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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Weder Alpha noch Omega

Hamburg

In Hartingers neuem Buch Das verschmutzte Denken dreht sich alles ums Selbst. Bloß ist dieses Selbst eines, das beichtend und – als Beichtvater – lauschend schon zweifach ist, dazu sich wandelt, sich entgehen will, darin vielleicht heilen. Die Egozentrik ist also gründlich plurizentrisch.

Selbstbeherrschung kann dabei das Ziel nicht sein, „Macht ist verseucht” lautet das Motto, das Hartinger von Ernst Fischer lieh, also geht es um etwas jenseits von Hetero-, aber auch Autonomie. Vielleicht um „Anomie” – ein Wort Oswald Wieners.

Diesem Davonlaufen arbeiten die Metaphern zu, sie sollen es, aber das wäre schon zu intentional formuliert, sie tun es also einfach: „Es trug ihn davon. Die Metaphern halfen ihm dabei”, so heißt es, so schreibt es sozusagen sich. „Stimme hat leicht reden”, sie befielt ohne einen Befehlenden paradox, man „sei endlich unbeherrscht!”

So strebt dieses Buch etwas zu, das man mit Celan „Partikelgestöber” nennen könnte, oder dem, wozu es – mit Hartinger ein „Neronenrascheln” herausfordert, sehr jazzig, durchaus ziellos, da ohne Teleologie; „es gibt keinen Anfang und kein Ende.”

In der Tat ist Ende die Vorwegnahme, das Konzept sei mit dem sich Realisierenden deckungsgleich. In der Tat ist der Anfang kein Anfang, sondern implizite Anfänge, vielleicht – und: wovon?

„So ist der Anfang […] die in allen folgenden Entwicklungen gegenwärtige und sich erhaltende Grundlage, das seinen weiteren Bestimmungen durchaus immanent Bleibende. Durch diesen Fortgang denn verliert der Anfang das, was er in dieser Bestimmtheit, ein Unmittelbares und Abstraktes überhaupt zu sein, Einseitiges hat; er wird ein Vermitteltes […]. – Zugleich ergibt sich, daß das, was den Anfang macht, indem es darin das noch Unentwickelte, Inhaltslose ist, im Anfange noch nicht wahrhaft erkannt wird und daß erst die Wissenschaft […] seine vollendete, inhaltsvolle und erst wahrhaft begründete Erkenntnis ist.”

Und diese Darstellung (aus Hegels Logik) ist noch durchaus eine Vereinfachung...1

Alles in allem ist dieses Buch also aporetisch, oder: überall Wege finden, bis das dann die Aporie ist, daß es sie nicht gäbe... „Ob das Literatur ist, weiß die Literatur allein”, schreibt Hartinger – und trifft damit nicht ins Schwarze, sondern in die Grauschattierungen des Realen. Ich vermute: Es – sein neues Werk – ist Literatur; spannend ist sein neues Buch allemal.

Ingram Hartinger
Das verschmutzte Denken
Eine Saxofonie
Wieser, Klagenfurt
2014 · 300 Seiten · 21,00 Euro
ISBN:
978-3-9902909-0-3

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