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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Die Rache der Männer

Karen Duve sperrt uns 400 Seiten lang im Kopf eines Irren ein – das kann nicht gutgehen.
Hamburg

Zukunftsdystopien scheinen derzeit einen neuen Aufschwung zu erleben – zumindest fällt die Fülle an Science-Fiction-Romanen in den aktuellen Vorschauen renommierter Verlage ins Auge. Kein Wunder, dass auch Karen Duve die apokalyptische Stimmung aufgreift, hatte sie doch bereits 2014 in ihrer Streitschrift „Warum die Sache schiefgeht“ mit deutlichen Worten die Ignoranz gegenüber der drohenden Klimakatastrophe angeprangert.

Ihr neuer Roman „Macht“ spielt im Jahr 2031 im fiktiven Hamburger Vorort Wellingstedt. Die Klimakatastrophe ist längst Realität geworden: Stürme, sintflutartige Regenfälle und  Überschwemmungen wechseln sich ab mit verheerenden Hitze- und Dürreperioden. Der „Unumkehrbarkeitspunkt“ ist überschritten, in spätestens zehn Jahren wird alles den Bach runtergehen. Eine durchaus interessante Ausgangslage für einen Roman. Der ist jedoch – als wäre der Titel des vorangegangenen Essays ein böses Omen gewesen – gründlich schiefgegangen.

Duve schreibt aus der Sicht von Sebastian Bürger, einem Ex-Umweltaktivisten, der sich angesichts des bevorstehenden Weltuntergangs zum frauenhassenden Psychopathen entwickelt hat. Ein so gewagtes wie faszinierendes Unterfangen, dem man einige Schnitzer hätte verzeihen können. Das Problem besteht jedoch darin, dass die Autorin weder ihr Zukunftsszenario besonders originell ausschmückt noch die Täterperspektive konsequent oder auch nur ansatzweise glaubwürdig durchhält.

In einer Passage – auf dem Parkplatz des örtlichen Einkaufszentrums – erinnert sich Sebastian, wie er in der fünften Klasse (er ist mittlerweile 70, auch wenn er durch die Verjüngungspille Ephebo wie Mitte 30 wirkt) ein „Auto der Zukunft“ entwerfen sollte. Alle, einschließlich ihm selbst, zeichneten aerodynamische Kugelautos, wie sie im Jahr 2031 tatsächlich herumfahren. Warum, mokiert sich Sebastian, hat es 58 Jahre gedauert, um etwas in die Realität umzusetzen, dass sich 12-Jährige in einer Doppelstunde Kunst ausdenken können?

An einer ähnlichen Einfallslosigkeit krankt leider auch der Roman. Klimakatastrophe, Jugendwahn, Aussterben der Printmedien, Verdummung der Jugend durch Fernsehen und Internet – all das wäre wahrscheinlich dabei herausgekommen, hätte man Fünftklässlern aufgetragen, sich innerhalb von 90 Minuten eine düstere Zukunftswelt zusammenzufantasieren. Duves dystopisches Szenario wirkt durchweg uninspiriert, bis hin zu den Begrifflichkeiten: Moderne Rechner heißen „Compunikator“, die neuen Smartphones „Ego“ (was immerhin den ziemlich lustigen Satz „Mein Ego klingelt“ nach sich zieht). Sonst ist eigentlich alles wie heute, sogar ALDI und Ebay gibt es noch.

Wirklich schade ist, dass selbst der im Klappentext angekündigte „Staatsfeminismus“ nur als Hintergrundkulisse in Erscheinung tritt. Was die Umkehr der Machtverhältnisse in der Bevölkerung oder global bewirkt, bleibt ziemlich nebulös. Wir erfahren lediglich vom Fahrradhelmzwang und der Vergabe von Strafpunkten fürs Fleischessen und Autofahren. Merkwürdigerweise sind allerdings die Hologramm-Spielzeuge von Sebastians Kindern weiterhin extrem gendergenormt (Hau-Drauf-Roboter für den Jungen, lispelndes, regenbogenfarbenes Einhorn für das Mädchen). Doch mit der Logik im Detail nimmt es Duve eh nicht so genau – Oder wie ist sonst zu erklären, dass trotz Gesundheitswahn und Öko-Terror im Flugzeug weiterhin „versalzene Nüsse“ serviert werden?

