Kontinent der Kaváfis’schen Welt, in Text-Auswahl, der Solidität in der Nachdichtung wie auch der Umsetzung als „Graphic Bundle of Poems“ durch Anja Nolte reizvoll und empfehlenswert. Mit einem kleinen „Herzepos“ und dem Wunsch, sich ein Gartenhaus mit unzähligen Tieren zuzulegen, darunter „unbedingt drei oder vier von jenen sagenhaft / sympathischen Tieren, den Eseln / die träge da lägen und froh ihre riesigen Köpfe wiegten“, endet die Fahrt durch das einst Verborgene, und man staunt, was es noch für Schätze zu heben gibt: Wohl dem.

Konstantínos Kaváfis
Im Verborgenen
Übersetzung:
Jan Kuhlbrodt · Jorgos Kartakis
Illustration: Anja Nolte. Nachwort: Ricardo Domeneck
Verlagshaus Berlin
128 Seiten · 14,90 Euro
ISBN:
978-3-940249-13-5

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