Von Bienen zerstochen, mit Schokoladenduft betäubt.
„Angeregt durch den warmen Sake, den er im Restaurant getrunken hatte, zirkulierte eine angenehme Wärme in seinem Blut, verbreitete sich in seinen Adern, stieg ihm in den Kopf und erfüllte ihn, dort auf der Rückbank des Taxis, mit einer Woge des Wohlbefindens. Durch das Seitenfenster sah er die Straßen des Ginza-Viertels an ihm vorüberfliegen, die Nacht war schwarz und transparent und das Leben schien ihm voller unerschöpflicher Versprechen.“ Ist das eine Courths-Mahler-Parodie? Oder ist es genuiner Originalkitsch? In Frankreich ist der belgische Autor und Regisseur Jean-Philippe Toussaint recht erfolgreich, eines seiner Bücher wurde für den renommierten „Prix Médicis“ nominiert, in Deutschland ist er nicht so bekannt. Vielleicht liegt es auch daran, dass, wie auch das vorliegende Buch zeigt, die Franzosen einen Hang zu proustisch ausufernden Satzperioden und feierlichem Pathos haben.
„Nackt“, der vierte Teil eines Romanzyklus' um die Modeschöpferin Marie Madeleine Marguerite de Montalte, beginnt mit einer schönen, sehr plastisch beschriebenen Szene, in der bei einer Kleidervorführung ein nacktes Model mit Honig bestrichen wird und, von lebenden Bienen umsummt, über einen Laufsteg schreitet. Die Vorführung endet mit einer Katastrophe, denn das Model stolpert, und die Bienen fallen über sie her.
Danach führt die Erzählung dieses schmalen, in recht großem Lettern gedruckten Buchs nach Tokyo in eine Galerie, wo der Ich-Erzähler seine Angebetete heimlich bei einer Vernissage mit ihren Kunstwerken beobachtet: Er sieht sie durch das Oberlicht, nachdem er sich an den Wachmännern vorbeigeschlichen hat, weil er ein paar Tage vorher mit einer Flasche Salzsäure nachts ins Museum eingedrungen war. Die Erzählung schlüpft in die Gedankengänge von Jean-Christophe de G., der sich an Marie heranmachen will und sie mit einer anderen Dame verwechselt, die auch Marie heißt, die er umwirbt, bis er seinen Irrtum erkennt. Führt nach Paris, wo der Ich-Erzähler und Marie jetzt nicht mehr zusammen leben und der Erzähler zwei Monate wartet, dass sie sich bei ihm meldet. Und schließlich geht es nach Elba, wo der Verwalter des „Anwesens ihres Vaters“ gestorben ist, und Marie möchte, dass er sie zur Beerdigung begleitet. Dort sehen sie eine gerade ausgebrannte Schokoladenfabrik, die noch einen süßlich-angekokelten, schweren Duft verbreitet, verpassen die Beerdigung knapp, streiten sich mit Giuseppe, dem Sohn des Verstorbenen, und im Hotel gesteht Marie dem Ich-Erzähler, dass sie schwanger ist.
Die Handlung ist ein bisschen verworren, was nicht nur an der zeitlichen, manchmal etwas sprunghaften Verschachtelung der Ebenen liegt, sondern auch daran, dass die Charaktere nicht recht lebendig werden, ihre Handlungen undurchsichtig bleiben. Und vor allem an der meistens seltsam blutleeren, ungenauen und umständlichen, dann wieder übertrieben gefühligen Sprache. Da gibt es zum einen häufig unrhythmische Satzbandwürmer, die den Leser sehr oft über eine halbe Seite führen: „Denn so, wie im Liebesleben eines Paares manchmal ein Riss entsteht, der mit der Zeit sich nur vergrößern konnte, bis hin zu einer definitiven Trennung, spürte ich, dass in unserem Falle dieser Riss eher dabei war, im Prinzip unserer Trennung selbst zu entstehen, der mit dem, was wir gerade erlebt hatten, und der Tatsache, dass Marie schwanger war, nur immer größer werden konnte, derart, dass, wenn er noch größer werden würde, es die Idee selbst unserer Trennung sein würde, die bedroht war (und wir früher oder später am Ende wieder zusammenleben würden).“
Und man stolpert immer wieder über solche seltsamen Sätze: „Nach unserer Rückkehr von Elba nach dem großen Brand Ende des Sommers blieb ich über zwei Monate hinweg so gut wie ohne ein Lebenszeichen von Marie – und ich verließ schließlich das Fenster, an dem ich vergeblich auf ihren Anruf gewartet hatte.“ So gut wie – oder blieb er ohne Lebenszeichen? Und stand er wirklich zwei Monate lang ununterbrochen am Fenster? Kaum. Man liest von der „schokoladenverpesteten Luft, die wir atmen mussten, die einzige und alleinige Luft, die wir auf dem Friedhof atmen konnten“. Oder dass Marie „das Kind geblieben war, das immer noch in ihr weiterlebte.“ Von dem Adligen Jean-Christophe de G. heißt es einmal: „Der Schleier einer köstlichen Trunkenheit umschleierte seine Schläfen.“ Naja, das ist jetzt wirklich Courths-Mahler.
Fixpoetry 2014
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben