Verfließende Spuren
Der neue Gedichtband von Joachim Sartorius ist eine beglückende Lektüre. Zurückgenommen, sich befragend, also im besten Sinne durch die Schrift etwas sagend, das sich darin, im Schreiben, erst findet, bedenkt er, was … ja, was? Schon dieses Bilanzieren ist es nicht, wie auch der Titel besagt, worin Verausgabung nicht eingeholt werden muß, um alles zu sein – im Gegenteil.
Was könnte auch bändigen, was zu denken ist? Selbst eine unermeßliche, unvernichtet expandierende Bibliothek von Alexandria nicht, deren Katalog sie nicht ausschöpft, worin zwischen all dem akkurat Verzeichneten etwas bleibt, weil auch „die Schatten aufbewahrt” sind, da man „Welttatsachen am Dunkel fest(machen)” muß. Denn diese „Fallen” der scheinbar alles erschließenden Texte sind zu entziffern, ihre Optionen, die ungesehen zu Fallen werden, zur Absenz der „Idee der Rettung”, die das „Schwarz einer Ritz” ist, die gar aus diesem Dunkel leuchtet… Es bedarf des Lesers, des Einspruchs. Die Statik des Parmenides setzt Sartorius diesem aus:
„Fließt alles? Alles fließt. Da sprach ich
vom Leben. Und jetzt, da ich alt bin:
Alles stirbt. Sätze aufzustellen ohne
Widerspruch: scheußliches Schicksal.”
Jener wird sich zum Alptraum, zur Heimsuchung einer Hoffnung, die Heraklit formulierte: „Ein Fluss ist wie der andere Fluss”, gerade im Fließen, im Wandel, der total geworden keiner mehr ist. Melancholie, die sich nicht sich selbst hingibt, um des noch zu Betrauernden willen; Witz, der klärt, nicht verrät; „gibt es überhaupt / Worte dafür?” So die nicht bilanzierende, nicht rhetorische, sondern alles hier treibende Frage, in einem Band, der aus den Minima noch einmal alles ahnt, aus „dem Staub, der Armut, der Spur”, sich verlierend, sich gewinnend, ein „Erinnern, falls es das gibt, ohne Person.”
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