Nach rund hundert Seiten schleicht sich der Verdacht ein, dass der behauptete Staatsfeminismus vor allem dazu dient, Sebastians pathologisches Verhalten zu erklären. Wobei „pathologisch“ noch untertrieben ist. Während Sebastian nach außen hin die gutbürgerliche Fassade wahrt, verbirgt er im Keller ein dunkles Geheimnis: Seit zwei Jahren hält er seine Frau Christine im Prepper-Raum gefangen, wo sie ihm in rosa-weiß karierter Schürze und mit farblich abgestimmtem pastellfarbenen Nagellack seine Lieblingskekse backen muss. Wohlgemerkt, mit einer Eisenkette um den Hals. Eine derartige Anhäufung von Softporno- und S/M-Klischees lässt eine überdrehte Satire erwarten, wie Duve sie beispielweise in „Regenroman“ abgeliefert hat. In „Macht“ jedoch findet sie einfach keinen stimmigen Ton.

Da Sebastian nicht viele Sozialkontakte hat, bleibt der Autorin nichts anderes übrig, als ihn im Keller seitenlange Diskurse mit seiner angeketteten Frau über den beklagenswerten Zustand der Welt führen zu lassen. „Jedes Eichhörnchen, das im Herbst seine Nüsse vergräbt, damit es auch noch im Winter was zu essen gibt, betreibt bessere Vorsorge, als es die Menschheit auf die Reihe gekriegt hat“, geifert er. „Als hätten die Überschwemmungen nichts mit ihrer Wurstfresserei zu tun, mit ihrem Herumgeheize in Autos und dem kleinen Wochenendtrip mit dem Flugzeug nach Barcelona.“ Dann wieder verfällt er in paranoid-sexistische Wahnvorstellungen von der Überlegenheit des Mannes und der natürlichen Unterwürfigkeit der Frau, mit denen er auch Christines Martyrium rechtfertigt. Doch auch diese verdrehten Ideologien wirken noch viel zu reflektiert, um glaubwürdig zu sein: „Irgendwie hänge ich auch an diesem kleinen, aus der Zeit gefallenen Raum, in dem ich mich nie beweisen muss und nie abgewiesen werde und in dem ich alle Vorrechte besitze, die mir aufgrund meines Geschlechts zustehen.“

Warum auch immer Duve ausgerechnet einen paranoiden Frauenhasser als Sprachrohr für ihre eigene Kritik an Fleischkonsum, Jugendwahn und Klimawandel gewählt hat – dem Roman hat es nicht gutgetan. Ihr Ton ist nicht überdreht genug, die Gewalt nicht trashig genug, um als Satire durchzugehen. So wirken viele Szenen unausgegoren und hinterlassen nicht selten einen schalen Nachgeschmack. Der gemütliche Fernsehabend mit anschließender Vergewaltigung, die Sebastian seinem Publikum (und wohl auch sich selbst) als schönen Konsens-Sex verkauft, ist einfach zu nah an der Realität, um lustig zu sein.

Bleibt die Frage, was uns die Autorin mit diesem Buch eigentlich sagen will. Dass alle männlichen Wesen in ihrem tiefsten Inneren aggressive, rücksichtslose Testosteronmonster sind?

Der Tenor von „Macht“ scheint zu sein: Wenn Männer von „Feminazis“ unterdrückt werden, entwickeln sie sich im ersten Schritt zu verweichlichten Schlappschwänzen, im zweiten jedoch zu gewaltbereiten Machos, die sich entweder in Naturromantik-Vereinen wie „MASKULO“ zusammenrotten oder psychopathische Alleingänge fahren wie Sebastian Bürger. Ergo: Die Umsetzung der Geschlechterstellung produziert zwingend einen Backlash der archaistischen Art, der Frauen nicht nur zurück an den Herd verbannen, sondern am liebsten gleich niederknüppeln und an den Haaren in die heimische Höhle schleifen möchte.

Ein bisschen liest sich „Macht“, als hätte Duve versucht, Hanna Rosins antifeministischen Wälzer „Das Ende der Männer“ weiterzudenken. Nur noch ein bisschen paranoider. Und verworrener. Egal, wie nah das Weltende sein mag –  das muss man sich nicht antun.

 

 

Karen Duve
Macht
Galiani
2016 · 416 · 21,99 Euro
ISBN:
978-3-86971-008-2

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