Zwischen Pathos und Profanem
Jean Kriers Lyrik kreiste hartnäckig um zwei Themen: Die Möglichkeit des baldigen Fortseins und die Erinnerungen an das Dortsein. Kurz: den Tod und die Ferne. Im Grunde aber bedeutet eben das, dass Kriers Lyrik im Kern schon immer nur ein Thema hatte: Vergänglichkeit. Die Vergänglichkeit menschlichen Lebens, die Vergänglichkeit menschlicher Erfahrungen. Seine Gedichte blicken daher entweder nach vorne und in den Abgrund hinein oder nach hinten, tief im Innern lauschend. Panik und Ekstase, sie reiben sich an einer allumfassende Ruhe.
Die, naja, Urlaubs- oder, vielleicht besser: Gedächtnislyrik Kriers präsentierte er bereits in seinen früheren, im Aachener Rimbaud-Verlag erschienenen Bänden Tableaux · Sehstücke (2002), Gefundenes Fressen (2005) und Bretonische Inseln (1995, neu aufgelegt 2006). Diese bereits später im Leben – Krier war bei der Erstveröffentlichung von Bretonische Inseln 46 Jahre alt – verfassten Texte, die über die Jahre weiterentwickelt wurden oder als Steinbruch für spätere Gedichte dienten, nahmen schon die See und das Sehen, Umwelterfahrung und ästhetische Wahrnehmung, folglich also das Leben ins Auge. »Denn dies ist die Zeit, die ich mein / Leben nenne, herrlich u sinnlos«, heißt es in einem der Texte von Eingriff, sternklar, der eine Vielzahl von Gedichten aus Kriers Nachlass sowie deren Variationen und Vorstufen versammelt. So liest sich der bizarr schöne Existenzialismus der zweiten Hälfte des Lebens.
Die Spannungen in Eingriff, sternklar sind kaum auszuhalten, selbst wenn sie wie nebenbei in nonchalanten Pointen aufgelöst werden: »Und wild / u nackt dann Regentänze, an Bäumen Blut. / Bald alt der Tag u nichts ist schöner / als eine Tankstelle abzufackeln. « Es sind zwei Oppositionen desselben Ursprungs, an denen sich die Lyrik des im Januar 2013 verstorbenen Dichters entzündet, an deren Riss entlang sie sich konstituiert, aus deren Widersprüchlichkeiten sie ihre Kraft schöpft. So wie das abstrakte Coverartwork vom 2011 erschienenen Herzens Lust Spiele, das die den Band durchziehende Herzmetapher wörtlich nahm: Es ist eine Ultraschallaufnahme von Kriers Herzmuskel. Die Vorahnung des Kommenden, die Krier nach zahlreichen gesundheitlichen Problemen an eben Herz und Leber ereilte, sie wurde über sein Oeuvre hinweg zunehmend konkreter und der Blick richtete sich wortwörtlich ins Innere. »Oh Jammer, u doch noch / Herz u Darm. Wie soll einem die Hand denn nicht? «, sinniert eines seiner Gedichte eine sehr alte Frage.
Der Luxemburger, der erst spät seinen Debütband vorlegte und nur gemächlich mehr und mehr nachlegte, hat diese Pole seines Schreibens nur zu gern nebeneinander und miteinander stehen lassen. »Nur diese Sprache sprechen, die Leid zufügt. /(…) / Fügen die Lied zu Leid. « Lied und Leid liegen nicht allein phonetisch nah beinander, das eine bedingt das andere. Ebenso wie die rohe Gewalt des drohenden Todes, die Krier mit der Ausradierung von Verben, Verstümmelung des Bindewortes »und« zum knappen »u« markiert, auf ein entspanntes laissez-faire trifft, dass es Funken schlägt . Pathos trifft auf das knallharte Profane, dazwischen spannt sich ein merkwürdiger Trost auf. Es ist der Trost einer unermüdlichen Trauerarbeit.
Diese Form von Trauerarbeit ist tradiert, ja, eine Art anthropologische Konstante der Weltliteratur, die Krier studiert und imitiert hat, bis er sie schließlich in neue Formen und Kontexte übertrug. »Besoffen ein Frühling, Katzen / im Licht, der Lieder Licht. Wie vom Herzen Schlag. / Im Garten glänzt die Glatze des Nachbarn. Sprüht / der Funke, alles feuerfreudig / u in den Tränen zerfließt«, heißt es in seiner Version von Friedrich Schillers Ode an die Freude. Schreibt Krier immer wieder von »Brot und Wein«, ist das mehr als eine Referenz auf sein dichterisches Vorbild Friedrich Hölderlin, sondern zugleich eine poetische Kippfigur: Was in der christlichen Tradition den Leib und das Blut Christi symbolisiert, das gilt in der Bretagne als probates, ganz und gar banales Abendessen an einem schönen Sommerabend. Selbst im Blick zurück auf die Literaturgeschichte verortete sich Krier noch fest zwischen Fortsein und Dortsein.
Krier machte in Interviews nie einen Hehl aus seiner Hinwendung zur deutschen Sprache. Mit seiner Muttersprache Luxemburgisch hätte er eben zu wenig Menschen erreichen können, gab der studierte Germanist und Gymnasiallehrer jovial zu Protokoll, als ihm für seinen Band Herzens Lust Spiele im Jahr 2011 der Chamisso-Preis verliehen wurde. Vermutlich war das aber nur die eine Seite der Medaille. Denn wie die Bretagne, so schien Krier eine andere Heimat in der deutschen Literatur gefunden zu haben, in den antikisierenden Oden von Friedrich Hölderlin oder der Prosa sowie den Briefen Franz Kafkas, die in seinen Gedichten häufig indirekt oder direkt zitiert werden. Verweise auf John Ashbery, französische Sprachschnipsel und sich offensichtlich aus Kriers eigener Themenwahl ergebende Verweise auf zum Beispiel Marcel Proust – »Vielleicht ist es Marcel, der versucht, sich vor / dem Backwerk aus dem Staub zu machen. « – nahmen zwischen seinen einerseits mit formaler Strenge und andererseits mit umgangssprachlicher Verve gespickten Gedichten eine sekundäre, wenngleich immer noch wichtige Rolle ein.
Wenn Pathos auf Profanes trifft, dann entwickelt die Ode in ihrer deutschen Version ihren eigentümlichen Charakter. Es brauchte den Luxemburger Jean Krier, um das mit einer lakonischen Wucht zu beweisen, die in der deutschen Gegenwartslyrik Ihresgleichen sucht. Selten hat ein Lyriker, der eigentlich nur zwei Arten von Gedichten über im Grunde nur ein einziges Thema schrieb, diese mit dermaßen viel Gewalt und Lust angereichert. Selten hat ein Lyriker, der eigentlich in einer anderen Sprache dichtete, deren innere Spannungen derart konsequent ausgeschöpft. Selten hat ein Lyriker, der in seinen Texten den eigenen Tod antizipierte, sich selbst ein schöneres und so reichhaltigen Trost spendendes Epitaph verfasst. »Es ist vollbracht, nun stirbt’s sich schattenleicht. «
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