Anfang und Liebe · zu Craciun, Wortakrobat ohne Netz
Natalität: Wir fangen mit nichts an, nichts wissen wir, noch nicht einmal wie Sokrates, daß wir nichts wissen – wir wissen also nur uns: nichts. Aber so kann man’s nur hernach sagen. Und dennoch wird darüber, wenn man es könnte, nur so gesprochen, als wäre es anders, als wäre teleologisch alles aufs Ausgeformte, immer schon Dagewesene hingeordnet, jedenfalls oft: Geburt? – Thanatos praecox, quasi. Aber „Geborenwerden ist nicht gleichbedeutend mit Sterben”, so Artur Boelderl, fröhlicher Wissenschaftler nach Nietzsche , jüngst; es bestehe Anlaß zu einem „Beharren auf der Ungestalt”.
Etwas davon prägt den Gedichtband von Ioana Craciun, Bukarester Germanistin, die in Wortakrobat ohne Netz akkurat wie originell um derlei Konstellationen kreist: Und deren Gedichtband hier darum empfohlen sei.
„Keines meiner Worte
wird dich an jemanden erinnern,
auch an mich nicht,
deren Schweigen du so oft lauschtest.Kein Wort
werde ich zu dir sagen,
das dir jemals über die Lippen kam,
als du selbst liebtest.Ich werde zu dir
in einer ungeborenen Sprache sprechen,
deren Nabelschnur
eine ungeborene Hand durchtrennen wird.”
So beschreibt die Lyrikerin das Anfangen, das vielleicht immer einen Überschuß hat, der Liebe sein könnte; oder die Liebe, die einen Überschuß hat, der ein Anfangen sein muß. Manchmal mit einem surrealistisch-gewitzten Unterton, nicht zufällig promovierte sie über Christian Morgenstern, manchmal mit einer Melancholie, in einzelnen Fällen zugegebermaßen gestelzt, aber jedenfalls einen eigenen Ton findend, einen Anfang machend. Philologie, sozusagen. Und für den Leser eine Entdeckung!
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