„»vakant«”
In seiner Dekonstruktion des Christentums wie auch Texten aus diesem Umfeld operierte Jean-Luc Nancy, über dessen Rang, einer der wichtigsten Denker der Gegenwart zu sein, kein Zweifel besteht, mit dem Begriff des „Selbandere(n)” – einer Wortschöpfung, die, wollte man ihren Weg skizzieren, wohl bis zumindest Nikolaus von Kues zurückzuverfolgen wäre, zu dessen Schrift Vom Nichtanderen; das Andere sei Cusanus zufolge nur in der „Wesenheit des Anderen” (eben in dem Nichtanderen dieses Anderen) zu erfassen, das als Seinsgrund der Erkenntnis kaum zu erfahren sei, oder eben als Verfehlen des Anderen, ein Anderes eines Doch-wieder-nicht-Anderen – was sich immerhin als Irritation lesen läßt, also nicht metaphysisches Modell, sondern erkenntnistheoretisch: nicht als die Affirmation des theologischen Modells, vielmehr als Artikulation eben jenes eines Selbanderen, das in seiner Schrift vom anderen Porträt Nancy nun eingehender entfaltet – kunsttheoretisch, doch dann nicht überraschend theologisch.
Das Andere (zumal exemplarisch: Gottes) kann nicht Extension des Porträtierenden sein, der aber im Bild seines Gegenübers doch unvermeidlich immer ein Selbstporträt liefert. Der Abgebildete ist darin absent, „virtuell dessen Tod” ist in seinem Bild... Immerhin entzieht er sich zugleich – „entzogen in seine Alterität” ist er abgebildet. Wenn’s eben mal so wäre! Noch darin ist der Andere verkannt, da diese Alterität begrifflich die Frage aufwirft, in bezug worauf das Andere denn anders sei. Die Offenbarung der Alterität ist wahr, aber auch stereotyp, noch das Rätsel beruhigt zu sehr ob der Irritation, die es benennt.
Also ist der Vektor auf das vorgeblich Andere zugleich der „zum Selben selbst, zum »Selbst«, das unablässig sich übersteigt” – Modus des Transzendierens, das zu Klammern und Anführungszeichen zwänge, wäre (seine) Sprache nicht das, was „jeder Einklammerung widersteht”, wie es nun mit Derrida sich formulieren ließe… Das, worum es geht, ist also weder anders, noch wäre es proprietär, Derrida quasi zum Trotz schreibt Nancy es in Anführungszeichen scheinbar beruhigend, es sei „»vakant«”.
Wie unschwer zu erraten, ist diese Verkürzung des Weges, den Nancy beschreitet, problematisch, nur in den Umwegen der – seiner – Schrift ist zu verstehen, welche intrikaten Formen das Andere, das nicht vereinnahmt werden darf/kann, und das Eigene, das dies nur in der Veränderung ist, verlangen.
Nancys schmaler, doch profunder Band ist kurzum zu empfehlen, sollte es dem geschmähten Kanonbegriff zum Trotz Bücher geben, die nachgerade unbedingt zu lesen sind, ist es unter sie zu rechnen.
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