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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Suchbewegung mit Stimmen

Hamburg

Die 1953 in Stockholm geborene Katarina Frostenson schreibt Lyrik, Dramatik, Prosa und übersetzt aus dem Französischen. Sie hat mehrere wichtige schwedische Preise und Auszeichnungen erhalten und ist seit 1992 eines der achtzehn Mitglieder der Schwedischen Akademie (Svenska Akademien), die jedes Jahr die Literaturnobelpreisträger bestimmt.

Da es bisher in Deutschland nur den ebenfalls bei Hanser erschienen Lyrikband Die in Landschaften verschwunden sind aus dem Jahr aus dem Jahr 1999 gab, hat der Verlag jetzt in seiner Reihe Edition Lyrik Kabinett den Gedichtband Sprache und Regen vorgelegt. Darin sind Gedichte aus vier Büchern enthalten, die im Original zwischen 1999 und 2011 veröffentlicht wurden.

Die Gedichte von Katarina Frostenson sind wunderschön und nicht schwer zu verstehen. Sie wölben sich dem Verständnis entgegen, sobald man begriffen hat, dass sie nicht beschreiben, sondern herstellen.

Das schreibt Monika Rinck in einem Nachwort, dem sie ein Zitat von Walter Benjamin voranstellt:

Die zertrümmerte Sprache hat in ihren Stücken aufgehört, bloßer Mitteilung zu dienen, und stellt als neugeborener Gegenstand seine Würde neben die Götter, Flüsse, Tugenden und ähnlicher, ins Allegorische hinüberschillernder Naturgestalten.

Nun zertrümmert Katarina Frostenson die Sprache nicht, sondern benutzt sie als Mittel, die Welt und sich selbst zu erkunden. Sich mit Hilfe der sich stets im (Sprach)fluss befindlichen Worte zu verorten. Oder eben festzustellen, dass Sprache und somit das Leben ständig in Bewegung ist, ständig auf Suche. Und es sind Stimmen, Töne, Laute, die das Lyrische Ich dabei leiten.

Stimme, was bist du für ein Tier
unter dem Stein

heißt es gleich auf der zweiten Seite in dem Gedicht Echos Schlund und dieser Gedanke wird im nächsten Gedicht mit dem ähnlichen Titel Schlund fortgeführt

Stimme aus der Nacht: Deine Heimatlosigkeit riecht
wie die der Geschwister -Orestie – ich packe
dich am Hals, drücke den Mund zu Boden, schlage dich blau bis
du deinen Laut ausspeist   ach und ich… die Konsonanten-
Hölle bleib im Hals
Fischgeräte im Gang

Es ist nicht immer einfach mit Lauten und dem Wort:

es soll weh tun hier zu sagen – so schneide mit dem Stein

Hier zu sagen ist schwierig in den Gedichten. Kaum hat man sich auf einen Gedanken, eine Örtlichkeit eingelassen, sich an konkreten Orten, Bildern, Gegenständen festgehalten, zieht einen der Text in der nächsten Strophe in eine andere Richtung. Aber immer geht es um Töne und Sprache und wie diese aufgefasst werden. Was bin ich für ein Gefäß, lautet eine Zeile in Schlund.

was ist eine dunkle Zeit, da keine Worte
die lauten Suchstimmen der Frauen wiedergeben können, wenn sie
den Sprechgesang der Wegränder einander zurufen und
wenn du fast vergessen hast, dass es Flüsse gibt

dass Dinge in schweren blauen Lastkränen mit dem Namen MOL
über sie gezogen werden, und dünne träumerische Linienschiffe
treiben und zerteilen die Wasserfläche weich, werfen
Schwälle gegen Ufer als gäbe es die Zeit nicht –

Glaubt man bei diesen schönen Zeilen noch, sich irgendwo am Rhein zu befinden mit konkreten Hinweis auf eine Rederei, so liest man ein paar Strophen weiter von orale moara morai von fremden starken Lauten und einer Irgendwomündung

wo das Wort gehäutet wurde und
du die andere Lauttracht von Tag und Nacht spüren willst

Der für mich schönste Teil in dem Lyrikband ist das aus achtzehn Strophen bestehende Langgedicht Rede aus einem Monat. In der Art, wie hier die Autorin sinnliche Wahrnehmungen mit Überlegungen über Sprache verschränkt, einmal Gesagtes wieder zurücknimmt, neu betrachtet und in diesem Fall letztlich doch so etwas wie eine Geschichte erzählt, ist für mich sehr beeindruckend. Wieder sind es Stimmen, die den Prozess auslösen. Eine Stimme, die stärker ist, ein Summerton, ein Ton, dem man folgen muss, oder Musik von Bach, ein Ton aus Cembalotasten.

Das Fichtenrauschen dunkel legt sich, da erhebt sich eine Sprache
und geht, es ist wie nah am Schlaf. Sie geht wie der Redner
auf dem Weg, zwischen den Stämmen und dem Rauschen. Du gehst
Tag und Nacht, du wanderst zwischen den Bäumen. Sei jetzt
nicht belehrend
ich folge deiner Spur

Die Stimme leitet das Lyrische Ich durch den dunklen November, der eingebettet ist in Schneebeeren und Nebel. Und letztlich bringen die Stimmen eine Schwelle zum Einstürzen, verursachen einen Friedhofsbesuch und Erinnerungen an den Vater:

Ich sehe seinen Rücken und die Schulter, den Arm
wie er die Schrift formt.

Einige Gedichte sind Erinnerungen und Widmungen an bestimmte Menschen. Unter anderem an Rosa Luxemburg, Danilo Kiš und an Ana Mladić, die Tochter von dem serbischen Kriegsverbrecher Ratko Mladić, die sich wegen ihres Vaters umgebracht hat.

nicht er
sondern du gingst fort in die Worte

Viele Gedichte hätten es verdient, zitiert zu werden. Katarina Frostensons Lyrik ist nicht immer leicht zu verstehen, nicht nebenbei zu lesen. Es gibt Zeilen, die ganz nah an der sinnlichen Wirklichkeit sind, und solche, die sich dem Leser schwer erschließen. Dennoch sind die Gedichte nicht hermetisch, sondern offenbaren Zeile für Zeile ihre eigene Welt. Man muss sich nur auf sie einlassen, den Stimmen folgen und die Gedichte als das nehmen, was sie sind: sprachliche Suchbewegungen mit offenem Ausgang.

Katarina Frostenson
Sprache und Regen
Übersetzt aus dem Schwedischen von Verena Reichel, mit einem Nachwort von Monika Rinck
Hanser
2016 · 96 Seiten · 15,90 Euro
ISBN:
978-3-446-25048-2

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